Problematisches kulturelles Erbe Warum Frauen Opfer von Gewalt werden


Gewalt gegen Frauen äußert sich auf viele Arten.
(Foto: dpa)
Der 25. November ist der Internationale Aktionstag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Wo hat er seinen Ursprung, was löst die häufig tödliche Gewalt gegen Frau aus und wie steht Deutschland bei diesem Problem da? Fragen und Antworten zum Thema.
Wie steht Deutschland bei Gewalttaten gegen Frauen da?
Im aktuellen und ersten "Bundeslagebild geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten" verzeichnete das Bundeskriminalamt einen Anstieg um 56,3 Prozent von Straftaten gegen Frauen in allen Bereichen. Dazu gehören demnach Sexualstraftaten, häusliche Gewalt, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, aber auch digitale Gewalt, Femizide und politisch motivierte Straftaten. Marina Hackenbroch, die stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundes deutscher Kriminalbeamter vermutete, dass das Dunkelfeld dieser Straftaten sogar noch um ein Vielfaches höher sein dürfte. "Wir haben ein wirkliches Problem mit frauenfeindlicher Gewalt in Deutschland", so Hackenbroch, auch wenn inzwischen vermutlich mehr Taten angezeigt werden. Gründe dafür sind unter anderem eine größere Sensibilisierung für diese Taten, aber auch die Einführung des Straftatbestands der sexuellen Belästigung.
Was bedeutet das konkret?
In Deutschland wird jede dritte Frau mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt. Etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder durch ihren früheren Partner. Statistisch gibt es fast jeden Tag ein Todesopfer.
Was sind die Motive für Gewalt gegen Frauen?
Sowohl soziologische als auch kriminologische Forschung hat darauf eine ebenso klare wie unangenehme Antwort. Den wissenschaftlichen Ergebnissen zufolge ist die Ursache das historisch gewachsene strukturelle Machtungleichgewicht zwischen Männern und Frauen, das zumeist Täter durch geschlechtsspezifische Gewalt versuchen, aufrechtzuerhalten. In Sexualverbrechen wird beispielsweise der vermeintliche Anspruch auf die sexuelle Verfügbarkeit weiblicher Körper umgesetzt. Femizide werden häufig in Trennungssituationen beobachtet, wenn Partner die selbstbestimmte Entscheidung von Frauen, ihre Leben anders als bisher zu leben, mit tödlicher Gewalt infrage stellen. Der gesellschaftliche Wandel bezüglich Gleichberechtigung werde von Menschen, "die rigide an traditionellen Normen festhalten, als bedrohlich" empfunden, heißt es im BKA-Lagebild dazu. Das betrifft hierzulande nicht nur Männer, die aus patriarchalisch geprägten Kulturen nach Deutschland gekommen sind, sondern auch in Deutschland Geborene.
- Bei akuter Bedrohung: Notruf 110
- Beratung in Krisensituationen: Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" (08000 116 016, Anruf kostenfrei)
- Kinder- und Jugendtelefon (Tel.: 0800/111-0-333 oder 116-111; Mo-Sa von 14 bis 20 Uhr)
- Das Hilfetelefon bietet auch eine Online-Beratung per E-Mail oder Chat an.
- Frauenhäuser bieten Schutz vor Bedrohung und die Mitarbeiterinnen können bei weiteren Schritten beraten.
Im März stimmten in einer Umfrage der Organisation Plan International Deutschland 33 Prozent der befragten Männer im Alter von 18 bis 35 Jahren zu, es "akzeptabel" oder "eher akzeptabel" zu finden, wenn ihnen im Streit mit der Partnerin gelegentlich "die Hand ausrutscht". 34 Prozent gaben an, gegenüber Frauen "schon mal handgreiflich" zu werden, um ihnen Respekt einzuflößen.
Warum ist inzwischen bei Tötungen von Frauen von Femizid die Rede?
Seit den 1970er-Jahren setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass viele Tötungsdelikte an Frauen und Mädchen auf Machtdynamiken zwischen den Geschlechtern zurückzuführen sind. Dafür bürgerte sich der Begriff Femizid ein, der ursprünglich einfach Frauenmord bedeutete. Inzwischen wird unter Femizid etwa beim Europarat Gewalt verstanden, "die gegen eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist, oder die Frauen unverhältnismäßig stark betrifft".
Was versprechen sich die Täter von der Gewaltausübung gegen Frauen?
Psychologisch geht es zumeist darum, die gefühlte oder tatsächliche Bedrohung männlicher Dominanz abzuwehren. Bedrohungen, Beschimpfungen, Kontrolle oder körperliche Gewalt werden eingesetzt, um Frauen wieder an "ihren Platz" zu verweisen. Dies kann im privaten, im öffentlichen oder digitalen Raum geschehen.
Gibt es Risikofaktoren für systematisch gegen Frauen gerichtete Gewalt?
"Aus der Forschung weiß man, dass Gewalt gegen Frauen in Krisensituationen ansteigt", sagte Karin Heisecke, Expertin für Gewaltschutz bei Frauen, ntv. Das trifft sowohl gesamtgesellschaftlich als auch individuell zu. So stiegen beispielsweise während der Corona-Pandemie die Zahlen bei häuslicher Gewalt rapide. Aber auch wachsende wirtschaftliche Unsicherheit führt zu einem Anstieg von Gewaltzahlen.
Was lässt sich dagegen unternehmen?
Die Lösungsansätze richten sich zum einen darauf, Frauen in Gewaltsituationen besser zu schützen. Dazu gehört der Ausbau von Hilfestrukturen wie Frauenhäuser ebenso wie Aufklärung darüber, dass Frauen oder Mädchen Gewalt weder in der Familie noch im gesellschaftlichen Umfeld ertragen müssen. Gleichzeitig geht es darum, Polizei und Gerichte für die Mechanismen von Gewaltausübung gegenüber Frauen zu sensibilisieren. Die aktuelle Minderheitsregierung versucht, das überarbeitete Gewaltschutzgesetz noch zu verabschieden. Es würde dann auch um "verpflichtende Täterarbeit" und elektronische Aufenthaltsüberwachung ergänzt werden. Gewaltschutzexpertin Heisecke nannte im Gespräch mit ntv jedoch als wesentlichen Ansatz zur Beendigung der Gewalt schlicht, dass Männer aufhören müssten, diese Gewalt gegen Frauen auszuüben.
Welchen Hintergrund hat der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen?
Die Vereinten Nationen beschlossen am 25. November 1999, den Tag alljährlich zum Internationalen Aktionstag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen zu machen. Das Datum geht auf die Ermordung der Schwestern Patria, Minerva und María Teresa Mirabal zurück. Diese wurden am 25. November 1960 in der Dominikanischen Republik vom militärischen Geheimdienst bei einem fingierten Autounfall getötet, weil sie sich gegen den damaligen Diktator Rafael Trujillo zur Wehr gesetzt hatten.
Quelle: ntv.de