
Fallschirmjäger proben in Schleswig-Holstein mit Darstellern den Ernstfall.
(Foto: picture alliance / Carsten Rehde)
Binnen sechs Stunden müssen Tausende Menschen eine Gefahrenzone verlassen. Die Planung solcher Szenarien obliegt Katastrophenschützern. Doch was ist bei Evakuierungen zu beachten? Und wohin mit Verweigerern?
Es sind keine Endzeitszenarien oder Zombieapokalypsen á la Hollywood nötig, um sich Gedanken über mögliche Massenevakuierungen zu machen. Im realen Leben werden diese dann notwendig, wenn eine akute Gefahr für die Bevölkerung besteht - zum Beispiel bei Hochwasser, Nuklearkatastrophen oder Bombenentschärfungen.
Zuletzt mussten mehr als 60.000 Menschen in Frankfurt am Main wegen der Beseitigung einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg ihre Häuser verlassen. Das war die bisher größte Evakuierung Deutschlands. So eine Maßnahme verlangt nicht nur von der Bevölkerung starke Nerven und eine gute Organisation, sondern vor allem von den Einsatzkräften.
"Die Evakuierung in Frankfurt war für unsere Dimensionen eine überschaubare Größe. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von der Unterstützung der Länder durch den Bund bei großräumigen Evakuierungen", sagte Jens Naumann vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe n-tv.de. Er und sein Kollege Hans Springer vom Innenministerium Baden-Württemberg nahmen am Kongress der Katastrophenschützer in Berlin teil und debattierten dort über die Herausforderungen von Evakuierungen.
"60.000 sind überschaubare Größe"
Generell unterscheiden die Experten zwischen zwei Arten von Evakuierungen: Zum einen gibt es die kleinräumige Evakuierung eines Gebäudes oder Gebietes zur Gefahrenabwehr. Diese wird durch die Behörden vor Ort, vor allem durch die Polizei, die Hilfsorganisationen und die Feuerwehr durchgeführt. Zum anderen gibt es die großräumige Evakuierung ganzer Landkreise oder Bezirke - beispielsweise bei Naturkatastrophen oder einem Atomkraftwerksunfall. "Dafür werden im Vorfeld Planungen und Konzepte erstellt, damit alles reibungslos läuft", erklärt Naumann. So erstellen Wissenschaftler mathematische Modelle, mit denen Katastrophenschützer Evakuierungsrouten für mindestens sechsstellige Bewohnerzahlen genau berechnen können.
2011 nach der Nuklearkatastrophe in Fukushima haben die Bundesländer ihre bestehenden Konzepte noch einmal überarbeitet und geprüft, ob sie für solche Ereignisse ausreichend sind, erklärt Springer. Seiner Ansicht nach habe sich der Katastrophenschutz daher deutlich verbessert. "Deutsche Atomkraftwerke verfügten über hohe Sicherheitsstandards." Diese schlössen das Eintreten eines kerntechnischen Unfalls mit relevanten radiologischen Auswirkungen praktisch aus.

Auf dem Frankfurter Messegelände wurden Dutzende Betten für eine längerfristige Evakuierung bereitgehalten.
(Foto: imago/Hartenfelser)
Sollte es doch zu einer Nuklearkatastrophe kommen, sollte man so schnell wie möglich die zentrale Zone, die sich über eine Entfernung von fünf Kilometer rund um das Atomkraftwerk erstreckt, verlassen. "Wir gehen davon aus, dass sich rund zwei Drittel der Menschen selbst evakuieren", sagt Naumann. Dass das durchaus realistisch ist, konnte man kürzlich in den USA beobachten. Allein in Florida wurden 6,3 Millionen Menschen aufgrund der Hurrikans aufgefordert, sich selbst zu evakuieren. "Das sind Größenordnungen, die ein Bundesstaat nicht allein bewältigen kann", schätzt Naumann ein. Deswegen wurde der Notstand ausgerufen, damit andere Bundestaaten helfen können. "In Deutschland würde das länderübergreifend ähnlich funktionieren."
Im Idealfall kann man bei einer Evakuierung auf das eigene Fahrzeug oder öffentliche Verkehrsmittel zurückgreifen und bei Freunden oder Verwandten unterkommen. Aber auch die Behörden stellen Fahrzeuge bereit, die die Menschen aus der Gefahrenzone bringen, und sorgen für Anlaufstationen. "Das bedarf einer gewissen Verantwortung, damit alles ruhig und besonnen abläuft", so Naumann weiter.
Sechs Stunden für Evakuierung
Je nach Transportmittel und Schwere der Katastrophe richtet sich auch die Größe des Notfallgepäcks. "Wer erst von der Arbeit nach Hause fahren muss, sollte nur das Notwendigste für etwa eine Woche einpacken", rät Naumann. Einkalkulieren bei der Packzeit müsse man auch das erhöhte Verkehrsaufkommen auf den Wegen aus dem Gefahrengebiet. "Die Zentralzone sollte aber innerhalb von sechs Stunden evakuiert werden", so der Katastrophenschützer.
Springer erklärt, woran man bei einer schnellen Evakuierung denken sollte: "Personalpapiere, EC-Karten und notwendige Arzneimittel". Außerdem seien etwas Verpflegung sowie Hygieneartikel und genügend Kleidung von Vorteil. Damit keine Panik ausbricht und die Evakuierung strukturiert abläuft, soll man sich den Experten zufolge zwingend an die Vorgaben der Katastrophenschutzbehörden halten und die Medien verfolgen. Dafür müsse man an Kommunikationsmedien und entsprechende Ladegeräte beim Packen denken. "Wichtig ist, dass man in Ruhe die zu evakuierenden Gebiete verlässt", erklärt Springer.
Trotz genauer Anweisungen sieht sich der Bevölkerungsschutz immer wieder mit Evakuierungsverweigerern konfrontiert, die ihre Wohnungen nicht verlassen wollen. "Grundsätzlich wird kein Zwang ausgeübt. Wir gehen von einer hohen Freiwilligkeit in der Bevölkerung aus", sagt Springer. Allerdings könne eine Zwangsevakuierung je nach Gefährdungslage von den Polizeikräften durchgesetzt werden. Das gilt aber nicht für jeden: "In Ausnahmefällen muss abgewogen werden, wie hoch die Gefahr für Leben und Gesundheit ist." Das treffe beispielsweise auf Landwirte zu, deren Vieh sonst sterben würde. "Die können wir nicht guten Gewissens und gegen ihren Willen aus der Gefahrenzone bringen", begründet Springer die Ausnahme.
Quelle: ntv.de