Panorama

"Mir ist nicht komplett bange" Guttenberg über Kirche, Kritik und Klangschalen

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Ringt hin und wieder mit seinem Glauben, auch wenn er Halt darin findet: Karl-Theodor zu Guttenberg.

Ringt hin und wieder mit seinem Glauben, auch wenn er Halt darin findet: Karl-Theodor zu Guttenberg.

(Foto: IMAGO/Future Image)

Kritisch, aber wohlwollend. Beten gerne, aber auch Erfahrungen mit Klangschale und Meditation werden thematisiert: Karl-Theodor zu Guttenberg hat einen Film gedreht, der den Zuschauer nach dem Ansehen entspannt und nachdenklich zurücklässt. Guttenberg sucht nach Antworten und weist auf Machtverhältnisse und Missstände in Deutschlands Kirchen hin. Er trifft unter anderem ein Missbrauchsopfer, das seine schockierenden Erlebnisse erzählt, und er setzt sich mit einer Reformerin auseinander, die die Grundfesten der katholischen Kirche erschüttern will. Außerdem erfährt er von einem Insider erstaunliche Dinge über das "System Vatikan" und ein Finanzexperte enthüllt, wie reich die Kirchen in Deutschland immer noch sind. Wie froh er selbst darüber ist, dass sein Resümee in Sachen Kirche am Ende positiv ausfällt, erfahren Sie im Interview mit ihm.

ntv.de: Brauchen wir Religion?

Karl-Theodor zu Guttenberg: Ich glaube, der Mensch braucht immer Religion. Das kann keine Yoga-Matte ersetzen. Das ist ein schönes Extra, aber der Mensch hat ja noch so viele ungeklärte Fragen im Leben, vor allem auch, was das Ableben anbelangt. Wir werden ohne Religion wohl nicht auskommen.

Greifen wir immer nur zur Kirche in den besonderen Momenten unseres Lebens? Geburt und Taufe, Heirat, dann der Tod und die Beisetzung. Wenn's gut läuft, gehen einige noch zu Ostern und zu Weihnachten in die Kirche, für das Gemeinschaftserlebnis ...

Ich stimme Ihnen zu, dass die Attraktivität der Kirche enorm nachgelassen hat. Kirche ist in vielen Momenten zu einem Event geworden, wie Sie es aufzählen. Wobei ich ein Begräbnis natürlich niemals als Event bezeichnen würde. Ein kirchliches Begräbnis ist den meisten aber wichtig. Das zeigt, wie entfremdet sich das Verhältnis Mensch - Kirche heute darstellt. Das Gemeinschaftserlebnis ist aber ein ganz wichtiger Punkt, da wir in allen sonstigen Lebensbereichen ja heute getrieben werden, individualistisch zu sein. Ein Kirchenbesuch sollte keine Bürde sein, und vor allem sollte die Kirche nicht der Ort für schlechte Nachrichten sein. Da kommt jetzt einiges zusammen, vor allem, weil die Kirche in den letzten Jahren ja oft für wirklich schlechte Nachrichten gesorgt hat. Nachrichten, die sie unmodern erscheinen lässt und die sie teilweise mit den schlimmsten Abgründen in Verbindung bringt. Da gibt es ein paar Hausaufgaben nachzuholen. Aber die Kernnachricht, die die Kirche verbreitet, ist ja nach wie vor eine extrem tröstliche. Eine, die den Menschen Halt geben kann. Das ist wichtig.

Wann hilft Ihnen der Glaube?

Das tut er fast täglich. Ich gestehe aber, dass ich nicht jeden Sonntag in die Kirche gehe, und: Ich habe dabei nicht einmal ein bohrend schlechtes Gewissen (lacht). Der Glaube ist etwas, was mir immer wieder einen Grundhalt im Leben gibt. Und auch die kritische Auseinandersetzung mit meinem Glauben, die durchläuft immer wieder Wellentäler. Das finde ich aber gut, weil es eine aktive Auseinandersetzung ist. Ich finde auch nicht immer Antworten auf alle Fragen, die unser irdisches Dasein ausmachen. Und schon gar nicht auf die Frage, was sich danach - in anderen Formen - ausgestalten möge. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich bin jemand, der nicht nur mit der Institution Kirche, sondern auch gelegentlich mit seinem Glauben ringt.

Wie sieht das aus, Ihr Ringen mit dem Glauben?

Wenn es um die Institution geht, dann betrachte ich sehr genau, wie sich die irdischen Vertreter der Kirche verhalten. Wie sie teilweise Gefahr laufen, den Karren an die Wand zu fahren. Die Kirche wandert auf einem schmalen Pfad: Wenn man sich zu sehr anpasst, droht man, die Kernnachricht zu verwässern, denn es findet richtigerweise ein Dialog statt. Auf der anderen Seite hat man das Gefühl, dass sich bei den Kämpfen alle ineinander verhaken, dass man dann als Katholik auch seine Stimme in Rom verliert. Die evangelische Kirche ringt mit ganz anderen Themen. Allen aber laufen die Leute weg, treten aus der Kirche aus. Dabei geht es um die großen Themen! Bei den Katholiken sind es on top noch die Themen Zölibat und ob Frauen Priester werden können - was ich für dringend geboten halte! Ich ringe auch mit dem Thema Kirchensteuer, das wird ja selbst in Rom kritisch betrachtet (lacht). Allerdings gilt es, wenn man etwas ändern möchte, dass man in "dem Club" dabei sein sollte und nicht nur von außen versucht einzuwirken. Austritt ist daher keine Option für mich.

Ist es schwerer geworden, an Gott zu glauben?

Ich denke, dass die Antworten auf die meisten Fragen im Alten und im Neuen Testament zu finden sind. Besonders im Neuen Testament. Was fehlt, ist allerdings eine kluge "Übersetzung" in unsere Zeit, und das wäre die Aufgabe der Institution Kirche. Dorthin muss sich die Konzentration wieder richten, denn das kann ein junger Mensch nicht für sich selbst herausfinden, dafür ist die Welt zu komplex, zu bedrohlich geworden. Früher war es so, dass wenn einen große Schicksalsschläge heimgesucht haben und die großen Themen der Welt immer überwältigender wurden, dass man dann den Weg zum Glauben gesucht und hoffentlich jemanden gefunden hat, der einem bei der Vermittlung half. Daran mangelt es heute: Durch den mangelnden Zuspruch zur Kirche entsteht eben auch ein Mangel an Geistlichen, und die wenigen haben keine Zeit, weil sie sich um ihre eigenen Skandale kümmern müssen. Das ist ein Teufelskreis.

Kann sich dieses Rad nochmal drehen?

Das glaube ich und das hoffe ich.

Wir brauchen also eine neue Interpretation, eine Zusammenfassung der Bibel …

Die Versuche gab und gibt es ja. Kirche ist sehr global aufgestellt, und die Probleme in Deutschland unterscheiden sich von denen in anderen Ländern. Man wird also keine einheitlichen Antworten auf alles finden können. Woanders gelingt es tatsächlich oft besser, die Botschaft der Kirche zu vermitteln, vielleicht weil man deren Inhalte etwas runterbricht. Und auch, weil man eine verständlichere Sprache spricht.

Wäre es nicht schöner und auch einfacher, sich mehr auf die zehn Gebote zu konzentrieren?

Ja, auf jeden Fall, die haben eine universelle Gültigkeit. Im Gegensatz zu Gesetzen enden Gebote ja nicht an der jeweiligen Landesgrenze. Und es ist etwas, das Menschen jeden Alters eine Richtschnur sein kann. Wenn man diese Richtschnur aufnimmt, dann kann man die nächsten Schritte gehen, dann kann man in die Gleichnisse gehen. Da könnten ein paar neue Übersetzungen aber sicher auch nicht schaden (lacht).

Also, wenn man dabeibleibt, in der Kirche, dann darf man sich Kritik erlauben …

Das darf man auch von außerhalb - ob es etwas bringt, ist die Frage. Aber mein In-der-Kirche-sein war auch der Grund, warum ich es mir erlaubt habe, einen Film zu machen. Einerseits will ich die Kirche nicht vom Haken lassen, andererseits will ich mit einer gewissen Glaubhaftigkeit an den Themen dranbleiben. Es droht vieles verloren zu gehen, weil wir uns nur noch geifernd auf die Skandalgeschichten stürzen. Mit meinem Film geht es mir vor allem um eine gewisse Balance, wenn wir uns dem Thema Kirche annähern.

Mich hat Ihre bunte Auswahl an Gesprächspartnern erfreut. Was hat Sie am meisten überrascht bei den Dreharbeiten?

Tatsächlich meine einzelnen Gesprächspartner. Ich hatte natürlich überlegt, wie ich da rangehe: Mein Netzwerk nutzen wie bisher immer oder mal ganz anders. Das "übliche Personal" wäre aber vielleicht etwas zu einfach gewesen. Die Kirche lebt ja von ihren normalen Mitgliedern und auch von denen, die sich abwenden von der Kirche. Also habe ich zum Beispiel mit Gregor Gysi und Günther Jauch - die verbindet man nicht sofort mit Kirche - gesprochen ...

... wenngleich die beiden auch eine Art Prediger sind …

(lacht) Das stimmt, aber sie reden in einer offenen und herzlichen Art, die aus "dem Jauch" nicht den Moderator Jauch, sondern den Christ Jauch macht. Mir haben vor allem die überraschenden Noten gefallen, die diese Gespräche mit sich brachten. Wer mich aber am meisten berührt hat, das war der 19-jährige Priesterkandidat, dieser Bub, der einen so anderen Weg gehen will als andere Gleichaltrige. Mit einer Eloquenz, aber gleichzeitig so kritisch, das hat mich beeindruckt. Und nimmt mir auch ein wenig die Sorge um die Zukunft.

Sollte die Kirche, sollten die Kirchen lauter sein? In der Situation, in der sich die Welt gerade befindet?

Auch hier muss man differenzieren. Es gibt ja viele, die sich äußern. Es gibt diese kulturelle Verwurzelung der christlichen Kirche in vielen Teilen der Welt, die unsere Kultur geschaffen hat. Wichtig ist es, sein Höchstmaß an Toleranz zu behalten und offen anderen gegenüber zu bleiben. Die Kirche sollte aber tatsächlich öfter eine Brückenfunktion einnehmen.

Meditieren oder beten?

Ich meditiere oft, gern auch ohne Rosenkranz, das liegt mir mehr. Der Mensch hat eine Sehnsucht nach Spiritualität, und ich begrüße das, wenn Leute versuchen, herunterzukommen, sich auf sich besinnen wollen. Ob nun auf der Kirchenbank oder auf der Yogamatte - die in meinen Augen sehr viel bequemer ist (lacht).

Die Kirche wird so kritisch betrachtet, besitzt aber immer noch eine ungeheure Macht - wie erklären Sie sich das?

Mal abgesehen davon, dass die Kirche einer der größten Arbeitgeber weltweit ist und dass die Kirche über unglaublich viel - teilweise unglaublich ungerecht verteiltes - Geld verfügt, ist es der Faktor Marke, der mich besonders interessiert. Und ja, ich mache mir zwar Sorgen um die Kirche, aber mir ist nicht komplett bange.

Mit Karl-Theodor zu Guttenberg sprach Sabine Oelmann

Die Doku "Um Gottes Willen? Die Macht der Kirche in Deutschland" können Sie am 26. Dezember um 15.10 Uhr bei ntv sehen.

Quelle: ntv.de

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