Panorama

Warhol als Erwerbsquelle Die Mafia liebt teure Kunst

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Die italienischen Behörden zeigen, was sie sichergestellt haben.

Die italienischen Behörden zeigen, was sie sichergestellt haben.

(Foto: Andrea Scuratti/Comune di Milano)

"Mit der Kunst ernähre ich meine Familie", schrieb der mittlerweile verstorbene Mafiaboss Matteo Messina Denaro. In Mailand läuft gerade eine sehenswerte Ausstellung von Kunstgemälden, die aus den Fängen der Mafia gerettet wurden.

Was hat die Mafia mit Kunst und Schönheit zu tun? Nichts ist die Antwort, die wahrscheinlich reflexartig jeder Normalbürger geben würde. Brutalität und Sinnlichkeit haben nichts gemeinsam. Wer es schafft, einen zwölfjährigen Jungen zwei Jahre gefangenzuhalten, ihn dann zu ermorden und seinen Leichnam in Säure aufzulösen, der wird sich kaum an einem Werk des amerikanischen Verhüllungskünstlers Christo erfreuen.

Die Schlussfolgerung ist nachvollziehbar, aber falsch, wie eine Ausstellung im Mailänder Palazzo Reale, gleich beim Dom, zeigt. Die Ausstellung hat als Titel das Wortspiel "salvArti". "Arti" steht für Künste, "salvare" für retten; "salvarti" bedeutet aber auch "dich retten". Damit möchten die Macher der Ausstellung darauf hinweisen, dass es sich bei den insgesamt 83 gezeigten Exponaten um Gemälde handelt, die gerettet wurden. Auch die Kunstwerke dienten einst den Geschäften der Mafiosi, vor allem der Geldwäsche.

Eine Arbeit von Robert Rauschenberg in der Mailänder Ausstellung

Eine Arbeit von Robert Rauschenberg in der Mailänder Ausstellung

(Foto: Andrea Scuratti/Comune di Milano)

Dabei handelt es sich nicht um zweitrangige Werke von Künstlern, deren Namen noch nie jemand gehört hat. Im Gegenteil. Das auf Seide gedruckte Werk "Plus Fours" des amerikanischen Künstlers Robert Rauschenberg, eines der Pioniere der New-Dada-Bewegung, hängt neben dem Gemälde "Summer Arts in the Parks" von Andy Warhol, mit weißen Blumen auf hellblauem Hintergrund. Ein paar Schritte weiter findet sich Keith Harings "Kh Mural", mit seinen leicht jonglierenden Männchen. Und natürlich sind auch viele Werke namhafter italienischer Künstler präsent: Giorgio De Chiricos metaphysische "Piazza Italia", ein Schnittbild von Lucio Fontana und etliche futuristische Werke, signiert von Mario Sironi, Carlo Carrà von Mario Sironi, um nur ein paar zu nennen, sind auch zu bewundern.

Galerie und Geldwäsche

"Werke, die in den Kreisen der organisierten Kriminalität verborgen bleiben sollten, werden hiermit an die Gemeinschaft zurückgegeben", erklärte Präfektin Maria Rosaria Lagana bei der Eröffnung. Die Ausstellung zeige "symbolisch den Widerstand gegen die Kriminalität", ergänzte Lagana, die seit September die Nationale Agentur für die Verwaltung von Eigentum aus organisierter Kriminalität leitet. Diese betreibt unter anderem eine Plattform, auf der von der Mafia beschlagnahmtes Eigentum - darunter Ferraris oder Harley-Davidsons - versteigert wird.

Über die Ermittlungen, die zur Beschlagnahmung und später zur Konfiszierung geführt haben, erfährt man leider fast nichts. Aus dem Katalog kann man immerhin entnehmen, dass von den ausgestellten Werken 61 bei Ermittlungsverfahren in Rom sichergestellt wurden.

Im Fokus der Carabinieri und der Finanzpolizei standen ein großangelegter Betrug und internationale Geldwäsche. Während der Ermittlungen stießen die Sicherheitskräfte auf ein Unternehmen, das mit moderner und gegenwärtiger Kunst handelte, sowohl auf eigene Rechnung als auch im Auftrag Dritter. Außerdem besaß das Unternehmen eine Kunstgalerie in der zentralen römischen Via Margutta, in der die renommiertesten Antiquare und Kunsthändler Roms zu Hause sind.

Die anderen 22 ausgestellten Werke kommen aus einer Ermittlung in Reggio Calabria. Sie wurden bei einem Unternehmer gefunden, der offiziell Inhaber eines Verleihs von Videospielen war, in Wahrheit aber im großen Stil Steuern hinterzog und eng mit der organisierten Kriminalität im Geschäft stand.

Kunsthandel ist dritte Erwerbsquelle der Mafia

Diese Beispiele erklären aber nicht, warum sich die Mafiosi für wertvolle Kunstwerke interessieren. Man kann sich schwer vorstellen, dass der verstorbene Matteo Messina Denaro, ein blutrünstiger Mafioso, der fast 30 Jahre auf der Flucht war, bevor er im Januar gefasst wurde, seine Zeit auch damit verbrachte, die Kunstwerke in seinem Besitz zu betrachten.

Eine Reportage der Tageszeitung "La Repubblica" aus dem Jahr 2015 gibt dazu interessante Einblicke. Unter dem Titel "Kunstschätze in den Händen der Mafia" berichtete die Zeitung unter anderem darüber, dass die Carabinieri zusammen mit Kollegen des FBI auf ein geheimes Archiv gestoßen waren, das den illegalen Kunsthandel und das Mitwirken der Mafia beleuchtete. Zwei Namen kamen dabei immer wieder vor: der von Matteo Messina Denaro und der von Castelvetrano, der Gemeinde, aus der er stammte.

Es hieß, Messina Denaro habe zahlreiche Kunstdiebstähle angeordnet. Darunter auch den des "Tanzende Satyrs", einer Bronzestatue aus dem 4. Jh. v. Chr., die sich heute im eigens dafür errichteten Museum in der sizilianischen Küstenstadt Mazara del Vallo befindet. Dieser Diebstahl missglückte jedoch, weil zwei der damit beauftragten Mafiabosse kurz zuvor verhaftet worden waren.

Das mit den Kunstdiebstählen hatte Messina Denaro von seinem Vater Francesco. 1962 organisierte dieser den Diebstahl der Bronzestatue des "Ephebe von Selinunt". Wahrscheinlich war das für die Diebe ein Kinderspiel, da die 85 Zentimeter kleine Statue auf dem Schreibtisch des damaligen Bürgermeisters von Castelvetrano stand. Die Statue wurde zuerst in die USA gebracht, dann in die Schweiz und zuletzt wieder zurück nach Sizilien, als man sah, dass es keinen Käufer dafür gab.

Leidenschaft oder Gier?

Der Besitz eines renommierten Gemäldes trägt sicher auch zum Ruf und dem Ansehen eines Mafiabosses bei. Der eigentliche Grund, weswegen sich die Mafiosi für Gemälde interessieren, ist aber wahrscheinlich ein anderer. In einer Studie der Forscherin Geraldina Ceschi aus dem Jahr 2020 heißt es, dass die Geschäfte mit gestohlenen Kunstwerken die drittwichtigste Geldquelle der organisierten Kriminalität sind.

Doch wer berät die Mafiosi? Die meisten verfügen nicht über einen Doktor in Kunstgeschichte und haben maximal fünf Jahre die Schule besucht, zumindest die Mafiosi der alten Garde. Es gibt aber anscheinend genügend willige Berater, Kunstkenner und Kunsthändler. Nicht zuletzt, weil diese Art von Geschäft sehr diskret abgewickelt wird und deshalb schwer zurückzuverfolgen ist.

In Mailand wird "salvArti" bis 26. Januar 2025 zu besichtigen sein, der Eintritt ist frei. Vom 8. Februar bis 25. April 2025 ist die Ausstellung dann in Reggio Calabria, danach werden die Werke auf verschiedene Museen verteilt.

Zum Abschluss noch eine Anekdote: Giulio Tremonti Wirtschaftsminister unter einer der Berlusconi-Regierungen soll einst gesagt haben: "Mit der Kunst isst man nicht." Eine Feststellung, die Jahre davor der Mafiaboss Matteo Messina Denaro dementiert hatte. In einer schriftlichen Nachricht - im Mafia-Jargon 'pizzino' genannt - soll er geschrieben haben: "Mit der Kunst ernähre ich meine Familie."

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen