Panorama

Corona-Ausbrüche in Pflegeheimen Altenheimen bleibt nur die Impfpflicht

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Die tödlichen Corona-Ausbrüche in Pflegeheimen in Schorfheide und Salzwedel sind beunruhigend. Denn in beiden Einrichtungen wurden keine Verstöße gegen die Hygienemaßnahmen festgestellt. Allerdings war die Impfquote beim Pflegepersonal sehr gering. Ist die Impfpflicht also die einzige Möglichkeit, den Corona-Winter zu überstehen?

Es waren Schlagzeilen, die während der ersten beiden Corona-Wellen häufig zu lesen waren: "Erneute Todesfälle in einem Pflegeheim nach Corona-Ausbruch". Eigentlich dürfte es nach den zahlreichen Impfungen solche Nachrichten nicht mehr geben. Und doch sind in der vergangenen Woche zwei neue Fälle von tödlichen Corona-Ausbrüchen in Pflegeheimen aufgetreten. In Brandenburg und in Sachsen-Anhalt sind insgesamt 15 Bewohner von zwei Pflegeheimen an Corona gestorben - obwohl in beiden Heimen keine Verstöße gegen bestehende Hygienemaßnahmen festgestellt wurden.

Nach Informationen von ntv.de wurden Bewohner, Mitarbeiter und Besucher des Brandenburger Pflegeheims am Werbellinsee "regelmäßig" getestet. Das Heim hat sich an die geltenden Vorschriften gehalten. In Brandenburg bedeutete das bis vor Kurzem mindestens zwei Tests pro Woche für ungeimpfte Mitarbeiter. Das Gesundheitsministerium hat das Heim sowohl im August als auch nach dem Ausbruch im Oktober besucht: "Es gab keine Beanstandung bezüglich der Hygiene, Umsetzung oder Schutzmaßnahmen", sagte Pressesprecherin von Alloheim, Alja-Claire Dufhues. Das bestätigte auch das Gesundheitsamt des zuständigen Landkreises Barnim ntv.de. Was hätten sie also anders machen sollen?

Die kurze Antwort lautet: mehr geimpfte Pflegekräfte einsetzen. In der Tat gibt es in beiden Heimen eine Gemeinsamkeit: die niedrige Impfquote des Pflegepersonals. Es war jeweils nur etwa die Hälfte des Personals geimpft. "Eine vollständig geimpfte Bevölkerung hat ein viel geringeres Risiko für einen Corona-Winter", sagt Ralf Reintjes, Epidemiologe an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Die Impfung sei also wichtig, sagt Reintjes, "aber sie ist nur einer der Bestandteile".

Denn wie die bekannte Käsescheiben-Theorie zeigt: Jede Schutzmaßnahme hat Löcher. Stapelt man verschiedene Maßnahmen - Kontaktreduzierung, Masken, Abstände, Impfung, Tests - übereinander, werden die Löcher immer weniger. In einem Pflegeheim fallen nur leider viele dieser Scheiben weg. Pflege ohne Kontakt funktioniert nicht wirklich. Also bleiben die Masken, die Impfung und die Tests. Fällt die Impfung weg, werden die Löcher immer größer.

Testen, testen, testen

Da es aber keine Impfpflicht gibt, könnte eine Stellschraube das Testen sein: Das heißt, jeden Tag testen. Alle. Auch geimpfte Menschen. Aber vor allem die Ungeimpften. Wie wichtig tägliche Tests sind, zeigt eine neue Studie des Universitätsklinikums Heidelberg. Wegen der hochansteckenden Delta-Variante sind Schnelltestergebnisse nach 24 Stunden nicht mehr aussagekräftig. Ungeimpfte Pflegekräfte müssten sich daher jeden Morgen vor Dienstbeginn testen lassen. "Zu Beginn der Infektion, wenn die Viruslast hoch ist und die meisten Übertragungen an Dritte stattfinden, schlagen die Antigentests mit einer sehr guten Genauigkeit im Bereich von 90 bis 95 Prozent an", sagt Claudia Denkinger vom Uniklinikum Heidelberg dem Deutschlandfunk.

In Brandenburg ist die Ausweitung der Testpflicht in Pflegeeinrichtungen nun geplant. Die Landesregierung in Potsdam will ungeimpftes Pflegepersonal täglich testen, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz über hundert liegt. In den beiden betroffenen Pflegeheimen würde dies bedeuten, dass jeden Tag die Hälfte des Personals getestet werden müsste. In Sachsen-Anhalt sind derzeit nur zwei Tests pro Woche vorgeschrieben. Selbst wenn die Pflegeheime bereit wären, die Kosten dafür zu tragen, hat auch diese Käsescheibe ihre Lücken: Nach Untersuchungen von Denkinger in Heidelberg würden Schnelltests etwa vier von fünf Infektionen erfassen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass 20 Prozent der Infektionen nicht entdeckt werden.

Wären alle Mitarbeiter im Haus geimpft, müssten deutlich weniger Tests durchgeführt werden. Natürlich bietet die Impfung keinen 100-prozentigen Schutz vor einer Infektion. Eine im Lancet Infectious Diseases veröffentlichte Studie zeigt, dass sich auch geimpfte Menschen mit der Delta-Variante anstecken können - und auch andere anstecken können. Entscheidend ist jedoch, dass geimpfte Personen das Virus in der Regel nur drei Tage lang weitergeben können. Bei Ungeimpften sind es sieben Tage. Vier Tage, die eine riesige Lücke in der Käsescheibe hinterlassen.

Boostern, boostern, boostern

Die Altenheime versuchen daher, sich mit den bestehenden Maßnahmen auf den kommenden Corona-Winter vorzubereiten. "Wir haben bereits im Herbst und Winter mit steigenden Zahlen gerechnet und deshalb frühzeitig mit umfangreichen Maßnahmen begonnen", sagt Bernhard Rössler, der Pressesprecher von Orpea Deutschland. Das Unternehmen hat 191 Pflegeheime in 15 Bundesländern und kämpft unter anderem mit der Tatsache, dass die Vorschriften von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sind. Das macht es schwierig, das Ziel zu erreichen: "Wir wollen die Bewohner schützen, aber gleichzeitig den Besuch und das gemeinsame Leben nicht zu sehr einschränken", sagt Rössler.

Um eine erneute Isolierung der älteren Bevölkerung zu vermeiden, hoffen viele Pflegeheime auf die Auffrischungsimpfung - sie könnte einen weiteren Schutz bieten. Daten aus Israel zeigen, wie sich ein Land aus einer Welle boostern kann. Bei Menschen über 60 Jahren, die nur zwei Impfungen erhalten hatten, gab es zehnmal mehr Infektionen als bei Gleichaltrigen, die bereits geboostert wurden. Auch die Zahl der schweren Verläufe geht zurück: Zweifach Geimpfte haben ein 20-mal höheres Risiko, im Krankenhaus zu landen als dreifach Geimpfte.

Die Pflegeheime versuchen händeringend, alle so schnell wie möglich zu boostern. Aber es scheint nicht schnell genug zu gehen: Das Pflegeheim in Brandenburg stand kurz vor der Boosterwoche, als die Corona-Infektionen ans Licht kamen. Wäre man nur ein paar Tage früher dran gewesen, wäre es vielleicht nicht zu der tragischen Situation gekommen.

Bleibt nur noch die Impfpflicht?

Der Virologe Alexander Kekulé sagt im Interview mit ntv.de, dass "die Kampagne für die Booster-Impfung zu lange auf sich warten" lasse. Die Todesfälle in Brandenburg würden zeigen, dass es nicht mehr ausreiche, "bei den Impfungen für Pflegekräfte auf Freiwilligkeit zu setzen". Deshalb habe er seine Meinung über eine Impfpflicht geändert. Angehörige medizinischer und pflegerischer Berufe, die häufig Kontakt zu Risikopatienten haben, müssten entweder geimpft werden oder sich "an eine andere Stelle versetzen lassen, wo sie mit Vulnerablen keinen häufigen Kontakt mehr haben", sagt der Virologe bei ntv.de.

Eine Impfung ist kein 100-prozentiger Schutz gegen einen Corona-Ausbruch. "Wir müssen jede Schutzmaßnahme nutzen, die sinnvoll ist", meint auch Reintjes. "Wenn ich anderen Menschen beruflich helfen will, muss ich in erster Linie diesen Menschen helfen. Die Impfung kann helfen, aber sie ist keine Garantie", sagt er weiter. Sie ist aber ein wichtiger Baustein, ohne den es sehr schwer sein wird, den Corona-Winter ohne tägliche Schlagzeilen wie "Wieder Corona-Todesfälle in Pflegeheimen" zu überstehen.

Quelle: ntv.de

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