Panorama

Drosten sieht "Sonderproblem" Omikron wird Deutschland hart treffen

Omikron wird voraussichtlich auch in Deutschland schon im Januar die vorherrschende Sars-CoV-2-Variante sein.

Omikron wird voraussichtlich auch in Deutschland schon im Januar die vorherrschende Sars-CoV-2-Variante sein.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die sinkenden Inzidenzen sind trügerisch, die Corona-Welle zieht sich wahrscheinlich nur vorübergehend zurück, um durch Omikron mit noch größerer Wucht zurückzukommen. Sie würde ein Deutschland treffen, das denkbar schlecht vorbereitet ist und viele Kranke und Tote befürchten muss.

"Die Zahlen sehen übel aus", sagte Charité-Virologe Christian Drosten Ende September in seinem NDR-Podcast. Damit meinte er die deutsche Impfquote von rund 64 Prozent der Gesamtbevölkerung, die viel zu niedrig sei, um eine sich anbahnende Corona-Winterwelle zu vermeiden. Damit hatte er damals schon recht, bevor Omikron vor knapp einem Monat auf die Pandemie-Bühne trat. Jetzt stimmt die Aussage erst recht. Die Impfquote hat sich kaum verbessert, und die neue Virus-Variante breitet sich extrem schnell aus. Für Drosten hat die Bundesrepublik ein "Sonderproblem", da vor allem noch sehr viele ältere Menschen gar nicht geimpft sind, wie er heute twitterte.

Vor drei Monaten waren 84 Prozent der deutschen Bevölkerung über 60 Jahre vollständig geimpft, aktuell sind es knapp 87 Prozent. Das scheint auf den ersten Blick eine recht gute Quote zu sein. Doch Deutschland hat laut Eurostat mit 45,9 das zweithöchste Median-Alter der EU. Nur die Italiener sind mit 47,2 Jahren im Mittel noch betagter.

3,1 Millionen über 60-Jährige ungeschützt

Der Anteil der über 60-Jährigen an der Bevölkerung beträgt knapp 29 Prozent, rund 24,1 Millionen Menschen. Eine Impfquote von 87 Prozent bedeutet, dass rund 3,1 Millionen Menschen dieser Altersgruppe nicht oder nur unzureichend (88 Prozent Erstimpfung) geschützt sind.

3918 von 5957 Menschen, die wegen Covid-19 in der ersten Dezemberwoche ins Krankenhaus mussten, sind älter als 60 Jahre. Etwa 62 Prozent der Covid-19-Intensivpatienten stammen aktuell aus dieser Altersklasse. Von den bisher rund 106.000 deutschen Corona-Toten waren knapp 101.000 über 60 Jahre alt.

Regional sehen die Zahlen teilweise noch wesentlich übler als im Bundesdurchschnitt aus. So sind lediglich rund 80 Prozent der Sachsen Ü60 vollständig geimpft, die Quote der Erstimpfungen ist nicht besser. Dabei hat das Bundesland ein Durchschnittsalter von 46,9 Jahren, und fast 1,4 Millionen Einwohner (35 Prozent) sind über 60 Jahre alt. Das bedeutet, allein in Sachsen leben 280.000 besonders vulnerable ältere Menschen ohne Impfschutz.

London als mahnendes Vorbild

In Großbritannien ist die Omikron-Variante schon auf dem Weg, die dominierende Variante zu werden. In London ist sie es dem britischen Gesundheitsminister Sajid Javid zufolge mit einem Anteil von rund 60 Prozent der Corona-Infektionen bereits. Das heißt, die britische Hauptstadt erlaubt einen Blick in die Zukunft - oder wie John Burn-Murdoch von der "Financial Times" mit einer passenden Grafik drastisch twitterte: "Das ist, was euch in den kommenden Wochen erwartet - in jedem Land der Welt."

Gestern meldete London insgesamt 23.272 neue Fälle. 13.674 davon sind Omikron-Infektionen, 2893 mehr als am Vortag. Das heißt, die Zahl der B.1.1.529-Ansteckungen verdoppelt sich in der 9-Millionen-Einwohner-Metropole etwa alle zwei bis drei Tage. Entsprechend der rasanten Omikron-Ausbreitung steigen die Londoner Fallzahlen wieder steil an. Am 1. Dezember waren es im Sieben-Tage-Schnitt noch rund 6000 Neuinfektionen, eine Woche später schon knapp 8500, aktuell liegt der Wert bei etwa 20.000.

Ähnliche Impfquote bei Älteren, aber jüngere Bevölkerung

Die Impfquote der britischen Hauptstadt liegt mit 61,5 Prozent unter dem Durchschnitt des Vereinigten Königreichs, wo 81,5 Prozent der über 12-Jährigen mindestens zwei Dosen erhalten haben. Bei der älteren Bevölkerung sieht es ähnlich wie in Deutschland aus. Die 60- bis 64-Jährigen sind zu 80 Prozent vollständig geimpft, die 65- bis 69-Jährigen zu 83 Prozent. Die Altersgruppen darüber erreichen Quoten von knapp 88 Prozent. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass die Londoner Bevölkerung mit einem Altersmedian von 38,5 Jahren wesentlich jünger als die deutsche ist.

Infektionen durch die neue Variante können die Vakzine ohne zusätzliche Auffrischimpfung nur unzureichend verhindern, wie Studien bereits belegt haben. Selbst geboosterte Menschen dürfen nicht darauf vertrauen, dass sie sich nicht anstecken. Mit zwei oder drei Impfungen sind sie aber wahrscheinlich nach wie vor gut vor schweren Erkrankungen geschützt.

"Milderes" Omikron kein Grund zur Hoffnung

Zusätzlich gibt es Hoffnung, dass sich Omikron zwar leichter verbreitet, aber seltener zu schweren Verläufen führt als die noch vorherrschende Delta-Variante. Es könnte aber genauso gut sein, dass dies nur deshalb zu beobachten ist, weil das Virus noch nicht auf Bevölkerungen mit einem großen Anteil an ungeschützten alten Menschen getroffen ist.

Südafrika beispielsweise hat einen Altersmedian von 27,6 Jahren und laut Shabir Madhi von der University of the Witwatersrand in Johannesburg haben in der besonders schwer betroffenen Provinz Gauteng mehr als 72 Prozent der Bevölkerung schon eine Infektion mit Sars-CoV-2 hinter sich. Hinzu komme eine Impfquote von 55 Prozent bei den über 50-Jährigen. Es sei falsch, Omikron als mild zu betrachten, zitiert "The Guardian" WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Selbst wenn ein geringerer Prozentsatz der Omikron-Infizierten schwer erkrankte, wäre dies kein Grund zur Entwarnung. Denn der kleine Vorteil würde durch die Masse der Fälle innerhalb weniger Tage zunichtegemacht. Modellierungen der London School of Hygiene & Tropical Medicine (LSHTM) zeigen, welche Folgen eine ungebremste Omikron-Ausbreitung haben könnte.

Lauterbach erwartet "massive Welle"

Für den Fall, dass die Immunabwehr sehr stark umgangen wird und Auffrischimpfungen sich als wenig effektiv erweisen, ermittelten die Wissenschaftler in Großbritannien bis zu 36,9 Millionen Omikron-Infektionen, doppelt so viele Krankenhauseinweisungen wie im Januar 2021 und bis zu 82.900 Todesfälle.

Möglicherweise breitet sich die Variante durch geltende Einschränkungen in Deutschland etwas langsamer aus als in Großbritannien oder Dänemark, das insgesamt bereits mehr als 11.500 Omikron-Infektionen zählte. Der Verzögerungseffekt wird sich aber in Grenzen halten. So erwartet Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auch für Deutschland eine "massive fünfte Welle". Man müsse davon ausgehen, "dass die Omikron-Welle, vor der wir stehen, die wir aus meiner Sicht nicht verhindern können, eine massive Herausforderung wird für unsere Krankenhäuser, für unsere Intensivstationen, aber auch für die Gesellschaft in der Gänze".

50.000 Omikron-Infektionen Anfang Januar

Wie nahe der Moment bereits ist, geht aus den jüngsten Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) nicht hervor, die der Entwicklung hinterherhinken. Dem Wochenbericht nach registrierte die Behörde bisher nur 325 (Verdachts-)Fälle. Das vom Twitter-Nutzer @sven9161 geführte Projekt "Tracking Covid-19-Omicron-Variante in Germany" hat bisher bereits rund 800 Omikron-Infektionen gezählt.

Geht man von einer Verdopplung alle drei Tage aus, kommt man am 4. Januar bereits auf mehr als 50.000 Infektionen. Legt man die RKI-Zahl zugrunde, übersteigen die Neuinfektionen an Neujahr auch bereits 20.000 Fälle, sechs Tage später sind es 83.000.

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Die Krankenhäuser sind für so hohe Inzidenzen nicht gerüstet. Zwar ist die Anzahl der Covid-19-Intensivpatienten in den vergangenen zehn Tagen leicht von etwa 4900 auf 4600 zurückgegangen. Doch selbst wenn sich dieser Trend noch bis Januar fortsetzte, wären kaum genügend betreibbare Betten für die zu erwartenden Neuaufnahmen aufgrund der Omikron-Welle frei.

Am 12. Dezember schätzte der Leiter des DIVI-Intensivregister, Christian Karagiannidis, dass 0,6 Prozent der Infizierten intensivpflichtig werden. Bei 100.000 Ansteckungen entspräche dies 600 Neuaufnahmen pro Tag. Die Hospitalisierungen folgen den Neuansteckungen etwa nach zwei bis drei Wochen. In London zeichnet sich eine entsprechende Entwicklung bereits ab. Vor 14 Tagen lagen dort rund 1000 Covid-19-Patienten im Krankenhaus, heute 1500. Davon wurden am 3. Dezember 187 beatmet, inzwischen sind es 208.

Quelle: ntv.de

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