Film und Serien

Nazi-Terror in der Himmelstraße "Bücherdiebin" versinkt im Kitsch

Ihren zweiten Roman rettet Liesel aus den brennenden Bücherbergen der Nazis.

Ihren zweiten Roman rettet Liesel aus den brennenden Bücherbergen der Nazis.

Ein Buch zu verfilmen, birgt immer ein gewisses Risiko. Zumal, wenn es sich um einen millionenfach verkauften Roman wie "Die Bücherdiebin" handelt. Den Kern der Vorlage verfehlt die kitschige Kinoadaption gründlich. In einer Hinsicht aber kann der Film punkten.

Sie sind selten, aber es gibt sie, diese Bücher, deren Sog sich kaum jemand entziehen kann. Ein solcher Roman ist "Die Bücherdiebin" des australischen Autors Martin Zusak. Seit das Jugendbuch 2005 auf den Markt kam, hat die Geschichte der mutigen Liesel Meminger, die ihre Leidenschaft für Literatur entdeckt und durch die Macht der Worte vor der grausamen Realität des Zweiten Weltkrieges flieht, weltweit Millionen Menschen berührt. Die Erwartungen an die gleichnamige Verfilmung, die jetzt in die deutschen Kinos kommt, sind also hoch.

Liesel wächst bei der raubeinigen Rosa und dem verständnisvollen Hans auf.

Liesel wächst bei der raubeinigen Rosa und dem verständnisvollen Hans auf.

Regisseur Brian Percival ("Downtown Abbey") möchte sie erfüllen - und scheitert grandios. Dabei geht der Filmemacher auf den ersten Blick den richtigen Weg und orientiert sich bei der Handlung des Filmes eng an der Vorlage: 1938 kommt die neunjährige Liesel (Sophie Nélisse) als Pflegekind zu Hans Hubermann (Geoffrey Rush) und seiner Frau Rosa (Emily Watson) in das fiktive Molching bei München. Mit im Gepäck hat sie das "Handbuch der Totengräber", das bei der Beerdigung ihres kleinen Bruders einem der Bestatter aus der Tasche gefallen ist. Liesel hat es eingesteckt, lesen aber kann sie nicht. Hans bringt es ihr in gemeinsam durchwachten Nächten bei.

Liesels Liebe zum geschriebenen Wort ist geweckt. Den zweiten Roman stibitzt das Mädchen aus einem der brennenden Bücherberge der Nazis - und es soll nicht das letzte Buch bleiben, das in ihren Besitz übergeht. Als die Hubermanns den Juden Max (Ben Schnetzer) in ihrem Keller verstecken, findet Liesel einen Gleichgesinnten. Durch ihn lernt sie, dass Worte nicht nur Leben sind, sondern Leben retten können.

Mit dem Juden Max teilt die Bücherdiebin ihre Leidenschaft für das geschriebene Wort.

Mit dem Juden Max teilt die Bücherdiebin ihre Leidenschaft für das geschriebene Wort.

Dann müssen die Familien der Himmelstraße ganze Bombennächte im Luftschutzkeller verbringen, bei einer Hausdurchsuchung droht das Versteck von Max aufzufliegen, die Väter der Himmelstraßen-Kinder werden zum Kriegsdienst eingezogen und am Ende liegt der Straßenzug in Trümmern - der Terror des Nationalsozialismus erreicht Molching. Aber nicht den Zuschauer.

Harmlos-romantische Filmsprache

Keine Frage, der Film wurde in den Filmstudios Babelsberg aufwendig produziert und mit Liebe zum Detail ausgestattet. Die Liste der hinter den Kulissen Beteiligten liest sich wie die Crème de la Crème der Hollywood-Könner: Der Komponist John Williams ist mehrfacher Grammy- und Oscargewinner (unter anderem für "Schindlers Liste" und "Krieg der Sterne") und war in diesem Jahr für seine "Bücherdiebin"-Musik zum rekordverdächtigen 49. Mal Anwärter auf einen Goldjungen. Für die Kostüme zeichnet die ebenfalls wiederholt Oscar-nominierte Anna B. Sheppard ("Der Pianist") verantwortlich und auch mit dem deutschen Kameramann Florian Ballhaus ("Der Teufel trägt Prada") konnte ein Garant für großartige Bilder und Einstellungen gewonnen werden.

Zu bunt, zu überzeichnet, zu kitschig - das Regieteam hat es übertrieben.

Zu bunt, zu überzeichnet, zu kitschig - das Regieteam hat es übertrieben.

Aber trotz dieses Aufgebots an Experten kann die "Bücherdiebin" nicht überzeugen. Zum einen, weil das Team genau dort auf Sentimentalität setzt, wo Einfühlungsvermögen gefragt wäre. Zum anderen verrennt sich der Film, der bereits ab sechs Jahren freigegeben ist, in eine Ästhetisierung von eigentlich schwer auszuhaltenden Bildern: Percival übersetzt das im Buch sensibel erzählte Nebeneinander von hoffnungsvollen Momenten und Kriegsgrausamkeiten in eine harmlos-romantische Filmsprache.

Und dabei ist es völlig egal, ob die Kamera Liesel begleitet, wenn sie mit dem Finger über die Seiten ihrer wie Schätze gehüteten Bücher fährt, während sie ihren Nachbarn im Bombenhagel vorliest und so ihrer aller Angst mildert. Oder wenn das Mädchen verzweifelt nach Max sucht, als NS-Schergen Juden durch die Straßen nach Dachau treiben. Alles ist eine Spur zu bunt, zu überzeichnet und weckt auf verstörende Weise Erinnerungen an Märchenfilme zur Weihnachtszeit.

Der Tod als Märchenonkel

Auch ein erzählerischer Kunstgriff des Romans wird von Percival nahtlos in das Kitsch-Konzept überführt. Im Buch ist es der Tod, der von der kleinen Liesel fasziniert ist und ihre Lebensgeschichte dokumentiert - mit sarkastischen, poetischen und nachdenklich stimmenden Anmerkungen. Im Film spricht der Tod aus dem Off und seine Kommentare stehen denen eines Märchenonkels fast in nichts nach. Daran kann auch die markante Stimme von Ben Becker nichts ändern.

Liesel und Rudi gehen gemeinsam durch dick und dünn.

Liesel und Rudi gehen gemeinsam durch dick und dünn.

Ein Highlight aber hat die "Bücherdiebin" zu bieten: Der Cast ist durchweg einmalig. Watson entwickelt ein beeindruckendes Gespür für die Facetten ihrer raubeinigen Rosa, die hinter ihrer Derbheit eine große Portion Güte versteckt, und Rush versteht es, seinem sanftmütigen Hans mit kleinen Gesten große Tiefe zu verleihen.

Jungdarsteller spielen hinreißend

Besonders aber die beiden Jungdarsteller spielen mit einer hinreißenden Natürlichkeit. Nélisse ist eine großartige "Bücherdiebin" und verkörpert die Entwicklung ihrer Liesel von einem verängstigten Kind zu einem selbstbewussten jungen Mädchen perfekt. Immer an ihrer Seite: Nico Liersch in der Rolle des Rudi, des flachsblonden Nachbarsjungen, der gerne so schnell wäre wie Jesse Owens und sich nichts sehnlicher wünscht als einen Kuss von Liesel. Die gemeinsamen Szenen der beiden 13 Jahre alten Darsteller gehen zu Herzen.

Den Schauspielern ist es letztlich zu verdanken, dass der Film eine der zentralen Botschaften des Buches transportieren kann: Dass in der Himmelstraße auch inmitten von Kriegshorror Menschlichkeit und Warmherzigkeit nicht verloren gehen. Der Kern der Geschichte aber, die magische Welt der Bücher als Möglichkeit, unmenschliche Zustände zu überstehen, kann der Film mit seiner Pseudo-Romantik nicht einfangen. Der Roman trifft viel tiefer. So, wie es nur Worte können.

Quelle: ntv.de

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