Panorama

Mexiko droht neue GewalteskalationMilitär verschärft Jagd auf "El Chapo"

06.11.2015, 08:55 Uhr
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Im Februar 2014 nimmt die mexikanische Polizei "El Chapo" fest. Seit fast vier Monaten befindet er sich nun wieder auf der Flucht. (Foto: imago/Xinhua)

Seit fast vier Monaten befindet sich "El Chapo" auf der Flucht. Mit einem massiven Militäraufgebot macht der mexikanische Staat Jagd auf den Mafiaboss - offenbar ohne Rücksicht auf Verluste. Der Drogenkrieg droht zu eskalieren.

An Halloween war Mexikos meistgesuchter Verbrecher überall zu sehen. Joaquín "El Chapo" Guzmán Loera mischte sich auf Partys unter all die Zombies, Mumien und Hexen. Die Maske des Chefs des Sinaloa-Kartells war in diesem Jahr der Kassenschlager auf den Kostüm-Märkten von Mexiko-Stadt. Vom echten "El Chapo" fehlt aber auch knapp vier Monate nach seiner spektakulären Flucht aus einem Hochsicherheitsgefängnis jede Spur.

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Mit einem massiven Militäraufgebot macht der mexikanische Staat Jagd auf "El Chapo". (Foto: dpa)

Mitte Oktober war das Militär dem Drogenbaron schon einmal dicht auf den Fersen. Im sogenannten Golden Dreieck zwischen den Bundesstaaten Sinaloa, Durango und Chihuahua trieben Marineinfanteristen "El Chapo" in die Enge. Von Hubschraubern aus feuerten die Soldaten auf sein Versteck in einer Ranch, doch die Leibwächter des Kartellbosses konnten den Angriff zunächst zurückschlagen. Zwar verletzte sich Guzmán bei der Flucht, doch die Sicherheitskräfte verloren offenbar seine Spur.

"Wir sind optimistisch, dass sie ihn fangen und ich bin sicher, dass wir uns um seine Auslieferung bemühen werden", sagte der Leiter der US-Antidrogen-Behörde DEA, Chuck Rosenberg, vor kurzem in Washington. Die mexikanische Marineinfanterie sei hoch qualifiziert und bestens ausgebildet. "Ich glaube, die Mexikaner machen gute Arbeit und wir helfen ihnen, wo sie unsere Hilfe gebrauchen können."

"Es gibt Kollateralschäden"

Wer ist "El Chapo"?

Joaquín "El Chapo" Guzmán Loera kam 1957 in dem Dorf La Tuna de Badiraguato im mexikanischen Bundesstaat Sinaloa zur Welt. Der Sohn einer armen Familie verkaufte als Jugendlicher Orangen, bevor er sich in den 1980er Jahren der Drogenbande um Miguel Ángel Félix Gallardo anschloss. Nach dessen Festnahme gründete Guzmán das Sinaloa-Kartell. Die US-Antidrogenbehörde DEA bezeichnet das Syndikat als multinationalen Großkonzern des organisierten Verbrechens.

Guzmán war 1993 in Guatemala festgenommen worden, 2001 gelang ihm jedoch die Flucht aus einem Gefängnis in Mexiko. Mit einem geschätzten Vermögen von einer Milliarde US-Dollar schaffte er es auf die Liste der reichsten Menschen der Welt des US-Magazins "Forbes". Er gilt als der mächtigste Drogenhändler der Welt.

Im Februar 2014 nahmen Marineinfanteristen "El Chapo" in der Küstenstadt Mazatlán im Westen Mexikos fest. Gerade mal 17 Monate verbrachte der Drogenboss in Haft, dann spazierte er durch einen 1,5 Kilometer langen Tunnel in die Freiheit. Guzmán gilt als "Ausbrecherkönig von Mexiko".

Angesichts des massiven Militäreinsatzes in der unzugänglichen Bergregion haben Hunderte Menschen ihre Heimatdörfer verlassen und sind in die Kreisstadt Cosalá geflohen. "Bei der Jagd nach Herrn Guzmán Loera gibt es Kollateralschäden", sagte der Chef des Menschenrechtszentrums von Sinaloa, Leonel Aguirre Meza. "Die Marineinfanteristen haben um sich geschossen. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen aufhören, weil hier Kinder sind. Aber sie haben einfach weiter gefeuert", erzählte Gloria Soto aus El Sauz.

Auf Transparenten in den Dörfern werfen die Bewohner den Soldaten Menschenrechtsverletzungen und Gewalt vor. "Mexiko verfolgt eine Militärstrategie beim Kampf gegen das organisierte Verbrechen. Angesichts der militärischen Ausbildung und starken Bewaffnung der Leibwächter von "El Chapo" ist das vielleicht nötig, aber es birgt die Gefahr, dass Unbeteiligte zu Schaden kommen", schreiben die Analysten des auf Sicherheitsthemen spezialisierten Portals "Insight Crime". Zielführender seien geheimdienstliche Methoden bei der Fahndung nach "El Chapo".

Obwohl der mächtige Drogenboss auf der Flucht ist, gedeiht sein Sinaloa-Kartell prächtig. Während andere kriminelle Organisationen in Mexiko erheblich unter Druck geraten sind, hat Guzmáns Verbrechersyndikat laut einer Analyse des Datenjournalismus-Projekts Narco Data seine Macht konsolidiert und seine Einflusssphäre sogar noch ausgeweitet.

Drogenkrieg steht vor neuer Dimension

Was den Behörden noch mehr Kopfschmerzen bereiten dürfte: Offenbar kooperiert das Sinoala-Kartell nun mit dem Cártel Jalisco Nueva Generación (CJNG). Die Gangster gelten als die jungen Wilden in der mexikanischen Unterwelt und stoßen seit ihrer Gründung 2011 in immer mehr Bundesstaaten vor. "Sie breiten sich wie Krebs in Mexiko aus", sagte der frühere DEA-Chef für internationale Einsätze, Mike Vigil, zuletzt dem Nachrichtenportal "Business Insider".

Das CJNG hat nach Informationen der Generalstaatsanwaltschaft das Anwaltsteam von "El Chapo" bezahlt. Sollten sich das Sinaloa-Kartell und das Cártel Jalisco Nueva Generación tatsächlich verbündet haben, wäre das eine mächtige Allianz der beiden derzeit größten Verbrechersyndikate des Landes. Im Mai hatte das CJNG schon einmal die Muskeln spielen lassen und einen Hubschrauber der Streitkräfte abgeschossen. Wenige Wochen später lieferte es sich erneut schwere Feuergefechte mit mexikanischen Sicherheitskräften.

Der Sicherheitsexperte Alejandro Hope warnt unterdessen vor einer weiteren Militarisierung des Drogenkriegs und plädiert für eine umfassende Sicherheitsstrategie in der Fläche. "Wir brauchen starke örtliche Polizeieinheiten, gute Staatsanwälte und einen besseren Strafvollzug. Aber genau da tut die Regierung nichts."

Quelle: ntv.de, Denis Düttmann, dpa

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