Rechte Unterwanderung? Bauernprotest geht weiter und wird radikaler


Ab diesem Montag demonstrieren wieder Bauern in Berlin und anderswo. Über der "Aktionswoche" liegt seit Donnerstagabend allerdings ein Schatten. Ein wütender Mob hindert Minister Habeck daran, eine Fähre zu verlassen. Die Stimmung ist aufgeheizt. Haben Rechtsextreme etwas damit zu tun?
Als Wirtschaftsminister Robert Habeck als Privatmann von Hallig Hooge aufs Festland übersetzen will, kann er das nicht tun. Dutzende aufgebrachte Landwirte und andere Randalierer hindern ihn daran. Beinahe stürmen einige von ihnen auf das Schiff. Einsatzkräfte sprühen Pfefferspray. Die Fähre kehrt um. Die Episode von Donnerstagabend zeigt vor allem, wie aufgeheizt die Stimmung in Teilen der Bevölkerung und vor allem bei manchen Bäuerinnen und Bauern ist. Dass man dem Grünen-Politiker persönlich an den Kragen will, ist inakzeptabel in einer Demokratie. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der Nötigung.
So ein Verhalten pauschal allen Landwirten anzulasten, wäre falsch. Die Annahme, ihr Protest verlaufe stets in gesellschaftlich akzeptierten und demokratischen Bahnen, allerdings auch. So gibt es Berichte, dass Mist vor Häusern der Politiker abgeladen wird, etwa in Cloppenburg. Solche Aktionen, in denen immer die geraunte Drohung: "Wir wissen, wo du wohnst" mitschwingt, haben mit einer zivilisierten politischen Debatte nichts zu tun. Die Frage, wie viele Bauern sich daraus verabschiedet haben, stellt sich nicht nur angesichts solcher Aktionen wie der gegen Habeck. Es tauchen auch immer wieder rechtsextreme Symbole bei den Protesten auf. In manchen Orten stellten Bauern Galgen auf, an denen eine Ampel hängt.
Die frühere Landwirtschaftsministerin Renate Künast sagte der "Rheinischen Post" vor dem Eindruck der jüngsten Ereignisse, der Bauernverband werde "aufs Massivste benutzt". Er müsse Veranstaltungen absagen, die er nicht mehr im Griff habe. Ein einfaches "Weiter so" bei den Protesten könne sich der Verband nach der Aktion an der Fähre gegen Habeck nicht mehr leisten. "Sich klar distanzieren, ist das Allermindeste", forderte Künast. Zugleich müsse sehr genau analysiert werden, ob die Aktion von Rechtsextremen initiiert gewesen sei. Auch strafrechtliche Konsequenzen seien zu prüfen.
Die Blockade von Habecks Fähre im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel sei "mit nichts zu rechtfertigen", sagte auch Landesinnenministerin Sabine Sütterlin-Waack. "Angemessener Protest ist legitim und wird von mir nie kritisiert werden. Aber die gestrige Blockade hatte nicht im Entferntesten etwas mit legitimem Protest zu tun", so die CDU-Politikerin. In ihren Augen habe sich durch die Aktion die Einschätzung des Verfassungsschutzes bestätigt, "dass (Rechts-)Extremisten versuchen, größere politisch-gesellschaftliche Proteste für eigene Zwecke zu nutzen und Anschluss in das vorwiegend demokratische bürgerlich-konservative Spektrum zu erhalten".
Rechtsextreme versuchen, Wut der Bauern für sich zu nutzen
Nach Angaben der Polizei wurden in den sozialen Medien Aufrufe zur Demonstration am Fähranleger Schlüttsiel verbreitet. Sütterlin-Waack konkretisiert: Zu der Aktion habe offensichtlich auch ein Eintrag in dem der verfassungsfeindlichen Delegitimierer-Szene zuzuordnenden Telegram-Kanal "Freie Schleswig-Holsteiner" am Donnerstagnachmittag beigetragen. "Darin wurde dazu aufgerufen, zur Ankunft von Vizekanzler Habeck 'mit allem zu kommen, was Räder hat'." Diese Form von Mobilisierungsaufrufen sei typisch in der Szene, so die Kieler Innenministerin.
Das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) und die "tageszeitung" (taz) haben im Kontext der Bauernproteste deutschlandweit rechtsextreme Symbole und Akteure nachgewiesen. Die AfD und rechtsextreme Gruppen wie die "Freien Sachsen" versuchen demnach, die Wut der Bauern für sich zu nutzen. Doch die Rechtsextremen kritisierten Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied auch als "Lobbyisten mit vielen Aufsichtsratsposten" und würden dem Verband vorwerfen, sich von Extremisten zu distanzieren, schreibt das RND. Vielmehr werde in unzähligen Gruppen und Kanälen auf Telegram zu einem "Generalstreik" am Montag aufgerufen. "Die dort versammelte Szene aus Rechtsextremen, 'Querdenkern' und Anhängern umstürzlerischer Verschwörungserzählungen sieht in den Bauernprotesten auch eine Möglichkeit, gegen die Bundesregierung zu mobilisieren und einen Resonanzraum für die eigenen Anliegen zu finden", heißt es in dem Artikel.
Die Landwirte sind traditionell der CDU verbunden. Das zeigten auch jüngste Wahlergebnisse im ländlichen Raum. Im Gespräch mit der taz und dem RND distanzierte sich der Bauernverband von rechten Strömungen und ist selbst auch unverdächtig, für solche Tendenzen offen zu sein. In Bezug auf rechtsextreme Fahnen und Symbole, die bei Demos zu sehen gewesen seien, teilte dieser der Zeitung mit, er lehne "eine derartige Symbolik aufs Schärfste ab".
Prügelknabe der Nation
Der Protest der Bauern ist legitim. Sie sind aufgebracht, weil die Bundesregierung die niedrige Besteuerung von Agrar-Diesel erhöhen will. Das würde vermutlich jede betroffene Berufsgruppe ärgern. Dass die Befreiung von der KFZ-Steuer ebenfalls fallen soll, hat die Ampelkoalition mittlerweile zwar wieder zurückgenommen. Bei der Preiserhöhung des Diesels soll es aber bleiben - diese soll lediglich auf mehrere Jahre gestreckt werden. 4000 Euro pro Jahr soll das die Bauern im Schnitt kosten. Hinzu kommt, dass manch ein Landwirt sich als Prügelknabe der Nation sieht. Beim Agrar-Diesel ist die Rede von "klimaschädlicher Subvention" - in der Landwirtschaft wurden die Klimaziele 2022 aber erreicht. Im Gegensatz zu anderen Bereichen wie Verkehr und Wohnen.
Dass die Landwirte Lebensmittel für alle produzieren und dabei steigende Standards bewältigen müssen, bleibt eine große Herausforderung. Das erkennen auch Agrarexperten wie der Ökonom Stephan von Cramon-Taubadel von der Universität Göttingen an. So habe die sogenannte Borchert-Kommission errechnet, dass zum Beispiel der gesellschaftlich geforderte Umbau der Tierhaltung pro Jahr Kosten von vier Milliarden Euro verursacht, die die Landwirte allein nicht stemmen können. Außerdem haben die Landwirte gerade eine strenge EU-Pflanzenschutzverordnung abgewehrt - zwar erfolgreich, aber das Gefühl, immer mehr aufgebürdet zu bekommen, dürfte gewachsen sein.
Dass sie in den vergangenen ein, zwei Jahren dank der steigenden Lebensmittelpreise gut verdient haben, sehen die Bauern eher als Verschnaufpause. Dem "Tagesspiegel" sagte Bauernverbandspräsident Rukwied, das habe daran gelegen, dass die Produktionskosten erst nach den Lebensmittelpreisen gestiegen seien. Das hat sich aber mittlerweile wieder geändert. Richtig ist auch, dass die Bauernhöfe und Agrarbetriebe hohe Subventionen von der EU bekommen und nur dadurch überleben können. Der Bauernverband betont im Gegenzug, dass die Landwirte die Ernährungssicherheit in Deutschland und Europa gewährleisten. Der Verband fordert sogar, diese als Ziel ins Grundgesetz aufzunehmen. Die Lage der Bauern lässt sich jedenfalls nicht auf ein paar Cent für den Liter Diesel reduzieren.
Rukwied ist gerade so etwas wie ein Mann der Stunde, weil er Claus-Weselsky-artig in der Lage zu sein scheint, Hunderte Traktoren durch Deutschland zu dirigieren. So wirkte es zumindest, als eine Woche vor Weihnachten Bundeskanzler Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und eben Habeck eine Einigung in der Haushaltskrise verkündeten - die zulasten der Bauern gehen sollte.
"Das ist nicht unser Protest"
Schon ein paar Tage später fuhren Hunderte Traktoren zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor auf. Ein starkes Signal, von dem sich auch die Politik beeindrucken ließ. Vor allem aus der FDP-Fraktion und von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, aber auch den Landwirtschaftsministern der Länder kam Protest. Lindner und Habeck zeigten sich gesprächsbereit und forderten Alternativvorschläge. Das Ergebnis war die Streckung der Dieselpreiserhöhung. Die KFZ-Steuerbefreiung bleibt unangetastet. Das wäre schon ein Erfolg, doch Rukwied kündigte dennoch sofort an, der Protest solle weitergehen. Am Montag beginnt wie geplant eine bundesweite "Aktionswoche", die am Montag darauf, dem 15. Januar, in einer erneuten großen Demo in Berlin gipfeln soll.
Bis zum teilweisen Einlenken der Regierung am Donnerstag bekamen die Bäuerinnen und Bauern viel Zuspruch aus allen Ampelparteien, sei es von FDP-Fraktionschef Christian Dürr, SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert oder Grünen-Politiker Özdemir. Doch alle drei hatten die Erhöhung stets "in dieser Form", "in dieser Höhe" oder ähnlichen einschränkenden Formulierungen abgelehnt. Jetzt dürfte ihre Leidenschaft für die Anliegen der Bauern abkühlen.
Der Bauernverband bemüht sich daher redlich, sich von den Randalierern an Habecks Fähre zu distanzieren. "Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht", gab Rukwied zu Protokoll. "Blockaden dieser Art sind ein No-Go." Die Aktion gehe gar nicht, sagte der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, ntv. "Verletzung von Privatsphäre, Nötigung, Gewalt: Das funktioniert nicht. Das ist nicht unser Protest." Man gehe aber davon aus, dass das ein Einzelfall bleibe. "So geht kein demokratischer und konstruktiver Protest."
Dabei ist es die Frage, ob und wie sehr Rukwied & Co. noch die Kontrolle ausüben. Schon vor der Aktion gegen Habeck forderte er, auf "sinnlose Blockaden" zu verzichten. Die Bauern sollten die Unterstützung der Bevölkerung nicht verspielen. Sollte sich herausstellen, dass es stärkere rechtsextreme Strömungen unter den Protestierenden gibt, wäre diese vermutlich schnell dahin. Die Frage ist, ob das noch etwas ändern würde. Den Bauernprotest umweht mittlerweile ein Hauch von Gelbwesten-Bewegung, der sich verselbstständigen könnte.
Quelle: ntv.de