Ein Land wie eine Weihnachtsgans Die CDU hat ihren Fokus gefunden - dank Gendern und Hamas


Weihnachten bei der CDU nur mit Baum - natürlich freiwillig.
(Foto: picture alliance / Flashpic)
Es gibt gute Gründe, den Konservativen dankbar zu sein. Die CDU allerdings meint, das wahre Deutschland vom unwahren unterscheiden zu können. Damit gefährdet sie die Werte, die sie verordnen will.
Deutschland ist über die letzten Jahrzehnte linker und verlogener geworden, aber selten hat sich das so sehr gezeigt, wie Ende 2023. Die Verlogenheit zeigt sich dabei im Großen wie im Kleinen. Beginnen wir, es ist schließlich eine Kolumne, mit dem Kleinen.
Pünktlich zu Weihnachten bricht Streit aus über einen Tannenbaum. Eine Kindertagesstätte in Hamburg-Lokstedt hatte keines dieser Nadelgewächse, darauf empörten sich einige Eltern. Markus Söder, dieses Trüffelschwein für Wutpilze, setzte sich sofort aufs Thema: "Das ist absurd. Haben wir denn keine anderen Probleme? Zu Weihnachten gehört ein Weihnachtsbaum", twitterte er, als ob wir keine anderen Probleme hätten.
Linke und Verzagte reagierten, wie sie immer reagieren, wenn jemand deutsche Kultur verteidigt: hysterisch. Von "Fake News" sprachen nun Söders Kritiker und Apologeten eines kulturneutralen Deutschlands und übernahmen damit vollständig kritiklos die Bewertung der Kindertagesstätte.
Strafanzeige - frohe Weihnachten!
"Fake News"? Hatte die Kindertagesstätte etwa doch einen Weihnachtsbaum? Nein - beziehungsweise ganz kurz doch, weil Pflanzenhändler Florian Schröder ihr kurzerhand einen hinstellte. Die Kita wiederum stellte daraufhin auch etwas, nämlich Strafanzeige. Frohe Weihnachten! Und hat die Kindertagesstätte den Verzicht auf die (übrigens heidnische) Tanne etwa nicht mit kultureller Neutralität begründet? Doch, doch, "Religionsfreiheit" war der Grund. Das Einzige, was Söder und andere Kritiker nicht mitlieferten, war die Tatsache, dass ohnehin nicht jedes Jahr ein Baum in der Kita steht. Als ob dies alles änderte.
Es herrscht große multikulturelle Verdruckstheit, womit wir beim Großen wären: dem Hass auf Juden. Ob Kunst, Wissenschaft, Linke oder organisierte Muslime, weite Teile der deutschen Gesellschaft haben nach dem 7. Oktober in beschämender, eisiger Art versagt. Tapfer rufen Israel-Freunde Solidaritätsadressen in den grauen Dezemberhimmel, aber selbst diese Kundgebungen sind inzwischen spärlich besucht. Und wo die Zivilgesellschaft sich nicht mehr zu kultureller, auch kämpferischer Identität durchringen kann, rückt irgendwann der Staat an.
Und damit kommen wir zur CDU. Die findet in diesem Schlamassel nämlich ihren Fokus: Die Partei entwirft ein Grundsatzprogramm und schlägt Töne an, die sie sich vorher nicht getraut hat. Es ist ein rechtes Programm und eine Reaktion auf die eine versagende, haltungslose linke Gesellschaft. "Greta Thunberg hat mich rechts gemacht", räumte ich hier kürzlich ein, und so geht es offenbar auch der konservativen Volkspartei.
Leitkultur like it’s 1998
Gender-Gaga, linker und muslimischer Antisemitismus haben dem deutschen Konservatismus das gegeben, was ihm fehlte: Fokus und Entschlossenheit. Merz und seine CDU haben den gesellschaftlichen Puls gefunden und gute Aussichten, die Ampelruine abzulösen, früher oder später. Und was passiert dann?
Die CDU zeigt sich in ihrem Entwurf eines Grundsatzprogramms offener für Kernkraft als selbst die AfD. Sie will die EU-Außengrenzen besser sichern. Hellhörig machen aber vor allem ihre kulturellen Ideen: "Eine vielfältige Gesellschaft braucht eine deutsche Leitkultur. Ein Regelwerk, welches den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt."
Leitkultur - die wabert durch die CDU seit über zwanzig Jahren, doch nun wird es konkreter: So will die CDU die "grammatikalisch falsche Gender-Sprache" an Universitäten, im Rundfunk und an staatlichen Institutionen verbieten. Und sie macht Muslimen eine Ansage: "Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland." Und, glasklar: "Die Scharia gehört nicht zu Deutschland."
Deutschland ist keine Weihnachtsgans
Das ist eine Abkehr von "der Islam gehört zu Deutschland", wie von Christian Wulff ausbuchstabiert und Angela Merkel verkörpert. Der Kulturkampf im Grundsatzprogramm mag manchen Konservativen ein weihnachtliches Leuchten in die Augen zaubern, aber bei mir führen sie zu Magendrücken wie eine Packung Dominosteine.
"Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland" - weder die Voraussetzungen noch die Folgen dieses Satzes sind ansatzweise konturiert. Welche Werte? Wie teilt man sie? Was passiert, wenn man als Muslim nicht mehr zu Deutschland gehört?
Wichtiger als diese Unschärfen ist der fundamentale Denkfehler: Sätze, in denen Politiker bestimmen, wer oder was zu Deutschland gehört und was nicht, sind eine freiheitsverachtende Übergriffigkeit. Wer so spricht, ist schlicht ein Populist. Populisten sehen sich als eine Art geborene Volks-Sprecher, sie behaupten eine Befugnis, das wahre Deutschland vom unwahren unterscheiden zu können. Wer wie die CDU redet, will sich Deutschland nach Rezept kochen. Deutschland ist aber keine Weihnachtsgans.
Wann ist ein Land ein Land?
Ein Land entsteht nicht durch Verordnung, sondern durch seine Menschen und ihr tägliches Gewusel: durch Entscheidungen, Fehler, Einstellungen, Umfragen, Debatten, Bücher, Feste, Erfolge und Niederlagen, Produkte und Dienste, Traditionen und Hypes, durch Bündnisse, Verwerfungen, Ramsch und Kunst. Es definiert sich nicht nach dem, was eine Partei will und ein Staat verordnet. Es ist im Grunde wie mit dem Weihnachtsbaum: Ob der zu Weihnachten gehört, bestimmt die Kita oder Pflanzenhändler Florian Schröder, aber nicht Ministerpräsident Markus Söder.
Wer den Deutschen sagen will, wie sie zu sprechen haben, steht mit einem Bein im Totalitarismus. Genderverbote, wie sie auch Hessen jetzt beschließt, sind Maßnahmen ohne Sinn und Zweck. Es ist ein Wutschutz für alle, die bei jedem "Lehrer*innen" die Faust ballen müssen. Der Staat schützt so Befindlichkeiten - und bedient sich damit am Werkzeugkasten linker Identitätspolitik.
Staatskultur ist zudem ein verfassungsrechtlicher Tabubruch, zumal für eine bundesweit organisierte Partei. Politisierte Kultur steht in Deutschland zu Recht unter Verdacht. Der Staat soll das Denken nicht lenken, deshalb verbannt das Grundgesetz den staatskulturellen Einfluss auf die Landesebene: Bildung, Medien, Kultur - das ist alles Ländersache und nicht die Sache von Bundeskanzler Friedrich Merz.
Ein Grab für die Freiheit
Die Ironie ist bitter: Die CDU reagiert auf Judenhass und gesellschaftliche Beliebigkeit, indem sie Werte verordnet und diese damit selbst gefährdet. Sie hebt ein Grab für das aus, was auf der ganzen Welt verteidigt wird, ob im Iran, in der Ukraine oder in Israel: die Freiheit. Freiheit ist das Wesensmerkmal westlicher Demokratien. Sie ist der in jeden Artikel des Grundgesetzes tief eingefräste Grundgedanke.
Ich bin den Konservativen dankbar: Sie stehen geschlossen laut und fest an der Seite Israels wie niemand sonst. Sie sind ein Bollwerk gegen das allgegenwärtige Gift des Antisemitismus, ein Prellbock gegen die Judenvernichtung. Die Gesellschaft braucht Konservatismus.
Aber dieser Konservatismus macht mir Angst. Und ich bin nicht einmal Muslim.
Quelle: ntv.de