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Kampfjet-Debatte nimmt Fahrt auf Darum will die Ukraine die F-16

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Eine F-16 feuert bei einer Übung Täuschkörper ab, die den Gegner vom echten Ziel ablenken sollen. Im Hintergrund fliegt eine F-35.

(Foto: IMAGO/Björn Trotzki)

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Westliche Kampfjets schienen für die Ukraine unerreichbar. Nun bildet sich eine Koalition, die F-16 liefern will. Der wendige US-Flieger könnte Kiews Luftwaffe Fähigkeiten bieten, die bislang fehlen.

Großbritannien und die Niederlande wollen eine "internationale Koalition" schmieden, um die Ukraine mit F-16-Kampfjets zu beliefern und bei der Ausbildung zu unterstützen, teilten beide Länder am Dienstag mit. Die Regierungschefs, Rishi Sunak und Mark Rutte, hätten sich darauf verständigt.

Was klingt, als würden die vielfachen Appelle der ukrainischen Regierung nun doch vom Westen erhört, ist im Detail kniffliger als es den Anschein hat. Beginnend damit, dass etwa Großbritannien - so wie Deutschland - keine eigenen F-16 in den Hangars seiner Luftwaffe hat. Dem Briten Sunak bliebe also in der Kampfjet-Koalition nur die Rolle desjenigen, der auf potenzielle Geberländer Druck macht.

Internationaler Druck bei Waffenlieferungen - diese Situation erscheint aus dem Winter noch sehr vertraut. Damals ging es darum, ob und wie schnell die Ukraine-Unterstützerländer Leopard-2-Kampfpanzer an Kiew liefern könnten. Nötig war dafür das Go von Bundeskanzler Olaf Scholz, gleich in zweifacher Hinsicht - zum einen für Lieferungen aus dem eigenen Bestand, aber auch für Genehmigungen von Gaben anderer Länder. Das Produktionsland muss an Lieferungen aus Drittländern seinen Haken machen.

Im Auge des Sturms diesmal: Biden

Nun kündigt sich mit der Kampfjet-Koalition also die nächste internationale Kampagne an, und diesmal wird US-Präsident Joe Biden im Auge des Sturms stehen. Nicht nur könnten die USA, wo der Rüstungskonzern Lockheed Martin den Kampfjet seit fünf Jahrzehnten fertigt, ein zentraler Lieferant von F-16 für die Ukraine sein. Washington müsste auch die Unterstützung durch andere Staaten genehmigen.

Bislang zeigt das Weiße Haus weder in der einen noch in der anderen Frage Bereitschaft. Gleichzeitig unterstützen die USA die Ukraine an vielen Fronten dieses Krieges bereits sehr stark und stehen seit dem ersten Tag an der Spitze der helfenden Nationen. "Viele Länder hängen außerdem mit Blick auf ihre eigene Sicherheit von den USA ab, sodass es viel schwieriger als beim Leopard wird, diese PR-Kampagne zu fahren", sagt Gustav Gressel, Militärexperte am European Council on Foreign Relations (ECFR).

Da würde also Premier Sunak in seiner eingeschränkten Rolle als Druckmacher einiges auffahren müssen, um in Washington zu überzeugen, wobei er gute Argumente nutzen könnte mit Blick auf den bisherigen Kriegsverlauf:

Die Fähigkeit, die russische Luftwaffe abzuwehren, liegt auf der ukrainischen Seite hauptsächlich in der Flugabwehr, doch war diese von Beginn des Krieges an nicht in der Lage, Schutz für das gesamte, großflächige Staatsgebiet zu geben. Die ukrainische Luftwaffe hat darum auch die Aufgabe, die hierdurch klaffenden Lücken zu füllen. Sie sorgt dafür, dass sich russische Kampfflieger zumindest bedroht fühlen müssen, wenn sie in den ukrainischen Luftraum eindringen. Eine Strategie, die bislang relativ gut funktioniert.

Flugabwehrsysteme könnten wegbrechen

In den ersten drei Tagen des Krieges gelang es Russland jedoch, sehr viele der ukrainischen Luftabwehrsysteme durch elektronische Kriegsführung auszuschalten. Die Ukrainer benötigten mehrere Tage, um die Schäden zu beheben und die Luftabwehr zurück in Position zu bringen.

Dadurch entstand eine gefährliche Phase der Schutzlosigkeit, in der russische Kampfjets die Chance gehabt hätten, ukrainische Städte so in Grund und Boden zu bomben, wie sie es in Syrien mit Aleppo, Homs und vielen anderen Städten getan haben. Um das zu verhindern, war Kiews Luftwaffe in jenen Tagen gezwungen, den Job der Fliegerabwehr zu übernehmen. Die Piloten waren über lange Zeiträume am Himmel und versuchten, jeden russischen Kampfjet abzuschießen, der in ihre Reichweite kam.

Das jedoch bei sehr hohem eigenem Risiko, denn die für die ukrainischen Flieger sowjetischer Bauart produzierten Raketen finden ihr Ziel nur, wenn dieses kontinuierlich per Radar markiert wird. Der Ukrainer muss sich also weiter in Reichweite des feindlichen Jets befinden und das Radarsignal senden, wodurch auch seine eigene Position ortbar wird. Für andere russische Kampfjets in Lauerstellung ein dankbares Ziel - schnell wird der eigentliche Jäger zum Gejagten. So bringt jede Attacke den ukrainischen Jet selbst in Gefahr. Entsprechend hoch waren die Verluste der Luftwaffe in jenen ersten Tagen des Krieges.

Eine ähnliche Situation droht der Ukraine aus Sicht Gressels auch in diesem Sommer. "Nicht, weil die russischen Streitkräfte es erneut schaffen würden, die gegnerische Luftabwehr außer Gefecht zu setzen. Sondern weil die alten, nun stark beanspruchten Flugabwehrsysteme schlicht zur Neige gehen." Die Unterstützerstaaten werden die entstehende Lücke nicht schnell genug mit westlichen Waffensystemen schließen können.

Zwar nutzen viele westliche Staaten das US-Abfangsystem "Patriot", von dem die Ukraine derzeit zwei Stück sehr erfolgreich einsetzt. Doch kaum ein Land könnte weitere Exemplare der teuren Flugabwehrwaffe an Kiew abgeben, ohne seine eigene Wehrhaftigkeit gegen Luftangriffe zu schwächen.

Der Produzent der Patriots, der US-Rüstungskonzern Raytheon, kündigte Ende vergangenen Jahres an, mit Hilfe eines Produktionsstandortes in Deutschland seine Kapazitäten in der Herstellung zu verdoppeln. Doch schätzt Raytheon selbst die Aufbauzeit des gesamten Fertigungsprozesses auf drei bis vier Jahre. Für die befürchtete Versorgungskrise der Ukraine im Sommer bringen diese Pläne nichts.

Zwischenzeitlich hat die Ukraine aus Bulgarien, der Slowakei und Polen einige ausrangierte MiG-29 als Ersatzteillager erhalten und erst vor kurzem zwei flugbereite Geschwader mit je 13 Jets. Wenn sie aber demnächst gezwungen wäre, sich wie zu Beginn des Krieges wieder stark im risikoreichen Luftkampf zu engagieren, müsste man erneut mit hohen Verlusten rechnen.

"Leopard der Lüfte"

Hier könnte die von der Ukraine favorisierte F-16 eine wichtige Rolle spielen, denn sie operiert mit einem dezenteren Radar und ist in der Lage "fire and forget missiles" abzuschießen, also Raketen, die sich eigenständig auf ihr Ziel ausrichten, ohne die Position des Jets zu offenbaren. Der auf Wendigkeit getrimmten F-16 eröffnet das die Möglichkeit, nach dem Abfeuern sofort abzudrehen. So könnten die Ukrainer im Sommer erneut die Schwäche in der Flugabwehr ausgleichen, aber bei deutlich mehr Sicherheit für die eigene Kampfjetflotte.

"F-16 sind, wenn man so will, der Leopard der Lüfte", fasst es Militärexperte Gressel zusammen. Und selbst, wenn die Ukraine nur ältere Modelle des Kampffliegers erhalten würden, wäre die qualitative Verbesserung zu den jetzigen Waffen noch immer eklatant.

Dieses Argument ist auch für die Union offensichtlich, weshalb man dort gern Bundeskanzler Olaf Scholz an der Seite von Rishi Sunak beim Druckmachen auf die USA sehen würde. "Mit Kampfjets können die ukrainischen Soldaten das Gefechtsfeld vorbereiten, indem sie russische Versorgungslinien, Munitionsdepots, Verladestationen, Bahnlinien, Treibstofflager oder Logistiklager sowie Radaranlagen weit hinter der Frontlinie zerstören", argumentiert der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter. So ließe sich das Feld frei machen für ukrainische Bodentruppen, die Kampfjets im Gefecht aus der Luft unterstützen können. Auch gegen billige und dabei sehr effiziente Gleitbomben, die die russischen Streitkräfte erst seit kurzem einsetzen, und die wegen ihrer hohen Reichweite für die ukrainische Luftabwehr kaum abzuwehren sind.

Ein Problem haben die F-16 allerdings, das der Leopard nicht hat, und das ist eine gewisse Empfindlichkeit mit Blick auf die Rahmenbedingungen. Das Fahrwerk des Flugzeugs ist fragil, weshalb die Maschine auf gut präparierten Pisten gestartet und gelandet werden muss - anders als die MiG-29, der man nachsagt, auf nahezu jedem Acker herunterkommen zu können. Die improvisierten Start- und Lande- oder auch Autobahnen in der umkämpften Ukraine sind aus Sicht Gressels für die Landung einer F-16 - zumindest derzeit - noch nicht geeignet.

Doch dieses Problem sieht der Experte eher in der zweiten Reihe, während zunächst im Vordergrund stehen müsste, die erforderliche Logistik zu schaffen: unter anderem Ausbildung von Technikern, geeignete Flughallen, Ersatzteile, Material zur Instandhaltung. All das kostet viel Zeit, die die Ukraine nicht hat. Entsprechend schnell wird der Druck in der F-16-Debatte steigen, auch auf den deutschen Kanzler. "Deutschland sollte die geforderte Führungsrolle annehmen und aktiv an einer F-16-Koalition mitwirken", fordert Unionspolitiker Kiesewetter. Dass man dafür gar keine eigenen F-16-Jets braucht, führt Rishi Sunak gerade vor.

Quelle: ntv.de

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