Reaktionen auf Brand in Moria Feuer in Lager "trifft die Schwächsten"
09.09.2020, 14:47 Uhr
Nach dem Feuer in der Nacht im überfüllten Flüchtlingslager auf Lesbos sind mehr als 12.000 Menschen obdachlos.
(Foto: AP)
Entsetzen und Unverständnis - die Reaktionen in Deutschland auf das Feuer im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos sind relativ einhellig. Die Debatte um Aufnahme und Verteilung der Menschen auf die EU-Staaten ist neu entfacht - und ein Landeschef überrascht mit einem konkreten Hilfsangebot an Griechenland.
Bei Twitter ist unter dem Hashtag #Moria die Zahl der Einträge binnen weniger Stunden auf mehrere Zehntausend Tweets gestiegen. Diverse Politiker und Hilfsorganisationen prangerten die Flüchtlingspolitik von Deutschland und der Europäischen Union an. Doch auf einem deutschen Twitter-Profil ist es noch sehr "still": Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich bislang nicht zu dem verheerenden Brand in dem Flüchtlingslager geäußert. Über den Account, den der Regierungssprecher Steffen Seibert für die CDU-Politikerin betreut, wurde am Mittag lediglich ein Tweet von Steve Alter, Sprecher des von Horst Seehofer geführten Bundesinnenministeriums, retweetet:
Am frühen Nachmittag teilte das Ministerium nach einem Telefonat von Ressortchef Horst Seehofer mit dem griechischen Migrationsminister Notis Mitarakis mit, dass die Bundesregierung Hilfe anbieten wird. Zunächst wolle man mit den griechischen Behörden klären, welche Hilfe nötig ist, und diese dann "zügig und unkompliziert bereitstellen", sagte der Sprecher von CSU-Politiker Seehofer.
Außenminister Heiko Maas nannte das Feuer im Flüchtlingslager Moria eine "humanitäre Katastrophe". "Mit der EU-Kommission und anderen hilfsbereiten EU-Mitgliedstaaten müssen wir schnellstens klären, wie wir Griechenland unterstützen können. Dazu gehört auch die Verteilung von Geflüchteten unter Aufnahmewilligen in der EU", erklärte der SPD-Politiker.
Auch seine Parteikollegin und SPD-Vorsitzende Saskia Esken forderte, die Bundesregierung müsse nun den Weg für eine Aufnahme der Geflüchteten von Moria in den Kommunen freimachen. "Wir müssen umgehend Hilfe vor Ort leisten und die Menschen, darunter viele Familien und Kinder, da rausholen", schrieb sie auf Twitter.
Die Union stellte sich gegen einen deutschen Alleingang: Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, sprach sich gegen eine nationale Hilfsaktion für die dort lebenden Menschen aus. "Die neueste Entwicklung auf Lesbos macht deutlich, wie dringend eine europäische Antwort auf die Flüchtlingsentwicklung ist", sagte der CDU-Politiker.
Die AfD forderte, die Asylverfahren der Menschen in Moria möglichst schnell abzuschließen und diejenigen, die keinen Anspruch auf Schutz haben, in ihre Heimatländer zurückzubringen. "Das sind immer noch die Folgen der falschen Anreize, die Frau Merkel 2015 gesetzt hat", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann.
Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, die FDP-Politikerin Gyde Jensen, forderte sofortige Hilfe. Bundesinnenminister Horst Seehofer dürfe die Aufnahme weiterer Geflüchteter "nicht länger pauschal ausschließen".
Eine Evakuierung aller griechischen Lager forderte Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Den Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagte sie: "Deutschland muss handeln - nicht erst seit heute, sondern schon seit Jahren. Aber die Bundesregierung bremst Hilfe aus, wo sie nur kann."
Auch der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil schrieb in einem Tweet: "Seehofer muss die Blockade beenden." Er erinnerte an die Bereitschaft vieler Kommunen und der SPD-geführten Länder, Menschen aus dem Camp Zuflucht zu gewähren.
"Berlin und Thüringen haben sich bereits zur Aufnahme von Geflüchteten erklärt, aber Seehofer blockiert", schrieb auch der scheidende Linken-Parteichef Bernd Riexinger auf Twitter. "Dieses Zeichen der Schande der EU brennt direkt vor dem deutschen Innenministerium!"
Auf landespolitischer Ebene hat das Feuer im Lager auf Lesbos ebenfalls viele Reaktionen hervorgerufen. Erst im August hatten SPD-Innenminister aus Thüringen, Berlin und Niedersachsen das Gespräch mit Seehofer gesucht und sich bereit erklärt, besonders schutzbedürftige Flüchtlinge aufzunehmen, aber vom Bundesinnenminister eine Absage kassiert. Scheute Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius als einer der Fürsprecher im August noch den Konflikt mit Seehofer, formulierte der SPD-Politiker es jetzt deutlich: "Ich fordere die Bundesregierung und die europäischen Staaten auf, das Lager aufzulösen und die Menschen über die EU zu verteilen, damit sie dann in Europa ihr Asylverfahren durchlaufen können." Das überfüllte Lager sei das "Symbol für das Versagen europäischer Flüchtlingspolitik", die die Menschen vor Ort quasi zu "Gefangenen gemacht" habe. "Es trifft die Schwächsten", sagte Pistorius, der das Camp auf Lesbos 2019 selbst besucht hatte.
Die rheinland-pfälzische Integrationsministerin Anne Spiegel hat die sofortige Aufnahme von 1000 Geflüchteten in Deutschland gefordert. Davon könnten nach dem Königsteiner Schlüssel 50 in Rheinland-Pfalz untergebracht werden. Sie erwarte entsprechende Signale von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und von Bundesinnenminister Horst Seehofer, sagte die Grünen-Politikerin.
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet äußerte sich bestürzt über das Feuer auf Lesbos und machte ein konkretes Angebot an den griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis: Nordrhein-Westfalen will bis zu 1000 Flüchtlinge aus dem Flüchtlingscamp aufnehmen, wie er der Deutschen Presse-Agentur sagte."Die Menschen auf der Flucht haben nach dem Feuer alles verloren, selbst das einfache Dach über dem Kopf", erklärte der CDU-Politiker seinen Vorstoß. In einem Tweet nach dem Pressegespräch erwähnt er die Zahl jedoch nicht mehr:
"Es ist erbärmlich, dass die EU so lange zugeschaut hat, bis es in Moria zu dieser Eskalation gekommen ist", empörte sich der nordrhein-westfälische Flüchtlingsminister Joachim Stamp auf Twitter. Der FDP-Politiker forderte eine rasche Reaktion von Bund und EU. Auch er hatte das Lager kürzlich besucht.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zeigte sich nach dem verheerenden Brand des griechischen Flüchtlingslagers Moria betroffen. Sie sei tief traurig, schrieb die CDU-Politikerin auf Twitter. "Wir stehen mit den Mitgliedstaaten bereit, zu helfen." Ähnlich wie von der Leyen äußerte sich auch EU-Ratschef Charles Michel. Seine Gedanken richteten sich an alle, die in Gefahr geraten seien.
Zuvor hatte die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson bereits zugesagt, den unverzüglichen Transfer und die Unterbringung der 400 unbegleiteten Minderjährigen aus dem Lager zu finanzieren. Sie sei in Kontakt mit dem griechischen Minister und den lokalen Behörden, schrieb die Schwedin auf Twitter. Dabei habe sie zugestimmt, den unverzüglichen Transfer und die Unterbringung der verbleibenden 400 unbegleiteten Kinder und Jugendlichen aufs Festland zu finanzieren. "Die Sicherheit und der Schutz aller Menschen in Moria hat Priorität."
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl machte die Bundesregierung und EU für den Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria verantwortlich. "Die Katastrophe von Moria ist eine Folge der skandalösen und menschenverachtenden deutschen und europäischen Politik", sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt. In dem Lager seien Tausende Menschen "psychisch zermürbt" worden. Amnesty International und weitere Organisationen forderten eine rasche Evakuierung des Lagers und eine Umverteilung der Bewohner in andere europäische Staaten. "Nur durch eine angemessene Unterbringung, den Zugang zu medizinischer Versorgung sowie zu einem fairen Asylverfahren können endlich Menschenrechte eingehalten werden", hieß es von Amnesty.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, reagierte mit "Trauer und Entsetzen" auf die Bilder vom brennenden Flüchtlingslager Moria. "Das Ausmaß des Brandes lässt Schlimmes befürchten. Noch ist unklar, ob Menschen zu Tode gekommen sind. Meine Befürchtungen sind groß. Und meine Gebete intensiv", sagte er.
Quelle: ntv.de, joh/AFP/dpa