Panorama

Muslim Interaktiv will Kalifat So gefährlich sind die Tiktok-Islamisten

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Islamismus-Influencer Boateng studiert Lehramt in Hamburg.

Islamismus-Influencer Boateng studiert Lehramt in Hamburg.

(Foto: IMAGO/Hanno Bode)

Auf der Straße und insbesondere im Internet propagiert Muslim Interaktiv die Errichtung eines Gottesstaats. Bei dem Versuch, Jugendliche für sich einzunehmen, setzen die Online-Islamisten auf eine perfide Strategie.

Seine Botschaft an Bundesinnenministerin Nancy Faeser verbreitet Joe Adade Boateng vor einer IKEA-Katalog-Kulisse: Zimmerpflanze, Schreibtischlampe mit übergroßer Glühbirne, aufgeklappter Laptop. Im quadratischen Hängeschrank stehen zwei Bücher mit goldschimmerndem Einband. Boateng trägt ein himmelblaues T-Shirt und spricht von einer Verleumdungskampagne, "die darauf ausgelegt ist, Sie zu einem Verbot unserer Plattform zu bewegen. Dabei wird vorsätzlich die Falschbehauptung verbreitet, wir würden an einem Umsturz in Deutschland arbeiten."

Die Erzählung einer großen Kampagne gegen alle Muslime bediente Boateng auch am vergangenen Samstag als Redner auf einer Demonstration in Hamburg. Muslime würden von Politik und Medien als Feinde markiert, mit dem Ziel, sie "vom Diskurs auszuschließen", behauptete er. Seine Zuhörer hielten Schilder hoch, auf denen "Kalifat ist die Lösung" stand, forderten also offen die Errichtung eines Gottesstaats - und riefen damit die Ermittlungsbehörden auf den Plan. Nachschauen lässt sich das alles auf dem Tiktok-Account von Muslim Interaktiv. Die Plattform hatte die Kundgebung organisiert und wird vom Verfassungsschutz als gesichert extremistisch eingestuft.

Nur rund 20 Personen sollen dem engeren Kreis von Muslim Interaktiv angehören, auf Youtube, Instagram und Tiktok erreichen sie jedoch Zehntausende Menschen, vor allem Jugendliche. Damit stehen sie für einen neuen Islamismus, sagt Eren Güvercin zu ntv. "Sie kommen nicht wie salafistische Prediger in arabischen Gewändern, die ein Stück weit aus der Zeit gefallen sind", so der Gründer der liberalen Alhambra-Gesellschaft. "Sondern sie bedienen sich der Hip-Hop-Jugendkultur, sie bedienen sich der Jugendsprache und stellen bestimmte Statussymbole zur Schau, die bei jungen Leuten sehr gut ankommen."

Mehr Influencer als Imam

Junge Muslime könnten laut dem Bremer Verfassungsschutz auf den ersten Blick nur schwer erkennen, dass es sich um eine islamistische Organisation handele. Auch Joe Adade Boateng, das Gesicht von Muslim Interaktiv, wirkt mehr wie ein Influencer als wie ein Imam. Der 25-Jährige nennt sich selbst inzwischen Raheem Boateng, studiert Lehramt in Hamburg und verpackt seine radikalen Botschaften in Tiktok-typische Kurzvideos. Wie reaktionär sein Weltbild ist, zeigt ein Clip, in dem er Saudi-Arabien vorwirft, den Islam zu beschmutzen und sich dem Westen zu beugen, weil das Land eine Frau bei einem Schönheitswettbewerb teilnehmen ließ. Die nackten Schultern der Frau werden nur verpixelt gezeigt.

"In den Videos wird gesagt: 'Der Islam ist die Lösung für alles. Wenn ein Kalifat kommt, habt ihr keine Probleme mehr.' Diese schlichten Botschaften kommen an", sagt der Islamwissenschaftler Michael Kiefer von der Universität Osnabrück im Gespräch mit ntv.de. Boateng und seine Mitstreiter knüpfen jedoch auch an reale Diskriminierungserfahrungen von Muslimen in Deutschland an. "Sie sagen: Wir Muslime werden diskriminiert, die wollen uns nicht. Also müssen wir uns wehren. In ihrer Logik verteidigen sie sich gegen die Mehrheitsgesellschaft."

Dieses Narrativ transportiert das Netzwerk nicht zuletzt über den Krieg in Gaza, der zum Krieg gegen alle Muslime stilisiert wird. "Muslim Interaktiv setzt auf eine emotionale Mobilisierung", sagt Kiefer. Bei der Kundgebung in Hamburg habe sich gezeigt, welche Wirkung die Agitation im Netz habe. "Demonstrationen gab es vorher schon, aber 1000 Teilnehmer wie in Hamburg haben sie bislang nicht erreicht. Das hat mit dem Konflikt in Gaza zu tun."

Verbindung zu verbotener Bewegung

In seinem an Innenministerin Faser gerichteten Video gibt sich Boateng rechtstreu. Muslim Interaktiv erkenne den "Geltungsanspruch des Grundgesetzes als normative Ordnung der Bundesrepublik" an, behauptet er. Der Bremer Verfassungsschutz zufolge ist die Gruppe jedoch vernetzt mit der international agierenden Bewegung Hizb ut-Tahrir. Diese will die Nationalstaaten durch einen globalen Gottesstaat ersetzen, in dem die Scharia gilt.

Auf Tiktok macht Boateng keinen Hehl daraus, dieses Ziel zu teilen. Dass die Türkei vor Hundert Jahren das Kalifat abgeschafft habe, sei die "größte Katastrophe" für Muslime gewesen, infolgedessen sie weltweit Massakern und Verfolgung ausgesetzt seinen. "Wenn wir also endlich von einer Position der Schwäche in eine Position der Stärke kommen möchten, dann müssen wir zu dem zurückkehren, wozu Allah uns aufgefordert hat, nämlich zu unserem Schutzschild" - dem Kalifat.

Hizb ut-Tahrir ist seit 2003 in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegt, weil die Gruppe nach Ansicht des Bundesinnenministeriums Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele befürwortet und antisemitische Hetzpropaganda verbreitet. Muslim Interaktiv selbst sei bislang nicht gewalttätig in Erscheinung getreten, sagt Kiefer. "Eine Distanzierung von Gewalt kann jedoch auch taktischer Natur sein."

Bei Verbot "entsteht morgen eine neue Plattform"

Zwar sei die Gruppe nicht imstande, der Demokratie in Deutschland ernsthaft gefährlich zu werden, "doch sie stellt ein Problem dar für den Verfassungsschutz und die Polizei, weil sie viele Klickzahlen im Netz erreicht", so der Experte. Auf Tiktok tummeln sich überdies weitere Accounts mit nahezu identischer Aufmachung und Agenda. Durch den Algorithmus, der den Nutzern fortwährend ähnliche Inhalte vorsetzt, geraten Jugendliche leicht in eine digitale Echokammer.

Nach der Hamburger Demonstration fordern zahlreiche Politiker ein Verbot von Muslim Interaktiv. Auch Güvercin von der Alhambra-Gesellschaft dringt auf ein konsequentes Vorgehen gegen islamistische Online-Plattformen, sagt aber auch: "Wenn wir die eine Plattform heute verbieten, entsteht morgen eine neue Plattform mit einem anderen Namen."

Deswegen sei es wichtig, junge Muslime zivilgesellschaftlich zu erreichen. Politische Bildungsarbeit müsse gefördert und die Bildungsinstitutionen gestärkt werden. "In den Schulen schaffen wir es nicht, die Werte unserer liberalen Demokratie zu vermitteln, sodass sie sich vor solchen ideologischen Rattenfängern im islamistischen Milieu schützen können", sagt Güvercin.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen