Urlaubstraum statt Albtraum Wie Italien den Tourismus umkrempeln will


Brixen in Südtirol ist besonders bei deutschen Touristen und Touristinnen beliebt.
(Foto: picture alliance / Goldmann)
Italien ist eines der meistbesuchten Länder der Welt und steht als Traumreiseziel besonders vor zwei großen Herausforderungen: Wie soll mit dem Massentourismus umgegangen und wie kann Urlaub nachhaltiger werden? Bei den Lösungsansätzen sollen auch die Gäste mitwirken.
Nach den dramatischen Jahren der Pandemie geht es für die Tourismusbranche weltweite wieder kräftig bergauf. Und das natürlich auch in Italien, das in der Rangliste der meistbesuchten Länder auf Platz fünf steht. 2023 lag die Zahl der Übernachtungen laut Erhebungen des Osservatorio Turismo Visit Italy bei 427 Millionen. Wobei die deutschen Gäste mit 61 Millionen Übernachtungen an erster Stelle waren.
Aber auch wenn das Geschäft wieder brummt, heißt das nicht, dass alles bestens läuft. Zwei Herausforderungen, die schon vor der Pandemie da waren, gibt es noch immer. Geändert hat sich nur, dass ihre Lösung noch dringender geworden ist.
Die Rede ist zum einen vom sogenannten "Overtourism". Als Paradebeispiel gilt hierfür die Lagunenstadt Venedig, wo sich zu gewissen Jahreszeiten die Menschenmassen kaum noch fortbewegen können, sondern sich regelrecht durch die engen Gassen zwängen. Um dem entgegenzutreten, wurden in den letzten Jahren immer wieder Maßnahmen angekündigt und dann verschoben. Jetzt ist es aber wirklich so weit: Ab 25. April müssen Tagesbesucher in Zeiten großen Andrangs fünf Euro pro Person Eintritt bezahlen. Die Stadtverwaltung hofft auf diese Weise, die Besucherinnen und Besucher auf Tage mit freiem Zutritt umzuschichten, wovon die Gäste selbst, vor allem aber die heikle Stadtinfrastruktur und die Einwohner, profitieren sollen.
Revolution im Kopf der Besucher
Eine zweite Herausforderung mit höchster Priorität stellt die Nachhaltigkeit dar. "Wir haben zwei Möglichkeiten", sagt Werner Zanotti, Direktor des Tourismusvereins Brixen, bei einem Treffen mit ntv.de. "Wir können so weitermachen wie bisher und alles ausblenden, was um uns passiert, oder wir schauen uns die europäischen Richtlinien an, wohl wissend, dass die vorgesehenen CO2-Einschränkungen über kurz oder lang Teil des wirtschaftlichen Handelns sein werden."
Brixen ist mit knapp 23.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Südtirols. Sie liegt ungefähr 40 Kilometer nordöstlich von Bozen im Mittleren Eisacktal. Die ehemalige Bischofsstadt und die in ihrem Einzugsgebiet liegenden Franzensfeste, das Kloster Neustift und der Gebirgsstock Plose sind bei deutschen Urlaubern besonders beliebt, wie auch die Zahlen bestätigen. Mit insgesamt 482.193 Übernachtungen im vergangenen Jahr liegen die deutschen Gäste hier an erster Stelle und übertreffen die italienischen um fast das Doppelte (254.367).
Als traumhafter Magnet gilt die einzigartige Alpenlandschaft und die Möglichkeiten, die sie bietet, um sich zu erholen und die Natur zu genießen. Damit das auch so bleibt, sind Stadt- und Tourismusverwaltung gefragt, aber nicht nur. Genauso wichtig ist es, dass in den Köpfen der Besucher eine kleine Revolution stattfindet.
Wie das gehen könnte, versucht Brixen jetzt auszuloten. Die Alpenstadt nimmt als Pilotgebiet am "Nachhaltigkeitsprogramm Tourismus Südtirol" teil. Außerdem wurde eine weitflächige CO2-Erhebung in Auftrag gegeben - "damit wir wissen, wo wir etwas ändern müssen", so Zanotti - sowie ein Acht-Punkte-Plan ausgearbeitet.
Mit der Bahn oder dem Auto?
Die wichtigsten Programmpunkte beziehen sich auf Mikromobilität, Aufenthaltslänge, Exklusivität und Mitentscheidungsrechte der Bevölkerung. Bei drei dieser vier Punkte ist die faktische Zusammenarbeit der Besucher gefragt, weil es an ihrer Entscheidung liegt, ob sich was ändert oder nicht. Zum Beispiel, ob sie mit dem Auto oder mit dem Zug anreisen; oder ob sie vielleicht einen Tag länger bleiben und so dazu beitragen, dass sich vor allem nach längeren Feiertagen und an bestimmten Sommerwochenenden nicht kilometerlange Staus talabwärts Richtung Autobahn bilden. In beiden Fällen würden Rabatte den klimafreundlicheren Entschluss belohnen. Einige Beherbergungsstätten testen diese Möglichkeit schon.
Ein weiterer Punkt des Programms heißt Exklusivität. "Das hat nichts mit Arroganz zu tun", unterstreicht Zanotti. "Wir müssen aber den Mut aufbringen, gewisse Orte exklusiver zu behandeln, wenn wir wollen, dass sie ihre Magie beibehalten." Daher die Notwendigkeit, für bestimmte Sehenswürdigkeiten einen Numerus clausus pro Tag einzuführen.
Diese Maßnahmen würden auch auf die Einwohner Rücksicht nehmen "und das ist für uns ein weiterer sehr wichtiger Punkt", sagt Zanotti. Denn nicht nur in Venedig verdrängt der Tourismus die Einheimischen. Im Zentrum von Florenz gibt es 7500 Wohnungen nur für Urlauber, weswegen der Bürgermeister der Stadt eine Verordnung erlassen hat, die es verbietet, auf dem UNESCO-Gebiet der Altstadt neue B&Bs anzumelden.
Mancherorts wurden die Besucher mit Plakaten empfangen, auf denen "Go Home" stand. Wobei das Problem nicht nur die Städte betrifft. Man braucht nur an das bezaubernde Hallstatt in Österreich zu denken. Ende August 2023 blockierte ein Teil des Gemeinderats die Tunneleinfahrt in die Ortschaft, um so dem Massentourismus und natürlich auch der Umweltbelastung durch die vielen Autos entgegenzutreten.
Zunehmend setzt sich die Auffassung durch, dass Einheimische bei den Entscheidungen, die die Tourismusbranche betrifft, nicht übergangen werden dürfen, sondern miteinbezogen werden müssen. Bei wichtigen Entscheidungen sollten zum Beispiel Umfragen in der Bevölkerung stattfinden und außerdem ein Teil der Tourismusprofite in Dienstleistungen für die Einwohner investiert werden.

Die Kathedrale in Brixen erstrahlt in einer Lichtinszenierung der Gruppe Spectaculaires.
(Foto: Photo Brixen Tourismus, Matthias Gasser)
Wie das Mitnehmen der Bevölkerung aussehen kann, erklärt Zanotti anhand des alljährlichen Water Light Festivals. So wurde die Zeitspanne begrenzt, in der die Freilichtinstallationen im Zentrum zu sehen sind - aus Rücksicht auf die Einwohner, die im Zentrum von Brixen leben. Und noch ein anderes Beispiel: "Vor ein paar Jahren hatte ein Künstler eine Freilichtinstallation geschaffen, mit einem starken Lichtstrahl gegen den Himmel. Ein Umweltverband machte uns darauf aufmerksam, dass der Strahl die Migration der Vögel stören würde. Seitdem haben wir auch Biologen in unserem Organisationsteam."
Das alles mag noch den Anschein eines sehr behutsamen Herantastens haben. Immerhin spricht es aber auch eine gemeinsame Verantwortung an: Jeder muss in seiner spezifischen Rolle, ob Gastgeber oder Gast, dazu beitragen, dass aus den Traumlandschaften und Traumstädten kein Albtraum wird.
Quelle: ntv.de