Epidemiologe im Interview "Müssen das Zeitfenster bis Omikron nutzen"
17.12.2021, 15:19 Uhr
"Alles ist besser, als sich nicht impfen zu lassen."
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Zahl der Neuinfektionen muss deutlich sinken. Auch, damit die Intensivstationen für eine Omikron-Welle bereit sind. Unverzichtbarer Baustein ist neben Kontaktbeschränkungen das Impfen. Epidemiologe Ulrichs setzt seine Hoffnungen dabei auch auf den wohl bald zugelassenen Totimpfstoff.
ntv: 53.600 neue Fälle wurden heute gemeldet - 20 Prozent weniger als in der Vorwoche. In Anbetracht von Omikron und der Situation auf den Intensivstationen, sagt das RKI, sinken die Zahlen trotzdem zu langsam. Teilen Sie diese Ansicht?
Timo Ulrichs: Naja, immerhin sinken sie und das stabil. Das ist eine gute Nachricht. Das heißt, dass das Infektionen-Geschehen in Deutschland abnimmt. Wir müssen aber leider noch warten, weil die Krankenhaus-Einweisungen und die Intensivbettenbelegung erst zeitversetzt abnehmen werden. Das heißt, den Peek werden wir erst Richtung Weihnachten, vielleicht sogar erst zum neuen Jahr sehen. Es ist richtig, dass wir mit diesen Zahlen deutlich runterkommen, damit es eine Entlastung auf den Intensivstationen gibt. Die Intensivmediziner sagen, wir sollten unter 200 Neuinfektionen pro 100.000 Menschen kommen. Erst dann wird es langsam besser auf den Stationen. Die Lage bleibt angespannt und deswegen sollten wir weiterhin versuchen, die Kontakte zu reduzieren und mitmachen, dass wir auf die sichere Seite kommen.
Auch RKI-Chef Lothar Wieler sagt, dass möglicherweise Weihnachten der Kickstart für die Omikron-Welle sein könne. Wann, glauben sie, werden die Zahlen wieder steigen?
Im Augenblick gibt es bereits eine leichte Zunahme dieser Fälle in Deutschland. Und wie das so ist: Es geht langsam los und irgendwann wird das dann richtig spürbar. Es ist keine Frage, ob die Welle kommen wird, sondern nur wann. Deswegen sollte man sich wirklich gut vorbereiten. Die Zahlen müssen runter, damit wir wieder Kapazitäten frei haben für möglicherweise weitere Patienten, die an Covid-19 erkranken.
Kann man da noch was tun, um das aufzuhalten?
Ja, man kann jetzt möglichst dieses Zeitfenster noch ein bisschen größer machen, indem man sich noch mal sehr stark zurückhält und versucht Kontakte zu reduzieren und auch beim Weihnachtsfest möglichst wenig weitere Kontakte hat. Das ist natürlich schwierig, aber trotzdem sollte man noch mal umsichtig sein. Und dann kann man, wenn man auch die ersten Fälle von der Omikron-Variante frühzeitig detektiert, versuchen, durch rigorose Quarantäne-Maßnahmen die Ausbreitung noch ein bisschen einzudämmen. Das Zeitfenster, mit sinkenden Fallzahlen aus der vierten Welle, sollten wir nutzen, um möglichst schnell zu impfen. Das Boostern ist das Gebot der Stunde, damit wir möglichst gut immunologisch aufgestellt sind, bevor die Omikron-Welle kommen wird.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach sagt, dass der Monat Januar entscheidend sei, um die Omikron-Welle flach zu halten. Impfstoff wurde noch mal nachbestellt. Wird das ausreichen?
Es bleibt natürlich zu hoffen, dass wir ausreichend Impfstoff haben für alle, die sich impfen lassen wollen. Nun werden parallel noch Kinder und Jugendliche geimpft. Dazu sollten wir nicht nur genug Impfstoffdosen, sondern auch Menschen haben, die diese verimpfen können. Gerade gibt es Schulungen, damit weitere Berufsgruppen zum Impfen zugelassen werden. Das ist eine sehr gute Nachricht, weil man dann das Ganze in die Breite tragen kann.
Lassen Sie uns auf die verschiedenen Impfstoffe schauen. Welcher Impfstoff eignet sich am besten als Booster?
Wir haben ja in Deutschland sehr viel mit Biontech gearbeitet und Astrazeneca war auch mit dabei. Man kann mit Biontech weitermachen. Aber wenn Moderna verimpft wird, dann ist nicht von Nachteil. Ganz im Gegenteil: Es gibt gute Studienergebnisse, die darauf hindeuten, dass beim Boostern mit einer Kreuzimpfung eine breitere und intensivere Immunantwort erzeugt werden kann als immer nur mit dem gleichen Impfstoff. Man sollte gar keine Bedenken haben, sondern durchaus Moderna und Biontech gleichermaßen verimpfen.
Nächste Woche wird entschieden, ob auch der Totimpfstoff Novavax auf den Markt kommt. Wie wichtig wird er im Kampf gegen die Omikron-Variante?
Es kommt ein Impfstoff auf den Markt, der nach einem anderen Verfahren hergestellt worden ist. Viren werden im Labor gezüchtet und dann abgetötet. Diese Virus-Leichen werden dann verimpft. Das ist eine ganz konventionelle Methode. Es wäre ein weiterer Impfstoff auf dem Markt. Das ist eine gute Nachricht und vor allen Dingen möglicherweise eine Alternative für viele, denen das mit den mRNA-Impfstoffen suspekt ist, wofür es übrigens gar keinen Grund gibt. Das ist alles auch noch nicht zu spät, aber man sollte es wirklich jetzt bald machen.
Das heißt, mit Novavax kommt auch ein guter Impfstoff auf den Markt, der uns auch gegen die Omikron-Variante helfen kann?
Ja, er hat ganz gute Werte. Nicht so gute wie die beiden mRNA-Impfstoffe Biontech und Moderna. Aber ganz ordentlich, und er kann auf jeden Fall dazu beitragen, dass wir hier auf die sichere Seite kommen, wenn jetzt möglichst viele Menschen diese Variante wählen und sich auch doppelt impfen lassen. Alles ist besser, als sich nicht impfen zu lassen.
Mit Timo Ulrichs sprach Vivian Bahlmann
Quelle: ntv.de