Notlage endet, Pandemie nicht Ampel wagt "kommunikativen Spagat" gegen Corona
09.11.2021, 14:54 Uhr
Bald wieder da: die Bürgertests.
(Foto: picture alliance / CHROMORANGE)
Die Ampelparteien wollen ein neues Corona-Regime installieren: Am Donnerstag berät der Bundestag einen Gesetzentwurf, der den Ländern eine Vielzahl an Maßnahmen zur Hand geben soll. Eine bundesweite, tägliche Testpflicht am Arbeitsplatz für Ungeimpfte birgt Sprengkraft.
Am 25. November endet zwar nicht Pandemie, aber zumindest die pandemische Lage von nationaler Tragweite läuft aus. Damit sind Maßnahmen zur Freiheitsbeschränkung auch geimpfter Bürgerinnen und Bürger bis auf Weiteres ausgeschlossen. So wollen es die Ampelparteien, so müssen sie es auch wollen, weil diverse Gerichtsurteile längst verneint haben, dass solche Freiheitsbeschränkungen angesichts der hohen Zahl an Geimpften noch angemessen sind.
Da aber in diesen Tagen die Zahl der schwererkrankten Ungeimpften und die Zahl der zumindest Corona-positiven Geimpften durch die Decke geht, steht die werdende Bundesregierung vor diversen Herausforderungen, denen sie mit Hilfe eines neuen Infektionsschutzgesetzes sowie mit zusätzlichen Instrumenten begegnen will. So soll das maßgebliche Ziel einer Überlastungsvermeidung des Gesundheitswesens, das bis zum Frühjahr Hauptgrund für Lockdowns und Schulschließungen war, nun auf anderen Wegen erreicht werden. Im Zentrum steht die Novelle des Infektionsschutzgesetzes, das die Pandemiebekämpfung von den Ministerpräsidentenkonferenzen zurück ins Parlament bringt.
Alle Arbeitnehmer täglich testen
Die vielleicht weitreichendste Entscheidung der Novelle betrifft die Einführung einer bundesweiten 3G-Regel an den Arbeitsplätzen. Wer nicht geimpft oder genesen ist, soll täglich getestet werden. Hierfür müssten alle Arbeitnehmer die Möglichkeit erhalten, den Impfstatus jeden Mitarbeiters abzufragen und entsprechende Informationen abzuspeichern. Details zur Umsetzbarkeit arbeitet derzeit auf Geheiß der Fraktionen von SPD, Grünen und FDP das Bundesarbeitsministerium des geschäftsführenden SPD-Ministers Hubertus Heil aus. Dabei ist noch offen, wie Arbeitgeber kontrolliert und testunwillige Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber sanktioniert werden könnten.
Eine erste Lesung des Gesetzes ist für Donnerstag geplant. Dann wird es im Rahmen der Gesetzesnovelle auch um Testpflichten für Beschäftigte in der Altenpflege und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung gehen. Nach Angaben von SPD-Gesundheitspolitikerin Sabine Dittmar könnten auch ungeimpfte Mitarbeiter mindestens zweimal die Woche verpflichtend getestet werden. Zur Debatte stehen demnach PCR-Pooltests. Dittmar sowie die Grünen-Abgeordnete Maria Klein-Schmeink und die FDP-Politikerin Christine Aschenberg-Dugnus betonten am Dienstag, der Schutz vulnerabler Gruppen sei in dieser Phase der Pandemie besonders wichtig.
Keine Impfpflicht, dafür Gratistests
Zugleich strebt das kommende Ampelbündnis keine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen an. Die ist augenscheinlich vor allem mit der FDP nicht zu machen. "Ich persönlich halte eine Impfpflicht nicht für notwendig", sagte Aschenberg-Dugnus. Klein-Schmeink verwies zudem auf die Sorge einiger Länderregierungen, dass eine Impfpflicht unwillige Beschäftigte aus dem Pflegewesen vertreiben könnte, wo ohnehin schon Personalnot herrscht. Stattdessen ist nun geplant, ein besseres "Monitoring" zu etablieren, weil auch 20 Monate nach Pandemiebeginn fehlende Daten ein grundsätzliches Problem sind. Die Bundesregierung habe "keinen guten Überblick zur Impfquote in den Heimen", sagte Dittmar mit Blick auf die dort Beschäftigten.
Vor allem auf die Grünen ist die Rückkehr der kostenlosen Corona-Bürgertests zurückzuführen, die es den Ländern wieder leichter machen dürfte, 3G zum allgemeinen Mindeststandard für den Zugang zu geschlossenen Räumen zu erheben. Klein-Schmeink bezeichnete deren Auslaufen unter der Großen Koalition als "großen Fehler". Dittmar hingegen sprach von einem in der Vergangenheit begrenzten Wert der Bürgertests, um Infektionsherde auszumachen. Dass auch Ungeimpfte wieder gratis getestet werden sollen, erklärte Dittmar unter anderem mit den bürokratischen Problemen, die eine unterschiedliche Behandlung mit sich brächte.
Gesundheitswesen "massiv belastet"
Einig sind sich die Koalitionspartner in spe, dass Testauflagen alleine nicht reichen werden, um die vierte Welle in den Griff zu bekommen. "Das gesamte Gesundheitssystem steht vor sehr großen Herausforderungen", sagte Klein-Schmeink. "Ich betrachte die Lage schon als ernst." Die Intensivstationen seien "schon sehr voll", sagte Aschenberger-Dugnus. Das Gesundheitssystem funktioniere zwar, sagte Dittmar, aber es werde "massiv belastet". Und: "Auch die ambulanten Praxen haben natürlich gut zu tun mit den geimpften Patienten mit den leichteren Krankheitsverläufen."
Die Gesundheitspolitikerinnen sehen die einzige Lösung in breiterem Impfen, sowohl der Ungeimpften als auch der Doppeltgeimpften mit einer Booster-Spritze. Klein-Schmeink zeigte sich mit Blick auf Beispiele aus dem Ausland optimistisch, "dass über die 2G/3G-Regelung doch der eine oder andere ermuntert wird", sich spritzen zu lassen. Grundsätzlich profitierten Menschen aller Altersgruppen von Booster-Impfungen, sagte Dittmar mit Blick auf israelische Daten.
Es hakt beim Boostern
Sorge bereitet Dittmar, dass es bei den Booster-Impfungen - je nach Bundeland - nur langsam vorangeht. Obwohl in der ersten Prioritätengruppe mit rund acht Millionen Menschen vor allem Hochbetagte sind, deren Impfung ein halbes Jahr und länger zurückliegt, seien erst 2,5 Millionen Booster-Impfungen verspritzt worden. Mit der Prioritätengruppe zwei steige die Zahl der Booster-Anspruchsberechtigten demnächst auf 19 Millionen Menschen. Dittmar sprach sich daher dafür aus, auch Impfzentren wieder hochzufahren und dort auch Grippeschutzimpfungen anzubieten. "Da kann in den linken Arm die Grippe-Impfung, in den rechten der Booster", sagte Dittmar.
Während nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums genügend Impfstoff zum Boostern bereitsteht, hakt es offenbar an der Verteilung an die Praxen. Laut Klein-Schmeink liege die Vorlaufzeit von der Bestellung bis zum Impftermin in den Praxen derzeit bei drei Wochen. Das Bestellverfahren sei nun für die Praxen erleichtert worden. "Das ist vom Minister abgestellt worden, nachdem wir darauf hingewirkt haben", sagte Klein-Schmeink mit Blick auf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn von der CDU. Kanzleramtschef Helge Braun forderte am Dienstagmorgen, 20 Millionen Booster-Impfungen bis zum Jahresende zu schaffen.
Schwarzer-Kater-Spiel zwischen Ampel und Union
Die Corona-Bekämpfung gerät in diesen Tagen in einen unerwartet rauen Streit zwischen Unionspolitikern und Ampelkoalitionären. Spahn und Kanzleramtschef Helge Braun beklagten zuletzt, dass sich die SPD einer Ministerpräsidentenkonferenz zur besseren Koordination der verschiedenen Maßnahmen verweigere. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt rügte die Maßnahmen im Ampel-Infektionsschutzgesetz als ungenügend.
Die Ampelpolitikerinnen schoben den schwarzen Peter ins gegnerische Lager zurück: Gesundheitsminister Spahn habe es versäumt, gesetzliche Regelungen für die Zeit nach dem Auslaufen der pandemischen Lage vorzubereiten. Ihre Fraktion sei in den vergangenen Monaten immer wieder mit Vorschlägen für Gesetze an das Bundesgesundheitsministerium (BMG) herangetreten, sagte SPD-Gesundheitspolitikerin Dittmar. "Diese Notwendigkeit ist weder vom BMG noch von der Unionsfraktion gesehen worden, und deswegen waren wir auch im August noch nicht soweit, die pandemische Lage aufzugeben."
Dass die pandemische Lage am 25. November ende, zugleich aber der Kampf gegen steigende Fallzahlen mit unterschiedlichen Maßnahmen auch regional unterschiedlich fortgeführt werde, betrachtet Dittmar als "kommunikativen Spagat für die Leute da draußen." Die Debatte am Donnerstag könnte etwas mehr Klarheit schaffen - vorausgesetzt, Heils Ministerium kann bis dahin ausbuchstabieren, wie genau eine 3G-Regel an den Arbeitsplätzen durchgesetzt werden soll.
Quelle: ntv.de