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DIW-Chef Fratzscher im Interview "Das ist eine Umverteilung von Jung zu Alt"

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Die Rente steigt weiter mit den Löhnen: Für die jetzt in Rente gehenden Babyboomer ist das eine gute Nachricht, für die Beitragszahler eher nicht.

Die Rente steigt weiter mit den Löhnen: Für die jetzt in Rente gehenden Babyboomer ist das eine gute Nachricht, für die Beitragszahler eher nicht.

(Foto: dpa)

DIW-Chef Marcel Fratzscher kritisiert das Rentenpaket II, das heute vom Bundeskabinett auf den Weg gebracht wird. Die Festschreibung des Rentenniveaus sei eine gute Nachricht für die Babyboomer, belaste aber die Beitragszahler. Auch die Aktienrente sieht der Ökonom kritisch: Für das sogenannte Generationenkapital würden Schulden aufgenommen, nicht aber für Bildung und Infrastruktur.

ntv.de: Mit dem Rentenpaket II will die Bundesregierung bis zum Jahr 2039 festschreiben, dass das Rentenniveau nicht unter 48 Prozent eines Durchschnittslohns fallen darf. Ist das für heutige und künftige Rentner eine gute Nachricht?

Marcel Fratzscher: Das Rentenpaket II ist eine gute Nachricht für die Babyboomer - also die, die jetzt in Rente gehen -, weil das Rentenniveau stabil bleibt. Das heißt, die Renten steigen weiterhin mit den Löhnen an. Aber konkret heißt das auch, dass eine noch stärkere Umverteilung von Jung zu Alt stattfindet. Denn um das Rentenniveau stabil zu halten, werden die Beiträge der Beschäftigten steigen müssen, von im Augenblick 18,6 Prozent auf 22,3 Prozent im Jahr 2035.

Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).

(Foto: picture alliance/dpa)

Zum Rentenpaket II gehört auch ein 200 Milliarden Euro schwerer Aktienfonds. Der soll ab 2036 rund 10 Milliarden Euro jährlich ausstoßen, um die gesetzliche Rente zu stabilisieren. Ist die Einführung dieser sogenannten Aktienrente aus Ihrer Sicht eine gute Idee?

Das "Generationenkapital", wie der Finanzminister es nennt, also die 200 Milliarden Euro, die in Aktien investiert werden sollen, soll über Kredite finanziert werden - mit anderen Worten: über Schulden. Ich halte das für eine schlechte Idee. Nicht, weil es prinzipiell unsinnig wäre, sondern weil es die falschen Prioritäten setzt. Der Bundesfinanzminister und die Bundesregierung nehmen Schulden auf, um das Geld in ausländische Unternehmen zu investieren. Sie wollen keine Schulden aufnehmen, um in Bildung, in Qualifizierung, in gute Infrastruktur in Deutschland zu investieren. Da fährt die Bundesregierung den Kurs harter Sparmaßnahmen. Daher halte ich dieses sogenannte Generationenkapital für einen schweren Fehler.

Ist die Größenordnung geeignet, tatsächlich die gesetzliche Rente zu stabilisieren?

Die 200 Milliarden Euro werden nicht genug Rendite generieren, um die gesetzliche Rente spürbar zu entlasten. Wir reden hier über 10 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen pro Jahr bei Gesamtkosten von 400 bis 500 Milliarden Euro. Da sieht jeder sofort: Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Das wird vorn und hinten nicht reichen, um die gesetzliche Rente besser zu unterstützen.

Ist es ein Problem, dass der Rentenbeitrag von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bis 2035 von derzeit 18,6 Prozent auf 22,3 Prozent steigen soll?

Der Anstieg der Beiträge für die Beschäftigten auf über 22 Prozent bedeutet eine stärkere Belastung für die Beschäftigten, aber auch für die Unternehmen. Zumal wir schon recht hohe Lohnnebenkosten in Deutschland haben. Ich halte es prinzipiell für richtig, dass man das Rentenniveau stabilisiert, also dass man dem Versprechen nachkommt, Rentnerinnen und Rentnern eine stabile und sichere Rente zu geben. Aber man muss auch ehrlich sagen, was das bedeutet, nämlich: Die junge Generation muss mehr einzahlen und wird stärker belastet. Wenn man das Rentenniveau stabilisieren will, dann hätte man andere Wege finden müssen - beispielsweise über eine stärkere Besteuerung oder über eine höhere Beitragsbemessungsgrenze. Derzeit liegt diese Grenze im Westen bei 7550 und im Osten bei 7450 Euro pro Monat. Einkommen darüber wird von der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfasst. Das könnte man ändern.

Derzeit steht wieder einmal die Rente mit 63 in der Kritik. Was wäre gewonnen, wenn man nicht mehr nach 45 Beitragsjahren abschlagsfrei in die Rente gehen könnte?

Die abschlagsfreie Rente, die Rente mit 63, wie sie genannt wird, kostet den Staat jährlich ein paar Milliarden Euro, drei bis vier Milliarden mindestens werden es sein. Davon profitieren hauptsächlich Männer in guten und gut bezahlten Industriejobs. Ich will nicht sagen, dass man einzelnen Gruppen nicht auch mehr geben kann. Aber wir müssen uns bewusst sein, dass die Gruppen, die davon profitieren, eher bessergestellte Rentner sind - und eher nicht Menschen, die ihr Leben lang immer wieder mit unterbrochenen Erwerbsbiografien kämpfen mussten. Frauen, deren Erwerbsbiografien häufig von Kindererziehungszeiten unterbrochen sind, profitieren beispielsweise wenig von der Rente mit 63. Auch die Rente mit 63 ist damit eher eine Umverteilung von unten nach oben.

Es wird immer wieder gefordert, Selbstständige und Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Würde man damit mehr erreichen, als Zeit zu kaufen? Denn am generellen demografischen Trend würde sich dadurch nichts ändern.

Es wäre richtig, wenn man auch Selbstständige sowie Beamtinnen und Beamte mit in die gesetzliche Rente einbeziehen würde. Das würde enorme Reformen verlangen, aber es würde das Rentensystem langfristig stabiler machen. Allerdings würde es auf viele Jahre keine Einsparungen bringen, denn die Beamten haben ja Ansprüche, die auch nach einer solchen Reform bezahlt werden müssten.

Ist es überhaupt möglich, eine sichere staatliche Rente zu organisieren, wenn es immer mehr Rentner und immer weniger Beitragszahler gibt? Brauchen wir nicht vor allem eine längere Lebensarbeitszeit?

Wir brauchen tatsächlich eine längere Lebensarbeitszeit, ein späteres Renteneintrittsalter, so ehrlich muss man sein. Aber viele Menschen können nicht länger arbeiten, schon aus gesundheitlichen Gründen. Andererseits gibt es viele Menschen, die das durchaus können und auch möchten. Hier brauchen wir mehr Flexibilität - da bin ich ganz beim Bundesfinanzminister und der FDP. Wir müssen es Menschen ermöglichen, zum Teil eben auch weit über ihr reguläres Renteneintrittsalter hinaus weiterzuarbeiten. Das entlastet die gesetzliche Rente, dann bleibt mehr für die anderen übrig. Und zweitens liegt der Schlüssel für alles - für eine stabile gesetzliche Rente, für eine Sicherung gegen Altersarmut - in einem guten Arbeitsmarkt: in sehr guten Löhnen, auch in mehr Arbeitsstunden als viele, vor allem Frauen, in Deutschland arbeiten. Hier kann die Politik, beispielsweise bei der Steuerpolitik, bei der Reform des Ehegattensplittings und anderen Dingen, eine Menge tun, um die Rente zu verbessern.

Gibt es einen Moment, an dem es für die gesetzliche Rentenversicherung wirklich eng wird? "2030 wird es heftig", hat der Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, im vergangenen Jahr gesagt.

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Die gesetzliche Rente in Deutschland ist im Augenblick immer noch sehr gut ausgestattet. Es gibt noch üppige Rücklagen, die in den nächsten drei, vier, fünf Jahren aber aufgebraucht sein werden. Dann, wenn der Großteil der Babyboomer in Rente ist, wird es sehr hart für die gesetzliche Rente. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Bundesregierung bereits heute riesige Subventionen für die gesetzliche Rentenversicherung zahlt: Die Steuerzuschüsse belaufen sich auf mehr als 100 Milliarden Euro, zum Teil auch für versicherungsfremde Leistungen, weil - beispielsweise bei der Rente mit 63 - Ausgaben versprochen wurden, die nicht über die Beiträge abgedeckt werden können. Heißt konkret: Wir werden in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren einen deutlichen Anstieg der steuerlichen Zuschüsse zur gesetzlichen Rente sehen. Das ist auch in Ordnung so, es ist besser, als die Beiträge zu erhöhen. Aber, nochmal: Es gäbe bessere Wege, die gesetzliche Rente zu finanzieren. Zum Beispiel, indem das gesetzliche Renteneintrittsalter flexibilisiert wird. Und indem mehr Menschen in den Arbeitsmarkt gebracht werden - da geht es vor allem um Frauenerwerbstätigkeit und um Zuwanderung. Das sind die Schlüssel für eine auskömmliche Rente über die nächsten zehn bis zwanzig Jahre.

Mit Marcel Fratzscher sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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