Schutzgeldzahlung abgelehnt Italienischer Pizzabäcker trotzt der Cosa Nostra


Roberto Cottone brauchte viel Mut, die Schutzgeldzahlungen zu verweigern. Und noch mehr, zuzugeben, dass er früher zahlte.
(Foto: Andrea Affaticati)
Vor zehn Jahren begann Roberto Cottone, sich gegen die Cosa Nostra zu wehren. Trotz Drohungen und Einschüchterungen zahlt seine Pizzeria in Palermo seitdem kein Schutzgeld mehr. Eine Razzia und elf Festnahmen bestätigen seinen Mut.
Fast zehn Jahre sind es her, seit der Albtraum für Roberto Cottone endete. Zehn Jahre seit dem Abend, an dem Frust und Verzweiflung ihm die Kraft gaben, sich der scheinbar allmächtigen sizilianischen Cosa Nostra zu widersetzen.
Pizzabäcker Cottone kommt aus Palermo. Dort waren in der vergangenen Woche bei einem Anti-Mafia-Großeinsatz etwa 150 mutmaßliche Mitglieder der Cosa Nostra festgenommen worden. Ihnen wird laut Polizei unter anderem versuchter Mord, Erpressung, Drogenhandel und Bildung einer Mafia-Vereinigung vorgeworfen. Italienische Medien sprachen vom größten Einsatz gegen die sizilianische Cosa Nostra seit 1984. Mehrere der Verdächtigen wurden im Stadtviertel Resuttana-San Lorenzo verhaftet, in dem auch die Pizzeria von Cottone liegt.
Wirklich überrascht dürfte Cottone davon nicht gewesen sein. "Es heißt, in diesem Viertel habe auch der blutrünstige Totò Riina geheiratet. Und hier soll die Frau vom Boss Leoluca Bagarella begraben sein", erzählte Cottone Ende Januar bei einem Treffen mit ntv.de.
Roberto ist um die 50, breitschultrig und stattlich gebaut, jemand, mit dem man sich besser nicht anlegt. Deshalb trifft es einen, wenn seine Augen beim Erzählen ab und zu feucht werden.
" ... ein Volk ohne Würde"
Roberto führt seit 1997 zusammen mit zwei Brüdern die Pizzeria "La Braciera", ein nicht allzu großes und rustikal eingerichtetes Lokal. Vor dem Eintreten fällt der Blick auf ein Schild, gleich über der Hand der bunten Kellnerstatue. Darauf steht: "Ein ganzes Volk, das den Pizzo zahlt, ist ein Volk ohne Würde." Pizzo, das ist das Schutzgeld, das die Mafia noch immer vielerorts kassiert.
Der Satz enthält gleich zwei Hinweise: Den Gästen signalisiert er, dass dieses Lokal kein Schutzgeld zahlt, und den Mafiosi, dass sie es erst gar nicht versuchen sollen, hier welches zu fordern.
Genaue Zahlen, wie viele Lokale und Betriebe in Sizilien Pizzo bezahlen, gibt es nicht. Bekannt ist, dass die Schutzgeldforderung für die Mafia heutzutage ein Nebengewerbe ist, mit dem Familien von Mafiosi, die hinter Gittern sitzen, finanziell unterstützt werden. Das wirklich lukrative Geschäft ist der Drogenhandel. Beim Pizzo ist außerdem die unterschwellige Wirkung wichtig: Die Forderung macht deutlich, wer im Viertel der Boss ist.
Cottone beginnt zu erzählen. "Es war im Dezember 2015, wir hatten das Lokal nach der Erweiterung erst seit Kurzem wieder geöffnet. Eines Tages kamen zwei Männer herein und schauten sich um. Einer der beiden sagte, er sei zehn Jahre lang in Norditalien gewesen und kenne einen gewissen Cottone aus Villabate, der sei absolut in Ordnung." Cottone durchschaute die Anspielung auf den Verwandten, mit dem er nichts zu tun hatte, sofort. Er antwortete dem Mann: "Warst wahrscheinlich zu lange weg, um zu wissen, dass 'La Braciera' keinen Pizzo zahlt."
Der "Freund" in der Sprache der Mafia
Wochen später wurde Cottone eines Abends auf zwei Männer aufmerksam. Sie standen wie die anderen in der Schlange und warteten auf einen Tisch. Gegen Lokalschluss näherte sich einer der zwei Männer und sagte Cottone: "Gehen wir auf ein Wort hinaus?"
Draußen sagte er Cottone, man habe ihn und das Lokal lange in Ruhe gelassen, jetzt müsse er sich aber wieder einen "Freund" besorgen. Die Schutzgeldeintreiber waren wieder da, doch diesmal wehrten sich die Cottones.
Roberto rief seinen Bruder und zusammen mit ein paar Pizzeria-Gästen versperrten sie den zwei Mafiosi den Weg. Cottone rief die Polizei. "Die hat mich jedoch anfangs abgewimmelt. Die glaubte nicht, dass jemand so verrückt sein konnte, sich der Cosa Nostra zu widersetzen. Noch dazu in diesem Viertel." Dann aber kamen doch mehrere Polizeistreifen und nahmen die beiden Männer fest.
Cottone war stolz auf seine Reaktion, auch wenn sie ihm den Schlaf raubte. 20 Jahre hatte er sich dem Willen seiner Familie, die sich auf keinen Fall mit der Mafia anlegen wollte, gebeugt und Pizzo gezahlt. Aus Angst und außerdem machten das ja alle. "Auch nach dem Vorfall an jenem Abend hatte mir mein älterer Bruder Antonio gesagt, ich solle nichts von früher erzählen."
Ein Früher, das 1997 begonnen hatte, als sie mit der Pizzeria automatisch auch den Pizzo übernommen hatten. Der einstige Besitzer, ein Italoamerikaner, hatte ihnen gesagt: "Das Lokal ist in Ordnung." Damals hatte Cottone die Anspielung nicht verstanden.
Der zuvorkommende Metzger
Zu der Zeit hatte der Clan Lo Piccolo das Sagen im Viertel. Und die Lo Piccolo schreckten auch vor Ermordungen nicht zurück. Cottone wollte aber nicht zahlen und sich unterwerfen, auch wenn er die Sorgen seines Bruders Antonio verstand, der Frau und Kinder hatte. Und dann kam der Tag, an dem er "bei einem dieser unerwünschten Besuche" Nein sagte: "Wir würden nicht mehr zahlen. Das war 2004."
Natürlich ließ man sie nicht in Ruhe. Antonio, der ältere Bruder, der auch Pferdebesitzer und Jockey war, wurde danach auf der Rennbahn von Jockeys mit "Ratschlägen von Cosa Nostra" versorgt. Nicht zu zahlen gehe überhaupt nicht, man müsse einen Kompromiss finden, wurde ausgerichtet. Und um ihnen das schmackhaft zu machen, kam ein Metzger ins Spiel.
"Bei dem waren wir schon Kunden. Wir wussten auch, dass er nicht ganz sauber, aber eher kriminell als Mafioso war", erzählt Cottone. Später habe man erfahren, dass er ein Platzhalter der Lo Piccolo war. "Eines Tages ist er persönlich erschienen, um sich zu erkundigen, welches Fleisch wir gern hätten und zu welchem Preis. Er würde sich darum kümmern."
Kurz danach kam es zu einer Razzia mit über 100 Festnahmen. Zu den Verhafteten zählten auch jene, die bei den Cottone vorbeigekommen waren. Danach folgten zehn Jahre ohne unerwünschte Besuche.
Das alles erzählte Cottone dem Verband Addio Pizzo, der sich um Unternehmer und Geschäftsleute kümmert, die von der Mafia bedrängt werden, und als Bindeglied zu den Ermittlern fungiert. Für Cottone war der Kontakt zu dem Verband ein Befreiungsschlag. Seine Rekonstruktion jener Jahre trug außerdem zur Festnahme von elf CosaNostra-Mitgliedern bei.
Cottone trat offiziell als Zeuge ebenso wie sein Bruder. Zu Cottones großem Erstaunen hatte der bisher zögerliche Bruder gefragt: "Gehen wir und befreien uns ein für alle Mal von all dem?" 2020 wurden alle Angeklagten, die auch dank der Cottone-Brüder festgenommen worden waren, zu Haftstrafen verurteilt.
Auch heute versuchen die Bosse, Schutzgeld zu fordern. Aber die Sicherheitskräfte sind viel wachsamer als früher. Deswegen werden diejenigen, die nicht zahlen wollen oder mit einer Anzeige drohen, in Ruhe gelassen. Auch das Schild am Eingang der Pizzeria hat seinen Effekt. Für wenige Tausend Euro, die der Pizzo einbringt, lohnt es sich für die Cosa Nostra nicht, ihr wirklich lukratives Geschäft zu gefährden.
Quelle: ntv.de