Panorama

Gebirge im Klimawandel Alpen-Touristen müssen sich auf Veränderungen einstellen

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Straßen werden unpassierbar, Wanderwege zur Gefahr.

Straßen werden unpassierbar, Wanderwege zur Gefahr.

(Foto: picture alliance/dpa/BUNDESHEER/APA)

Der Klimawandel macht den Alpen seit einigen Jahren zu schaffen. Permafrost und Gletscher schmelzen, im Winter sind Schneetage immer seltener, im Sommer gefährden Steinlawinen den Bergtourismus. Neue Ideen sind gefragt.

Salzburg, 25. Februar 2024: In dem Österreichischen Bundesland stürzt ein dinosaurierschwerer und vier Kubikmeter großer Felsblock aus einem Berg auf eine Bundesstraße. Ein Auto kracht in den Felsblock hinein. Zwei Menschen werden verletzt.

Tirol, 8. Juni 2023: Rund 100.000 Kubikmeter Felsen stürzen vom Fluchthorn-Massiv ins Tal. Hunderte Meter des Südgipfels brechen ab. Der Berg verliert sein Gipfelkreuz. Niemand wird verletzt: Die Gegend ist unbewohnt.

Allgäu: Einen riesigen Felssturz erwarten die Wissenschaftler am Hochvogel nahe der Deutsch-österreichischen Grenze. Mit Argusaugen beobachten Experten einen metergroßen Riss unterhalb des in knapp 2600 Meter Höhe gelegenen Gipfelkreuzes. Käme es zum Worst Case, könnten bis zu 260.000 Kubikmeter Felsen ins Tal stürzen.

Die Uhr tickt

Die Klimaerwärmung führt dazu, dass sich das Bild unseres Planeten in den nächsten Jahrzehnten deutlich verändern wird. Das wirkt sich besonders auf die Alpen aus und das werden wir alle zu spüren bekommen: Wintersportfans, Bergsteiger, Touristen, die sich im Gebirge erholen wollen, aber besonders die Menschen, die im Alpengebiet leben und arbeiten. Viele haben schon vor Jahren begonnen, sich umzustellen. Und Wissenschaftler entwickeln Zukunftsprojekte, um die Alpen zu retten. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.

Permafrost ist der Kitt, der die Alpen zusammenhält. Er besteht zum großen Teil aus Eis, das sich im Boden befindet. Der Boden darüber erwärmt sich im Sommer. Und da liegt die Gefahr. Der Permafrost in den Alpen stammt zum Teil noch aus der letzten Eiszeit. Durch die immer wärmeren Temperaturen ist er in den letzten hundert Jahren immer weniger geworden. Doch die Wärme braucht einige Zeit, bis sie den Permafrost im Boden erreicht. In Sibirien zum Beispiel liegt er in einer Tiefe von bis zu anderthalb Kilometern. So viel ist es in den Alpen nicht. Trotzdem können sich durch das Verschwinden des Permafrosts Felsbrüche das ganze Jahr über ereignen. Und durch die Klimaerwärmung treten sie immer häufiger auf. Der "Kitt" hält die Alpen nicht mehr zusammen.

Doch die Schmelze von Permafrostböden verursacht nicht nur Felsbrüche. Denn Permafrost besteht aus Gestein, Sedimenten, Erde - und natürlich Eis. Er ist quasi eine riesengroße Tiefkühltruhe in der Erde. Deswegen sind dort seit Jahrtausenden die Überreste von Pflanzen und Tieren konserviert. Permafrost ist fest wie Zement und wasserundurchlässig. Wenn er taut, kann Wasser, das darüber liegt, versickern, Böden werden instabil, und sie setzen Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan frei. Die sind ein Faktor der Klimaerwärmung. Je mehr Permafrost schmilzt, desto heißer wird es auf der Erde.

Auch in Deutschland gibt es Permafrost - auf der Zugspitze. Doch die Fläche ist sehr klein, sagt Steffen Reich vom Deutschen Alpenverein ntv.de. Verheerende Felsabbrüche, wie es sie zuletzt in Österreich, der Schweiz oder in Italien gab, dürften sich hier nicht ereignen. Trotzdem müssen sich Hobbybergsteiger in den nächsten Jahren auf Veränderungen einstellen. So können sie plötzlich vor einer Schlucht stehen, die auf keiner Karte eingezeichnet ist. Helfen könnte hier bald künstliche Intelligenz, die Veränderungen des Bodens registriert und Felsbrüche vorhersagen kann. Doch so weit sind die Wissenschaftler noch nicht.

Die Gletscher verschwinden

Nicht nur der verschwindende Permafrost sorgt für die Veränderung der Alpenlandschaft. 4000 Gletscher gibt es in den Alpen. Seit 1990 haben sie etwa die Hälfte ihres Volumens verloren - trotz Abdeckungen, die im Sommer das Abschmelzen zumindest vermindern sollen. Ihr Verschwinden scheint nicht mehr aufzuhalten und die jährliche Abdeckung verschlingt Riesensummen. Trotzdem versuchen Wissenschaftler immer neue Methoden, um das Abschmelzen der Gletscher zu verlangsamen.

1993 haben Wissenschaftler damit begonnen, den Schneeferner-Gletscher auf der Zugspitze zu retten. In jedem Sommer haben sie den nördlichen Gletscher mit Plastikplanen abgedeckt. Damit wollten sie dessen Abschmelzen verhindern. Letztlich haben sie nur einen Teilerfolg erzielt. Sie konnten das Abschmelzen verlangsamen. Vor zwölf Jahren mussten sie aufgeben. Der Gletscher war zu klein geworden.

Ein Gletscher ist etwas Besonderes. Er lebt. Professor Wilfried Hagg von der Fakultät für Geoinformation an der Hochschule München erklärt das im Gespräch mit ntv.de so: "Ein Gletscher muss so dick sein, dass sich das Eis unter seinem eigenen Druck verformt und auf diese Weise langsam in Richtung Tal fließt. Außerdem sollte in den oberen Bereichen im Winter mehr Schnee fallen als im Sommer abschmilzt, sodass neues Eis entstehen kann."

Je wärmer es im Durchschnitt wird, desto schneller wandert die Nullgradgrenze in immer größere Höhen. Neues Eis kann sich nicht schnell genug bilden. Darum werden die Gletscher in den Alpen immer kleiner, erklärt Hagg. Aber: "Wenn ein Gletscher mit weißen Planen abgedeckt wird, reflektieren diese viel mehr Sonnenstrahlung als das dunklere Eis. Es steht demzufolge weniger Strahlungsenergie für die Schmelze zur Verfügung, die dadurch stark abgeschwächt werden kann."

In Deutschland sind die Gletscher so klein geworden, dass ihr Verschwinden wenig Auswirkungen hat, erklärt Hagg. Doch das Verschwinden der Gebirgsgletscher insgesamt führe dazu, dass die saisonale Wasserverfügbarkeit zurückgehe. Mögliches Ergebnis: Wassermangel im Sommer.

Wie schnell die Gletscher schmelzen, zeigt der Mer de Glace in der Nähe von Chamonix in Frankreich. 1892 wurde er noch als Bild eines Drachen dargestellt. Aus den eisigen Höhen kriecht er ins Tal. Seine Zunge leckt die Talwiesen ab, auf der Jagd nach ein paar Schafen oder Hirten fürs Abendbrot. Ungefähr zu dieser Zeit wird eine Aussichtsplattform angelegt. Hier können die Besucher staunend das ewige Eis bewundern. Heute, nur 130 Jahre später, ist der Gletscher nur noch mit einer Gondel erreichbar. Danach müssen die Besucher noch einmal hundert Meter auf einer Treppe nach oben steigen. Dann erst können sie das sehen, was von dem einstigen Riesengletscher übrig ist: Ein bisschen dreckiges Eis, von Geröll bedeckt. Kunststoffplanen decken den Eingang zu einer Eishöhle ab. Wasser tropft die Wände hinunter. Aus dem einst Menschen fressenden Drachen ist eine kleine Eidechse geworden, heißt es in einem Reiseführer.

Klimawandel und Alpentourismus

"Ich bin traurig", sagt Skirennläufer Markus Wasmeier. Er kann sich noch gut daran erinnern, wie er als Kind aus dem Haus gelaufen ist, um einfach Spaß zu haben - auf Skiern und Schlitten. Die Zeit ist lange vorbei.

Was Wasmeier erlebt, bekommen auch viele Urlaubsorte in den Alpen mit. Sie haben sich auf die neue Situation eingestellt. Das gilt zunächst im Winter. Je mehr Skigebiete nur noch an wenigen Tagen Schnee führen, desto mehr Wellness-Hotels schießen aus dem Boden. Auf den einstigen Skihängen wird man bald Touristen in Stiefeln klettern sehen. Neue Wander- und Spazierwege werden erschlossen.

Auch im Sommer suchen die Kurorte in den Alpen nach neuen Möglichkeiten, Touristen anzulocken. Steffen Reich vom Deutschen Alpenverein berichtet von Angeboten für Mountainbiker. Viele Hotels in Bayern, Österreich und der Schweiz stellen ihren Gästen Mountain- und E-Bikes zur Verfügung.

Ein besonderer Anziehungspunkt für Touristen sind die Sehenswürdigkeiten in den Alpen, die mit besonderen Attraktionen werben. So zum Beispiel das Freilichtmuseum von Markus Wasmeier in Schliersee, das dieses Jahr am Karfreitag für den ganzen Sommer öffnet. Wasmeier hat ein kleines Alpendorf errichtet, in dem man sehen kann, wie die Menschen vor 200 Jahren gelebt und gearbeitet haben.

Vertraute Wege könnten unbegehbar werden.

Vertraute Wege könnten unbegehbar werden.

(Foto: picture alliance / Andreas Giillner)

Besonders wichtig ist den Tourismusregionen eines: nachhaltiger und sanfter Tourismus. Sie wissen: Konventioneller Massentourismus stört die Alpenlandschaft, die für sie der wichtigste Wirtschaftsfaktor ist. Was das bedeutet, hat vor Kurzem Bergsteiger Reinhold Messner in der ARD erklärt: Verhinderung von Staus bei der An- und Abreise im Sommer, umweltbewusste Touristen, die die Berge schätzen und sie darum schonen. Dazu gehören zum Beispiel ein engmaschiges öffentliches Verkehrsnetz, Wandertaxis und E-Tankstellen an den Seilbahnstationen, Berghotels, die sich in die Landschaft einfügen und mit örtlichen Unternehmen zusammenarbeiten sowie die Förderung von kleinen Pensionen.

Schon jetzt nutzen viele Ausflugsorte Apps. Die zeigen an, ob das gewählte Ausflugsziel überlaufen ist und bieten Ausweichziele an. Damit steuern sie gleichzeitig den Besucheransturm und garantieren ihren Touristen einen entspannten und stressfreien Ferientag.

Für Messner müsste sich der Anspruch des Tourismus in den Alpen verändern. Er wünscht sich, dass die Reisenden entschleunigen, Zeit haben für die Beobachtung von Pflanzen und Tieren. Und dass sie wieder die majestätischen Berge zu schätzen lernen.

Quelle: ntv.de

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