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Ohne Impfung stecken sie sich an Wie gefährlich ist Covid-19 für Kinder tatsächlich?

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Viele Eltern fragen sich, ob sie es verantworten können, ihre Kinder in den Präsenzunterricht oder in die Kita zu schicken.

(Foto: picture alliance/dpa)

Ohne Impfschutz werden sich nach den Sommerferien zahlreiche Kinder und Jugendliche mit Covid-19 infizieren, was viele Eltern beunruhigt. Aber ist das berechtigt? Wie groß ist die Gefahr für sehr junge Menschen, schwer zu erkranken oder an Spätfolgen zu leiden?

In den nördlichen Bundesländern geht schon bald die Schule wieder los, im September folgt der Süden. Spätestens dann wird die vierte Corona-Welle an Fahrt aufnehmen. Denn die meisten Schülerinnen und Schüler sind noch nicht geimpft und bei den unter 12-Jährigen wird sich daran auch in den folgenden Monaten nichts ändern.

Viele Eltern sind deshalb verunsichert. Sie fragen sich, ob sie es verantworten können, ihre Kinder in den geplanten Präsenzunterricht oder in die Kita zu schicken. Rational begründet ist das nicht. Der aktuellen Datenlage nach ist bei sehr jungen Menschen eine schwere Erkrankung nicht auszuschließen, aber auch extrem unwahrscheinlich.

Delta führt offenbar nicht zu schwereren Verläufen

Daran hat bisher auch die Delta-Variante des Virus nichts geändert, die im Verdacht steht, nicht nur wesentlich ansteckender als die Vorgänger zu sein, sondern auch zu mehr schweren Verläufen zu führen. Doch das hat sich bisher nicht bestätigt. "Ein Vergleich von Alpha (B.1.1.7) und Delta (B.1.617.2) zeigt für die vergangenen vier Meldewochen keinen Unterschied im Gesamtanteil der Hospitalisierungen, die bei ca. 5 bis 6 Prozent von allen Fällen, bei denen eine Angabe zur Hospitalisierung gemacht wurde, liegt", heißt es im RKI-Bericht der vergangenen Woche.

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Gesunde Kinder und Jugendliche müssen nach einer Covid-19-Infektion so gut wie nie intensiv behandelt werden.

(Foto: DIVI)

Der Anteil sehr junger Menschen, die schwer erkranken, ist nach wie vor sehr niedrig. Lediglich 1,2 Prozent der Corona-Patienten auf deutschen Intensivstationen sind aktuell unter 18 Jahre alt. Damit hat sich ihr Anteil seit Anfang Juni zwar verdoppelt. Allerdings liegt dies vor allem daran, dass durch den Impffortschritt wesentlich weniger alte Menschen intensiv behandelt werden müssen.

Kinder und Jugendliche erkranken sehr selten schwer

Für eine geringe Anfälligkeit sehr junger Menschen sprechen auch die Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI). Sie führt ein Register, in das bundesweit Kinderkliniken stationär behandelte Kinder und Jugendliche mit SARS-CoV-2-Infektion melden. Dabei werden nicht alle Fälle dieser Altersgruppen erfasst, aber so viele, dass die daraus gewonnenen Informationen die tatsächliche Situation gut widerspiegeln.

Am 25. Juli hatten insgesamt 179 Kliniken seit Beginn der Pandemie die stationäre Aufnahme von 1674 Kindern und Jugendlichen gemeldet, seit dem 24. Juni sind nur sechs Patienten hinzugekommen. Keine der jüngsten Neuaufnahmen musste intensiv behandelt werden, insgesamt kamen bisher 5 Prozent der unter 18-Jährigen auf Intensivstationen.

Junge Patienten mit, nicht wegen Covid-19 in Klinik

Doch das Risiko für schwere Verläufe ist offenbar nochmals deutlich niedriger als diese Zahlen zeigen. Die Mehrheit der jungen Patienten sei aus anderen Gründen ins Krankenhaus gekommen, sagte Jakob Armann dem "Tagesspiegel". Er leitet die Pädiatrische Infektiologie und Pädiatrische Intensivmedizin an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum der Technischen Universität Dresden und koordiniert auch das DGPI-Register. Es gäbe keine Zunahme an schweren Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen durch die Delta-Variante, so Armann.

Entsprechend ist auch die Gefahr, an Covid-19 zu sterben, in diesen Altersgruppen nach wie vor extrem niedrig. Von bis heute durch das RKI erfassten 91467 Corona-Toten waren fast alle älter als 35 Jahre, lediglich 125 waren jünger. Nur sechs der Covid-19-Opfer waren bisher jünger als 15 Jahre. Und bei ihnen kann man davon ausgehen, dass sie schwere Vorerkrankungen hatten.

Sterberisiko für gesunde Kinder extrem gering

"Bisher kam es in Deutschland nur zu sehr wenigen Todesfällen und diese traten auch nur bei Kindern mit sehr schweren Vorerkrankungen auf", schreibt das RKI in einer Info-Broschüre für Eltern, Kinder- und Jugendärzte. "Etwa 1 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die an COVID-19 erkranken, muss ins Krankenhaus, etwa 0,001 Prozent verstirbt."

Auffallend an den DGPI-Zahlen ist, dass bisher 36 Prozent der jungen Corona-Patienten nicht mal ein Jahr alt waren, fast die Hälfte war keine zwei Jahre alt. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass sie schwere Verläufe hatten. "Die meisten von diesen sind Säuglinge, die vorsichtshalber im Krankenhaus bleiben. Die Gefahr für sie, schwer zu erkranken, ist aber äußert gering", erklärt Armann.

Das sind harte Fakten, die darlegen, dass schwere Covid-19-Verläufe und Todesfälle bei Kindern und Jugendlichen äußerst selten sind. Man kann verstehen, dass die Ständige Impfkommission (STIKO) ohne ausreichend Daten zu möglichen Nebenwirkungen der Vakzine bei Jugendlichen und Kindern bisher keine allgemeine Impfempfehlung für 12- bis 17-Jährige ausgesprochen hat.

"Limitierte Datenlage" zu Long Covid

Doch viele Eltern machen sich auch Sorgen wegen Long Covid, also Langzeitfolgen einer Infektion, die auch nach einem leichten Krankheitsverlauf sehr heftig sein können. "Die Symptomatik und das Auftreten von Long Covid sind bei Kindern noch nicht eindeutig geklärt", schreibt dazu das RKI. "Bekannt sind anhaltende Erschöpfungszustände, Atembeschwerden, Konzentrations- und Schlafstörungen, depressive Verstimmungen und Herzrhythmusstörungen."

Das RKI weist darauf hin, dass es allerdings nicht sicher sei, dass diese Symptome auch tatsächlich auf die Covid-19-Erkrankung zurückzuführen seien. Es könne sich auch um Symptome handeln, "die wir möglicherweise alle haben, die halt einfach die Belastungssituation im Rahmen der Pandemie reflektieren", sagte der DGPI-Vorsitzende Johannes Hübner ntv.de.

Im Vorwort zum vom RKI publizierten Papier "Auswirkungen des COVID-19-Pandemiegeschehens und behördlicher Infektionsschutzmaßnahmen auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen" heißt es, Schulschließungen, Lockdown und andere Corona-Restriktionen hätten bei Kindern zu "Symptomen von Angst und Depression" sowie einer geminderten Lebensqualität geführt.

Wie oft Long Covid beziehungsweise Post-Covid bei Kindern tatsächlich auftritt, ist bisher noch unzureichend geklärt. Das RKI weist auf eine "limitierte Datenlage" und Studien hin, die derzeit laufen, um die Höhe des Long Covid-Risikos für Kinder zu klären.

Studie: Langzeitfolgen eher psychisch bedingt

Bei bisherige Studien ist das Problem, dass ohne Kontrollgruppen gearbeitet wurde, also die Gruppe der infizierten Kinder und Jugendlichen nicht mit einer Gruppe von nicht infizierten verglichen wurde. Umso interessanter ist ein im Mai veröffentlichtes Preprint der TU Dresden unter Leitung von Jakob Armann.

An der Studie nahmen insgesamt 1560 Schüler der Klassenstufen 8 bis 12 teil, die im Mai 2020 per Antikörper-Tests auf eine überstandene Covid-19-Infektion untersucht wurden. 1365 (88 %) waren seronegativ, 188 (12 %) seropositiv. Rund ein Jahr später wurden sie gefragt, ob und wann sie Symptome wie Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnisverlust, Antriebslosigkeit, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Myalgie/Arthralgie, Müdigkeit oder Schlaflosigkeit hatten.

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Es stellte sich heraus, dass es keinen statistischen Unterschied zwischen den beiden Gruppen gab. Ob die Infektion dem Teilnehmer bekannt oder unbekannt war, hatte keinen Einfluss auf die Prävalenz der Symptome. Die Forscher schließen daraus, dass "Long Covid möglicherweise weniger verbreitet ist als bisher angenommen." Sie vermuten, dass die allgemeinen Pandemie-Folgen auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen eine größere Rolle spielen.

Das bedeute nicht, dass Long Covid bei Kindern nicht existiere, sagte Studienleiter Armann dem Wissenschaftsmagazin "Nature". Aber statt 10 Prozent, wie andere Studien ergeben haben, läge der Anteil der betroffenen Kinder eher bei 1 Prozent.

Weniger als 400 PIMS-Fälle registriert

Ähnlich niedrig scheint die Gefahr für Kinder und Jugendliche zu sein, das Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) nach einer Covid-19-Infektion zu bekommen. Unter anderem belegt eine US-Studie zwar den Zusammenhang. PIMS ist allerdings sehr selten und laut "Deutscher Apotheker Zeitung" (DAZ) auch gut behandelbar.

Das bestätigen die Daten der DGPI. Vom 27. Mai 2020 bis zum 25. Juli 2021 registrierte sie 395 Kinder und Jugendliche mit PIMS. Die meisten Fälle wurden zum Höhepunkt der dritten Corona-Welle von Dezember bis März gemeldet.

Tödliche Verläufe wurden der DGPI bisher nicht gemeldet. Auch Folgeschäden sind mit 5,4 Prozent (26 Fälle) selten. Hier kommen Herz-Kreislauf-Probleme (19 Fälle) mit Abstand am häufigsten vor.

Quelle: ntv.de

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