
Beim "Women's March" nach Trumps Wiederwahl zum US-Präsidenten protestieren Frauen Anfang November in Washington.
(Foto: picture alliance / Sipa USA)
Sex ist die schönste Nebensache der Welt, heißt es oft. Doch in den USA treten einige Frauen in den Sexstreik, nachdem Donald Trump zum zweiten Mal zum US-Präsidenten gewählt wurde. Sie wollen nichts mehr mit Männern zu tun haben. Was kann diese Art des Protests wirklich bewegen?
Nach der Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten verkündeten vornehmlich linke Frauen in den USA einen Männerboykott. Die US-Amerikanerinnen bekannten sich nach dem Vorbild der 4B-Bewegung aus Südkorea dazu, Männer weder zu daten noch zu heiraten oder Sex oder Kinder mit Männern zu haben. Aber was bringt diese Art des Protests wirklich? Und welche Wirkung hat eine derartige Sexverweigerung auf die Beziehung zwischen Mann und Frau?
Dass Frauen Männern Sex verweigern, hat einen Grund: Gewalt. Auch die 4B-Bewegung entstand als Reaktion auf einen Femizid in Südkoreas Hauptstadt Seoul. 2016 erstach ein Mann eine 23-Jährige in einer öffentlichen Toilette in der Nähe eines Bahnhofs im Stadtviertel Gangnam. Der 34-jährige Täter gab später gegenüber der Polizei an, dass er die Frau nicht gekannt habe. Weil er sein Leben lang von Frauen ignoriert und herabgewürdigt wurde, habe er die für ihn Unbekannte ermordet. Aus Frust über die geschlechtsbezogene Gewalt gegen Frauen riefen Südkoreanerinnen schließlich die "4 Bs" aus: "bihon" (keine Heirat), "biyeonae" (kein Dating), "bichulsan" (kein Gebären) und "bisekseu" (kein Sex).
Während des US-Wahlkampfs verbreitete sich die Idee der 4 Bs über die sozialen Medien. "Die Bewegung fand in den USA Anklang, als dort nach Trumps Wiederwahl die Rechte von Frauen, wie etwa das Recht auf Abtreibung, erneut unter Beschuss waren", sagt die Soziologin Mirjam Fischer. "Auch hier in Deutschland fordern viele gerade die endgültige Entkriminalisierung von Abtreibung nach Paragraf 218 StGB, die als Entmündigung und Demütigung von ungewollt Schwangeren kritisiert wird."
Ein Machtkampf zwischen den Geschlechtern?
Fischer hält eine Verbreitung der B4-Bewegung in Deutschland für durchaus denkbar. Denn auch in Deutschland sind immer mehr Frauen von Gewalt betroffen. Das zeigt das "Bundeslagebild geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten" des Bundeskriminalamtes (BKA). Demnach sind 79,2 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt Frauen. Tatverdächtige häuslicher Gewalt sind laut BKA zu 89,5 Prozent Männer.
Dass Männer statistisch gesehen eher Täter und Frauen eher Opfer von Gewalt sind, ist "keine stereotypische Zuordnung, sondern ein Abbild der aktuell vorherrschenden Realität", sagt die Soziologin Fischer. "Das heißt keineswegs, dass jeder Mann ein Gewalttäter ist und Frauen niemals Täterinnen sind." Dennoch ist es viel wahrscheinlicher, dass ein Mann eine Gewalttat an einer Frau ausübt, als umgekehrt. "Grundsätzlich können alle Menschen potenziell Opfer von Gewalt und Verbrechen werden", sagt die Psychologin Juliane Burghardt.
Aber inwiefern können Frauen über einen Sexstreik die Machtverhältnisse verändern und die Gewalt stoppen? "Sex ist für Frauen immer mit einem größeren Risiko für ihre körperliche Sicherheit und mit mehr Stigma verbunden", sagt Burghardt. Sich bewusst dem Risiko sexualisierter Gewalt zu entziehen, kann eine Art Selbstschutz für Frauen sein. So ist ein Männerboykott auch eine Form der Selbstermächtigung.
Anstatt sich um die Bedürfnisse anderer zu kümmern, stellen die 4-Bs-Anhängerinnen sich selbst in den Mittelpunkt. Zudem wollen die Frauen mit ihrem Sexstreik "Aufmerksamkeit für die Gewalt und Unterdrückung erzeugen, denen weiblich gelesene Personen in unserer Gesellschaft tagtäglich ausgesetzt sind", sagt die Soziologin Fischer.
Doch ihr Boykott hat bis heute nicht für mehr Geschlechtergerechtigkeit in Südkorea geführt. Wie auch Erhebungen des OECD unterstreichen, gehört Südkorea weiterhin im internationalen Vergleich zu den Ländern mit geringer Geschlechtergerechtigkeit. "Ein Männerboykott kann das Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen nicht umkehren", sagt Fischer.
Frauenfeindlichkeit in den USA
Dass in den Tagen nach der US-Wahl frauenfeindliche Kommentare und Hass gegen Frauen im Netz zunahmen, zeigt eine Analyse des Institute for Strategic Dialogue (ISD). Genau das erfuhr die 27-jährige Abby K. aus dem US-Bundesstaat Florida, nachdem sie sich öffentlich zu den 4 Bs bekannte: In einem Video auf Tiktok verkündete sie ihre Trennung und schwor den Männern ab. Ihr Freund, ein Republikaner, war der Ansicht, dass man Trump nicht wegen eines kleinen sexuellen Übergriffs hassen könne, erklärt Abby in verschiedenen US-Medien wie TeenVogue und CNN den Grund für die Trennung.
Binnen kurzer Zeit ging Abbys Tiktok-Bekenntnis zum Sexstreik viral, der Post erreichte rund 9,5 Millionen Aufrufe. Danach ist sie nach eigenen Angaben mit Morddrohungen und Hasstiraden überschüttet worden. "Das macht nicht gerade Lust, sich wieder auf Dates einzulassen", sagte sie CNN.
Frauen, die gewaltfrei Veränderung bewirken
Es gibt aber auch Sexstreiks, die Veränderung bewirkten. Die Global Nonviolent Action Database verzeichnet mehrere erfolgreiche Fälle der sogenannten "Lysistratic nonaction", eine Form des selektiven sozialen Boykotts, bei dem Sex verweigert wird, bis bestimmte Forderungen erfüllt werden. Benannt wurde die Protestart nach Lysistrata, einer Frauenfigur der gleichnamigen Komödie des griechischen Dichters Aristophanes aus dem 4. Jahrhundert vor Christus. Die Komödie erzählt, wie Frauen, angeführt von Lysistrata, ihren Männern Sex verweigern, um den Peloponnesischen Krieg zwischen Sparta und Athen zu beenden.
Neben diesem prominenten Beispiel aus der antiken Literatur gibt es auch einflussreiche Sexstreiks aus dem 21. Jahrhundert. 2003 schlossen sich Muslimas und Christinnen in der Friedensbewegung Women of Liberia Mass Action for Peace zusammen, um die machthabenden Männer nach einem langjährigen Bürgerkrieg in dem westafrikanischen Land zu einem Friedensschluss zu bewegen. Zu den Protestaktionen der Frauen gehörte damals auch ein Sexstreik.
2011 erhielten Ellen Johnson Sirleaf, Leymah Gbowee und Tawakkol Karman, die Anführerinnen der Bewegung, "für ihren gewaltlosen Kampf für die Sicherheit von Frauen und für das Recht der Frauen auf uneingeschränkte Beteiligung an der Friedensarbeit" den Friedensnobelpreis. Wie wirksam diese Art des Protestes ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem davon, welche konkreten Forderungen die Boykotteurinnen stellen.
Sex ist keine Ware
Aber eigentlich sollte Sex doch allen Beteiligten Spaß bereiten - er ist schließlich die schönste Nebensache der Welt. Die Psychologin Burghardt sagt: "Sex kann eine wunderschöne, intime Begegnung zwischen Menschen sein, deshalb sollte er nicht zu einer Handelsware verkommen."
Ein Sexverbot fördere die Vorstellung, dass Sex eine Ware oder eine Dienstleitung sei, die man im Zuge einer Verhandlung als Verhandlungsmasse oder Pfand nutzen kann. "Das ist sicher eine problematische Idee, denn Sex sollte ein Ausdruck von Zuneigung und Vertrauen zwischen Menschen sein", sagt Burghardt.
"Ein Sexboykott gegen Männer im Allgemeinen anstatt beispielsweise gegenüber Trump- oder AfD-Wählern verhärtet die Fronten, wir begegnen uns weniger als Menschen und eher als Mitglieder einer Gruppe", sagt Burghardt. "Männern an sich grundsätzlich Sex vorzuenthalten, ohne sich den einzelnen anzusehen, ist einfach Diskriminierung." Die Psychologin hofft, dass sich Männer und Frauen in der Sache wieder annähern können. "Wir können sicherlich als Gesellschaft entscheiden, dass ein bestimmtes Verhalten nicht in Ordnung ist, aber ein ganzes Geschlecht dafür zu bestrafen, ist nicht die richtige Methode."
Quelle: ntv.de