"Und sie bewegt sich doch" Katholische Kirche auf dem Weg zur großen Selbstreform?


Der Papst setzte auf Austausch unter den hochrangigen Katholiken aus aller Welt.
(Foto: via REUTERS)
Die Weltsynode in Rom trifft erste Entscheidungen. Es geht um eine deutlich größere Rolle der Frauen in der Kirche, mögliche Ausnahmen von der Ehelosigkeit für Priester und die Einordnung von Homosexualität und Geschlechteridentität. Das ist erstaunlich.
Zugegeben, das Zitat "Und sie bewegt sich doch", auf Italienisch "Eppur si muove", ist nicht ganz frisch. Auf die katholische Weltkirche aber gemünzt, nach der vierwöchigen Weltsynode mit 464 Teilnehmern aus allen Teilen der Welt, passt es perfekt.
Das Zitat stammt vom 22. Juni 1633 und ist seitdem das Symbol für den Kampf des Vatikans gegen alles Neuzeitliche, gegen Wissenschaft und allgemeine Menschenrechte. Es stammt vom italienischen Astronomen Galileo Galilei. Er sprach es aus, nachdem die Inquisition, das katholische Gericht zur Verfolgung des Unglaubens und deren Vertreter ("Häretiker"), ihn dazu gezwungen hatte, abzuschwören, dass sich die Erde um die Sonne dreht, und nicht umgekehrt, wie es die Kirche lehrte.
Kaum hatte Galilei damals abgeschworen, soll er leise vor sich hingemurmelt haben: "Und sie dreht sich doch"- die Erde, um die Sonne. Bis 1992 brauchte der Vatikan übrigens, um das damalige Urteil gegen Galileo Galilei offiziell zurückzunehmen.
Wer sich diesmal bewegt, ist nicht die Welt gegen eine wissenschaftsblinde Kirche, sondern die Kirche, die die Welt so erkennt, wie sie ist. "Und sie dreht sich doch", das ist Roms Kirche, die versucht, sich selbst an Haupt und Gliedern zu reformieren. Natürlich unter dem Druck davonlaufender Gläubiger, dem Druck der Missbrauchskrise, der Glaubwürdigkeitskrise, die Angst der moralischen Bedeutungslosigkeit vor Augen. Papst-Biograf Marco Politi sah in der Synode schon "die größte Umwälzung der Kirche seit 1700 Jahren". Eine Kirche in der weltweiten Krise hat im Jahre 2023 nicht den Fehler von 1633 mit Galileo Galilei wiederholt, zu leugnen, was einem nicht ins eigene Weltbild passte, sondern sich der Welt geöffnet.
Frauenfrage als zentraler Punkt
Erstmals in der Geschichte der römischen Kirche waren Frauen gleichermaßen wie Bischöfe, Kardinäle und Ordensleute stimmberechtigt auf einer Synode. Eine Kulturrevolution sondergleichen: Von den 464 Teilnehmern waren 365 stimmberechtigt, unter ihnen eben auch 54 Frauen.
Die Frauen stellen die Mehrheit der gläubigen Katholiken auf der Welt, sind die "Caregiver", die meist aktiveren Gemeindemitglieder, aber dürfen bisher, außer über die Marmeladensorte auf dem Frühstücksteller des Bischofs, über nichts bestimmen.
Die Rolle der Frau ist in jeder Gesellschaft das Lackmuspapier auf Freiheit und Demokratie, auf die Gültigkeit der Menschenrechte. Immer wieder hörte man es auf der Synode: Entweder wird die Rolle der Frau massiv gestärkt, oder die Kirche wird noch tiefer in die Krise geraten. Papst Franziskus hat diese Stimmen angehört, ganz offenkundig.
Angesichts der enormen Überzahl männlicher Stimmberechtigter auf der Synode hätte man erwarten dürfen, dass die schon im Vorfeld umstrittenste Frage auf der Synode mit einer großen Mehrheit abgebügelt worden wäre. Es ging dabei um die mögliche Einführung des Diakonats für Frauen, das ist in der Kirche die unterste Stufe auf der Leiter der geweihten Tätigkeiten.
Neue Arbeitsmethode
Passiert ist aber geradewegs das Gegenteil. Und das lag auch an einem sehr gewieften Verfahrenstrick des Papstes, der die Arbeit der vierwöchigen Synode völlig revolutioniert hatte. Die "klassische" Form einer Synode, das ist der "Frontal"-Kongress: Vorn sitzt der Papst, unten im Parterre die Bischöfe, Ordensleute, allesamt natürlich nur Männer. Die Reden sind alle bis ins letzte Detail abgestimmt mit dem Kardinalstaatssekretariat, das Ergebnis wird im Hinterzimmer ausgehandelt, so ähnlich wie bei Parteitagen kommunistischer Parteien. Natürlich hat es in der Kirche auch immer wieder "überraschende" Bischofstreffen gegeben, mit vielen Neuigkeiten, wie das II. Vatikanische Konzil, welches aber auch über drei Jahre (1962-1965) tagte.
Diese Tagung der Weltsynode hatte vier Wochen Zeit, und das erste Ziel war es, das darf man getrost so formulieren, den Laden zusammenzuhalten. Die katholische Weltkirche ist heute zerrissen wie schon seit Luther nicht mehr. In Europa laufen den institutionellen Kirchen, vormals auch als "Volkskirchen" bekannt, die Leute zu Hunderttausenden jährlich weg, man kann beim Leeren der Gottesdienste förmlich zusehen. In den USA ist die Kirche tief gespalten, in Reformer und ultra-rechte Trumpianer, die unter anderem alle Frauenrechte wieder einkassieren möchten. In Lateinamerika haben die radikalen Evangelikalen Kirchen enormen Zulauf, in Afrika wünschen sich die einen die Zulassung der Polygamie, andere applaudieren der gesetzlichen Verfolgung Homosexueller.
Den 464 Vertretern dieser Weltkirche verordnete der Papst eine Arbeitsmethode, die, das zeigen die Abstimmungsergebnisse, gefruchtet hat. In der großen päpstlichen Audienz-Halle Paul VI. ließ der Papst 35 runde Tische aufstellen und an jedem Tisch platzierte er bunt gemischt die Teilnehmer aus der ganzen Welt. Die kleine, sechsköpfige deutsche Delegation nahm verteilt auf andere Sprachgruppen teil. Was zu Anfang wie eine Zerschlagung der reformfreudigen deutschen Gruppe aussah, hat sich am Ende ganz anders dargestellt. Die Arbeitsmethode hieß: "Zuerst zuhören, dann beten, nachdenken, dann durfte jede Person am Tisch vier Minuten die eigenen Gedanken verfassen, danach wurde wieder gemeinsam geschwiegen, reflektiert", erzählte Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck von der Franziskus-Methode: "Und, lassen Sie es mich betonen: Dem anderen zuhören! Oder habe ich das schon gesagt?"
Die Teilnehmer mussten die Tischgruppen wechseln, so kamen alle mit allen ins Gespräch, gemeinsam ließ man die Gedanken wirken: "Wir ahnten es schon, wir sollten ein wenig dem Weg der Exerzitien eines Ignatius von Loyola, dem Gründer des Jesuitenordens, folgen", erinnert sich Bischof Georg Bätzing.
Reformgedanken aus aller Welt
Gerade die deutsche Delegation, die noch bei ihrem letzten Besuch im Vatikan im November letzten Jahres von der Kirchenspitze mit ihren Reformgedanken gnadenlos abgebügelt worden war, sah nun dieselben Vorschläge plötzlich aus allen Richtungen der Weltkirche kommen: über ein Frauen-Diakonat nachzudenken, eine mögliche Rolle von "erprobten und als kirchentreu bekannten verheirateten Katholiken", im Kirchenlatein "viri probati", in der Gemeindearbeit zu erwägen oder sogar die Ehelosigkeit der Priester infrage zu stellen.
Diese brisanten Themen wurden nun von den Teilnehmern der Weltsynode offen an allen Tischen diskutiert. Nach vier Wochen offenen Sprechens, Zuhörens, Gebeten und Momenten des frommen Schweigens, des immer wieder angerufenen Wirkens des Heiligen Geistes, hat dieser erste Abschnitt der Synode sehr klare Beschlüsse mit einer Zweidrittelmehrheit gefasst. Der erste Teil der Weltsynode, sie soll nach dem Willen von Papst Franziskus im Herbst 2024 nach einem weiteren dreiwöchigen Treffen dann ein endgültiges Ergebnis erbringen, lässt staunen.
Völlig unstrittig unter den Synodal-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern, an diese Formulierung wird sich die Kirche gewöhnen müssen, waren der gemeinsame Einsatz für die Verbreitung des Wortes Gottes, der Mission, aufseiten der Entrechteten und Armen. Es war eine Synode der Eigenreform, aber der Terrorangriff von Hamas auf Israel und die dramatische Situation der Einwohner von Gaza, Geiseln der Hamas-Terroristen, wurde trotzdem immer wieder angesprochen: Papst und Teilnehmer appellierten an die Kriegführenden, die Menschenrechte der Zivilpersonen zu achten.
Transparenz der Meinungsvielfalt
Die Abstimmungsergebnisse auf der Synode waren erstaunlich eindeutig. Über jeden einzelnen der 20 Einzelpunkte wurde in allen Details von allen Teilnehmern am Ende abgestimmt: Worüber man sich einig war, worüber nicht, welche Vorschläge man machte. Das können beispielsweise 18 einzeln abgestimmte Unterpunkte sein, wie beim Thema Frauen in der Kirche, dem meistdiskutierten Thema.
Mit 277 zu 69 stimmte die Synode dafür, dass die Frauen eine deutlich größere Rolle in der Kirche bekommen sollten, dass man theologisch überprüfen müsse, ob es nicht ein Frauen-Diakonat geben könne. Die Kritiker dieser Idee meinten, so heißt es in der Ergebnis-Zusammenfassung, dass eine solche Rolle der Frau ein Verrat an der Tradition wäre, eine Zweidrittelmehrheit aber war überzeugt, dass ein Frauen-Diakonat eine alte Tradition der Kirche wieder aufnehmen würde. Eine Entscheidung ist das natürlich weiterhin nicht, aber der Papst selbst hat in seiner Rede auf der Synode diese Tür geöffnet.
Die deutschen Bischöfe, vor einem Jahr für einen solchen Vorschlag noch beinahe der "Häresie", des Abfalls vom Glauben bezichtigt, konnten nach der Synode nun lächeln. Mit dem deutschen "Synodalen Weg" haben sie doch ein gutes Gespür für die Knackpunkte in der Weltkirche gezeigt. Man sei mit der Diskussion in Deutschland eben nicht "modischen Strömungen" hinterhergelaufen, wie die Verteidiger der männlichen Herrschaft in der Kirche dem deutschen "Synodalen Weg" vorgeworfen hatten, sondern habe den Menschen zugehört, ihre Nöte verstanden.
"Wir haben keine Priester mehr"
Zu den mit einer Zweidrittelmehrheit abgesegneten Entscheidungen dieses ersten Teils der Weltsynode gehörte auch, dass die Spitzenämter der Vatikan-Verwaltung, der Kurie, in Zukunft nicht mehr nur für Priester reserviert sein sollen, sondern offen sein müssten für alle. Auch entschieden wurde, dass man über den Zwang zur Ehelosigkeit der Priester nachdenken solle. Der Kardinal von Manaus aus dem brasilianischen Bundesstaat Amazonas, Leonardo Steiner, fordert dies seit Langem: "Wir haben keine Priester mehr, es braucht eine Lösung, wie sollen wir sonst noch Messen lesen und Sakramente erteilen". Bischof Overbeck sagte dazu: "Ich habe in meiner Zeit 300 Priester beerdigt, aber nur 13 neue geweiht".
Auch beim Vorschlag der möglichen Aufhebung der Ehelosigkeit (Zölibat) gab es relativ viele Gegenstimmen, 55, um genau zu sein, aber 291 Synodale stimmten dafür. Die klare Mehrheit stimmte für eine grundlegende Reform. Ebenso gab es für eine vertiefte Neubewertung der Haltung der Kirche gegenüber den Fragen der "sexuellen Identität und des eigenen Geschlechtes" eine breite Mehrheitsentscheidung, die eine "wissenschaftliche" und "anthropologische" Bewertung verlangte. Das sind eben genau die Stichworte der biogenetischen Forschung der letzten Jahrzehnte, wonach homosexuelle Neigung keine "Perversion" ist, eine persönliche Entscheidung "für die Sünde", wie es der katholische Katechismus beschreibt, sondern das Ergebnis sogenannter epigenetischer Prozesse noch im Mutterleib, die mit der Geburt des Kindes abgeschlossen sind. Papst-Biograf Marco Politi schätzte jedenfalls ein: "Was hier gerade passiert, ist die größte Umwälzung in der Kirche seit 1700 Jahren".
All dies ist nun in der römischen Kirche angekommen: Frauenrechte, Auflösung der Männerherrschaft, Ende der Verfemung nicht heterosexueller Beziehungen. Um im Bild der astronomischen Revolution aus der Zeit von Galileo Galilei zu bleiben: Dieser erste Teil der Weltsynode hat eine "kopernikanische" Revolution der Katholischen Kirche eingeleitet.
Quelle: ntv.de