Politik

Xi empfiehlt Europa "Autonomie" "Dann lassen die USA den Hammer schwingen"

 "Ich glaube, wir verstehen uns gegenseitig", sagte US-Präsident Biden nach seinem Treffem mit dem chinesischen Präsidenten Xi am Montag.

"Ich glaube, wir verstehen uns gegenseitig", sagte US-Präsident Biden nach seinem Treffem mit dem chinesischen Präsidenten Xi am Montag.

(Foto: AP)

Über Jahrzehnte waren die Rollen zwischen Amerikanern und Chinesen klar verteilt: Demokratie, Baseball und Lady Gaga gegen Diktatur, Armut und Hunger. Dass es beim G20-Gipfel ein chinesischer Staatschef ist, der Europa dazu rät, sich von den USA unabhängiger zu machen, steht symbolisch für den Wandel der chinesisch-amerikanischen Beziehungen.

Misstrauen gegen Chinesen ist in den USA nichts Neues. Schon vor fast 150 Jahren erließen die Vereinigten Staaten ein Gesetz, das chinesischen Einwanderern den Weg ins gelobte Land verwehrte - zumindest vorübergehend. Der Chinese Exclusion Act war die politische Reaktion auf eine Wirtschaftskrise in den 1870er Jahren, mit dem die Regierung billige Arbeitskräfte aus Fernost verbannen und die zur Verfügung stehenden Jobs den eigenen Staatsbürgern vorbehalten wollte. Make America Great Again.

Im 21. Jahrhundert geht es schon lange nicht mehr um ein paar Zehntausend chinesische Arbeitskräfte, die in den USA Lohn und Brot suchen. Arbeitsplätze bietet China inzwischen selbst genug. Der amerikanische Traum, der den Pfad vom Tellerwäscher zum Millionär beschreibt, hat eine chinesische Alternative zur Seite gestellt bekommen. Die Aussicht auf märchenhaften Reichtum bietet auch die Volksrepublik ihren Bürgern.

Vielmehr geht es um die Frage, welches Modell, das die beiden Staaten repräsentieren, der Welt glaubhaft vermitteln kann, das bessere zu sein. Und das nicht nur, um einen Schönheitswettbewerb für sich zu entscheiden, sondern um künftig die Geschicke der Welt zu bestimmen. Denn China hat mit seinem wirtschaftlichen Erfolg der vergangenen 40 Jahre auch das Selbstverständnis zurückgewonnen, der Welt seinen Willen aufzudrängen. Und so stehen sich gegenüber das liberal-demokratische Modell mit Gewaltenteilung und das totalitär-autoritäre mit dem absoluten Herrschaftsanspruch.

Peking versucht seit Jahren, den Westen zu entzweien

Den größeren Zulauf erhielten zuletzt die Chinesen. Geld und Wachstum sind für viele Akteure offenbar um jeden Preis wichtiger als die Freiheit, wenn sie mit Blick auf China zwischen Annäherung und Distanzierung wählen müssen. Für die Amerikaner ziehen solche Abwägungen in Drittstaaten eine enorme Herausforderung nach sich, wenn sie ihre Rolle als Supermacht Nummer eins bewahren wollen. Es genügt eben nicht mehr, die Chinesen, wie vor 150 Jahren, einfach auszuschließen, um die eigenen Probleme zu lösen.

Wenn Washington heutzutage auf chinesische Technologie beim Aufbau seiner kritischen Infrastruktur verzichtet, mag das der nationalen Sicherheit zugutekommen. Der Verteidigung amerikanischer Vormachtstellung in der Welt hilft das aber wenig. Denn China versucht seit Jahren, die US-Verbündeten auf anderen Spielfeldern auf seine Seite zu ziehen. Teile und herrsche - Peking arbeitet konsequent daran, westliche Bündnisse zu entzweien. Offensiv und selbstbewusst.

Ausgerechnet Xi spricht vom "Geist der Unabhängigkeit"

Am Rande des G20-Treffens auf Bali empfahl Chinas Staatspräsident Xi Jinping den Europäern am Dienstag, sich weniger abhängig zu machen von den USA. Im Gespräch mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte Xi, Frankreich und die Europäische Union sollten zusammen mit China "den Geist der Unabhängigkeit und Autonomie wahren".

Diese Aufforderung richtet sich eindeutig gegen die Amerikaner, und sie drückt das neue Selbstverständnis Chinas aus nach Jahrzehnten der Armut und internationaler Bedeutungslosigkeit. Das Land schert sich nicht darum, dass in Europa derzeit die Frage um eine Abhängigkeit von China heiß diskutiert wird. Auch weil China gelernt hat, dass seine wirtschaftlichen Versprechen an den Rest der Welt konkurrenzfähig sind zu Amerikas Exporten von Demokratie, Baseball und Lady Gaga.

Und so verändert Chinas Auftreten gegenüber den USA zugleich Washingtons Beziehungen zu den Europäern. Denn die zeigen sich seit Jahren sichtlich beeindruckt von dem, was Peking bietet - einen riesigen Verbrauchermarkt mit stetig wachsendem Pro-Kopf-Einkommen, der weit davon entfernt ist, satt zu sein.

Die USA dürften auf "freiwilligen Gehorsam" setzen

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"Was die Amerikaner idealerweise gerne sehen würden, ist, dass andere Länder ihre Exportkontrollen oder regulatorischen Instrumente ebenso auf China anwenden wie sie selbst", sagt Evan Feigenbaum, ehemaliger stellvertretender Staatssekretär und Vizepräsident der Denkfabrik Carnegie Endowment in Washington. Feigenbaum glaubt, dass die USA versuchen werden, "freiwilligen Gehorsam" bei den Europäern zu erreichen. Sollte das nicht gelingen, erwartet er, dass "die USA den Hammer schwingen werden", also ihrerseits Mittel anwenden würden, um europäische Partner zu einer entsprechenden Politik zu zwingen. Dem Verhältnis zwischen den USA und Europa wäre ein solch erzwungener Gehorsam keineswegs zuträglich.

"Wenn die amerikanische Politik und deren Strategien für einen strategischen Wettbewerb mit China anderswo nicht widergespiegelt werden, dann steuern wir auf eine zänkische Zeit zwischen den USA und ebenjenen Partnern zu, die sie brauchen, um den Wettbewerb mit China zu meistern", sagt Feigenbaum. Großer Profiteur wäre die Volksrepublik.

Quelle: ntv.de

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