Freie Wähler in Umfragen stärker "Das ist ein Widerspruch, aber Aiwanger bekommt das hin"
13.09.2023, 20:33 Uhr
Aiwanger hat die Flugblatt-Affäre nicht geschadet - wohl eher im Gegenteil.
(Foto: dpa)
Seit Bayerns Ministerpräsident Söder entschied, Wirtschaftsminister Aiwanger nicht zu entlassen, ist die Flugblatt-Affäre vorerst vorbei. Umfragen zeigen rund einen Monat vor der Landtagswahl am 8. Oktober deutliche Gewinne für die Freien Wähler. Die Politikprofessorin Jasmin Riedl von der Universität der Bundeswehr in München analysiert das Phänomen Aiwanger im Interview mit ntv.de - und erklärt, was er mit Trump gemein hat.

Prof. Dr. Jasmin Riedl forscht und lehrt an der Universität der Bundeswehr in München.
(Foto: Universität der Bundeswehr München)
ntv.de: Frau Riedl, nach dem vorläufigen Ende der Flugblattaffäre von Hubert Aiwanger in Bayern zeigt eine Umfrage nach der anderen: Die Freien Wähler gewinnen an Zustimmung. Ist das trotz oder wegen des Flugblatts?
Jasmin Riedl: Mein Eindruck ist, dass es beides ist. Ein Teil des Zuwachses für die Freien Wähler hat mit der Flugblatt-Causa zu tun. Der Aufwind für die Freien Wähler zeichnet sich aber schon länger ab. Aiwanger und die Freien Wähler sind gut in der Lage, bestimmte Themen und auch Emotionen bestimmter Bevölkerungsgruppen glaubhaft zu repräsentieren. Dabei profitieren sie von der in Bayern ausgeprägten Konfliktlinie zwischen Stadt und Land.
Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, sagte, Ministerpräsident Markus Söder habe das kleinere Übel gewählt, als er Aiwanger nicht entließ. Doch jetzt passiert doch genau das, was befürchtet wurde. Er instrumentalisiert die Sache weiter und profitiert davon.
Das kann man nun im Nachhinein so sagen. Aber wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn er Aiwanger tatsächlich entlassen hätte. Womöglich hätten die Freien Wähler dann noch mehr zugelegt. Es hat sich aber schon vor Söders Entscheidung abgezeichnet, dass die Freien Wähler so oder so zulegen würden. Das haben wir auch in Social-Media-Analysen gesehen.
Liegt der Zuspruch vielleicht auch daran, dass die Art der Vorwürfe tatsächlich diskutabel war? Der Tonfall des ersten Artikels der "Süddeutschen Zeitung", die ja eher linksliberal ist, wurde vielfach kritisiert. War der Eindruck, dass Aiwanger geschadet werden sollte, da so weit hergeholt?
Festzuhalten ist: Nicht alle, die Sympathien für Aiwanger zeigten, sympathisieren mit seinem Programm oder seinem Populismus. Es gibt ja eine Debatte darüber, ob dieser Beitrag absichtlich zu dieser Zeit veröffentlicht wurde und darüber, ob er zu kommentierend und nicht sachlich genug war. Es ist aber schwer zu beurteilen, ob oder für wie viele genau das nun den Ausschlag gibt, in Umfragen zu sagen, dass man nun für die Freien Wähler stimmen will. Aber die Medienschelte Aiwangers, die Vorwürfe als Hexenjagd zu bezeichnen, war dennoch daneben. Hinzu kommt, dass auch konservative Zeitungen gefordert haben, dass Aiwanger für Aufklärung sorgt.
Inwiefern profitiert Aiwanger von dem Gegensatz Stadt und Land? München bekennt sich doch voll und ganz zu Bayern, an jeder Ecke begegnet mir dort irgendetwas typisch Bayerisches.
Es ist eine Frage der Perspektive. Klar, wenn man aus Norddeutschland nach München kommt, dann sehe ich Menschen in Tracht, das Traditionsbewusstsein begegnet einem an vielen Stellen. Jetzt steht auch noch das Oktoberfest an und da sieht man dann noch mehr Lederhosen und Dirndl. Da wird eine Heimatverbundenheit zelebriert.
Das müsste doch auch jemandem vom Dorf gefallen.
Die Heimatverbundenheit ist für die Menschen aus der Peripherie eher eine Selbstverständlichkeit. Sie sagen aber, dass ihre Themen in der Großstadt zu kurz kommen. Dort geht es um Wissenschaft und Technologie, die Wohnungsfrage oder den ÖPNV. Das ist einfach eine andere Lebenswirklichkeit. Auf dem Land haben die Menschen beispielsweise oft andere Berufe. Sie sind vielleicht nicht alle Bauern oder Bäuerinnen, aber mit der Landwirtschaft haben dennoch viele zu tun. Und da knüpfen die Freien Wähler und besonders Hubert Aiwanger viel besser an.
Aber dass München anders als ein Dorf in Oberbayern ist, das war doch schon immer so. Der Oberbürgermeister kommt meist von der SPD und die Universitäten, Siemens oder BMW gibt es auch schon lange. Was ist heute anders als vor 20, 30 oder 40 Jahren?
Die Kurzfassung: Früher gab es die Freien Wähler nicht. Die CSU hat auf dem Land politische Konkurrenz bekommen. Die Freien Wähler, das sind Menschen, die meist selbst aus den Dörfern und Kleinstädten kommen, in denen sie kandidieren. Sie sind dort verwurzelt, die Parteiwurzeln liegen in der Peripherie. So können sie kompromisslos aus ihrer Perspektive von unten, aus dem Dorf heraus, argumentieren und auch unbeschwert die Landesregierung im fernen München attackieren. Das macht die Freien Wähler attraktiv.
Aber seit 2018 sind die Freien Wähler doch selbst in der Landesregierung.
Ja, und das ist das Kuriose: Sie stellen sich trotzdem als Opposition dar. Das ist ein Widerspruch, aber Hubert Aiwanger bekommt das hin. Seine Anhänger nehmen ihm ab, dass er ehrlich spricht und sich nicht für irgendeinen Posten verbiegen lässt. Er gerät immer wieder mit Söder aneinander. Zum Beispiel ließ er sich in der Pandemie lange nicht impfen. Die Menschen vom Land sehen ihn als "einen von uns". Wenn er zum Beispiel über Landwirtschaft spricht, sagt er: "Fachfremde" entschieden darüber. Also die da in München oder vor allem Berlin, die keine Ahnung haben.
Und damit haben wir ein Element des Populismus. Also dieses Gefühl: Wir hier unten wissen, wie es läuft und die da oben machen was sie wollen und haben keine Ahnung.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Genau das verkörpert auch Aiwanger. Außerdem unterstreicht er seine Unabhängigkeit. Er sagt immer, er könne ja auch wieder auf seinen Hof zurückkehren und Landwirtschaft machen. Da schwingt der Vorwurf mit, dass andere Politiker das nicht könnten. Da ist der Schluss nicht mehr weit, dass die Anderen Politik aus Ämterinteresse betreiben, also weil sie Posten haben, nicht politische Programme umsetzen wollen. Auch diese Haltung ist typisch für den Populismus.
Ebenfalls typisch populistisch ist sein Umgang mit Kritik, wie wir in der Flugblatt-Affäre gesehen haben.
Er instrumentalisiert den ganzen Sachverhalt. Er stellt sich als Opfer dar und seine Anhängerinnen und Anhänger glauben es ihm. Das tut er auch weiterhin. Er hätte ja die Sache auch auf sich beruhen lassen können, nachdem Söder ihn nicht entlassen hat. Stattdessen greift er die vermeintlich feindliche Presse in München an.
All diese Elemente erinnern an den früheren US-Präsidenten Donald Trump. Kritik an vermeintlich abgehobenen Politikern in der Hauptstadt, sich selbst als immun gegen Korruption darstellen, Kritik an sich selbst als Hexenjagd abtun und nach Skandalen mit steigenden Umfragewerten belohnt werden. Ist Aiwanger ein Lederhosen-Trump?
Mit solchen Vergleichen tue ich mich schwer. Wo es Übereinstimmungen gibt, ist aber sicherlich die Loyalität seiner Unterstützerschaft. Aiwanger stellt sich auch als Außenseiter dar, obwohl er letztlich auch wie Trump keiner ist. Er ist auch auf Social Media sehr aktiv und teilt dort gegen seine Gegnerinnen und Gegner aus. Meines Erachtens geht es bei Aiwanger auch weniger um Programmpunkte, sondern um ein Wir-Gefühl, das er kreiert. Oder vielmehr ein "Wir gegen die".
Noch eine Parallele zu Trump.
Man kann festhalten: Beide sind Populisten, aber es gibt auch Unterschiede.
Aiwanger hat gesagt, er möchte eigentlich nach Berlin in den Bundestag. Jetzt ist er zumindest bundesweit bekannt. Ist er also einen Schritt weiter?
Sagen wir so: Geschadet hat ihm die Flugblatt-Affäre nicht. Aber ob es ihm geholfen hat, das kann man jetzt noch nicht sagen. Die Menschen vergessen auch schnell wieder.
Mit Jasmin Riedl sprach Volker Petersen. Die Münchener Professorin analysiert vor der Landtagswahl die politische Debatte auf sozialen Medien. Dabei zeigte sich, wie sehr das Flugblatt zeitweise die Diskussion bestimmte.
Quelle: ntv.de