Wieduwilts Woche

Wieduwilts Woche Der Hass schämt sich nicht mehr

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"Wir halten zam", das war für Aiwangers Freie Wähler die Hauptsache.

"Wir halten zam", das war für Aiwangers Freie Wähler die Hauptsache.

(Foto: picture alliance / Eibner-Pressefoto)

Hubert Aiwanger trotzt der Verantwortung, Markus Söder billigt es und Friedrich Merz applaudiert: Deutschland erlebt einen Temperatursturz.

Markus Söder ist der gewitzteste Gebrauchtwagenhändler der Politik, er bekommt wirklich alles vertickt. Nun hat er es geschafft, der ganzen Welt eine besonders doofe Idee zu verkaufen. Diese Idee geht wie folgt und ich bitte Sie, sich Söders fränkisch-sonore Überzeugerstimme vorzustellen: "Schaunsie, ich muass hoit den Aiwanger-Hubert im Kabinett lassn, wei i sonst oan Märtyrer erschaffe! Kruzifix!"

Dass Söders Vize Hubert Aiwanger also blieb, obwohl er zögerte und zauderte, obwohl er unernst und empathielos um sich schlug, sich an Erlebnisse seiner Jugend, wiewohl sie einschneidend waren, irgendwie nicht erinnerte, war keineswegs Machtkalkül, sondern "verantwortungsethisches" Verhalten, nach Max Weber nämlich. Oho! Weber!

Darauf fiel praktisch jeder herein, sogar jüdische Organisationen, die Söder im Vorwege angesprochen hatte, nickten bedächtig und wiederholten den Gedanken der Verantwortungsethik als irgendwie passablen Grund dafür, Aiwanger trotz unwürdigen Umgangs mit der deutschen Verantwortung für die Nazi-Vergangenheit im Amt zu belassen.

Deutschland erlebt einen Temperatursturz

Allein: Diese Idee ist so hart an der Realität zerschellt wie ein an die Wand gepfefferter Maßkrug. Aiwanger hat durch das Auschwitz-Flugblatt in seinem Ranzen vier Jahrzehnte später etwa vier Prozentpunkte geholt, das ist die Realität. Söders CSU wiederum verliert einen. Es passierte also dasselbe wie damals, als Söder sich in Erding an die Menge aiwangern wollte und ausgebuht wurde: Das Original triumphiert, die Kopie stürzt. Aiwanger ist nun der strahlende Held all jener, denen "die da oben" schon seit langem suspekt sind.

Bayern beschert uns in diesen Tagen einen Temperatursturz, der sogar die Landeskinder erstaunt: Ihn erstaune die Bereitschaft zu verzeihen und zu verstehen, sagte der frühere CSU-Chef Erwin Huber der "Zeit". Die Politik der Erinnerungskultur gerät in schweres Fahrwasser, der Leiter der KZ-Gedenkstätte Dachau beklagt einen Vertrauensbruch, Charlotte Knobloch lehnt Aiwangers Entschuldigung ab, in sozialen Medien sprudelt der Antisemitismus so fröhlich wie lange nicht, ganz besonders unter Meldungen, in denen Juden vorkommen.

Den Gipfel des wiederbelebten Nazi-Zynismus erklomm im schäumenden Hass eine besonders kecke Nutzerin, jedenfalls gibt sich der Account als Blondine aus: Sie fragt, was denn, bitte schön, wenn man schon die Jugendzeit von Politikern durchleuchte, Charlotte Knobloch selbst als Kind gemacht habe? Das wiederum kann man, wenn man’s nicht eh weiß oder ahnt, googeln: Als Kind wurde Knobloch vor der Internierung und Ermordung in Theresienstadt gerettet. Das hat sie als Kind gemacht.

"Opa war kein Nazi!"

Auch der AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Maximilian Krah, hat das "Freie Fahrt!"-Schild in Bayern zur Kenntnis genommen und verkündete nun, man solle stolz sein auf unsere Vorfahren, die seien keine Verbrecher. "Opa war kein Nazi", hieß das in einer berühmten soziologischen Studie. Björn Höcke sagt, man werde nach der roten und braunen Diktatur nun auch die bunte überwinden. Das sind so die Ergebnisse, wenn man bei wichtigen Politikfragen die schmutzige Abkürzung wählt. Der Hass schämt sich nicht mehr, so sieht es in Deutschland nach der geistig-moralischen Wende im Bierzelt aus.

Wer aber auf eine korrigierende Reaktion der großen Schwester CDU hoffte, musste vergessen haben, wer da grad den Vorsitz hat. Friedrich Merz folgte Söder in dessen Logik. Er hat sich dem geaiwangerten Franken geradezu um den Hals geworfen. Im Jankerl schwitzend sagt Merz den Bayern, nicht Kreuzberg sei Deutschland, sondern Gillamoos.

Kreuzberg ist nicht Deutschland? Was Merz damit meinte, blieb nebulös. Hätte er Prenzlauer Berg gesagt, ergäbe das halbwegs Sinn, da die Medienmeute samt des Kolumnisten dort wohnt. Aber Kreuzberg? Die Regierung, die "den Arsch offen" hat (Aiwanger), das Parlament, von dem man sich "die Demokratie zurückholen" müsse (Aiwanger), sowie die CDU-Parteizentrale kann Merz nicht meinen: Die sitzen alle in Mitte. Geht’s um die Hipster in Kreuzberg? Um die Migranten?

"Bravourös", "brillant" und "alles nass"

Klarheit bot Merz dort, wo sie niemand brauchte: Er lobte Söders Manöver als "bravourös". "Bravourös"? Selbst in der Union sieht man Söders Entscheidung als Fahrt zwischen Skylla und Charybdis und möchte am liebsten über andere Dinge sprechen. Doch Merz vergibt gern verbale Goldmedaillen ans Mittelmaß, wenn er einem bestimmten Publikum gefallen will. Der uniformierte Auftritt von Claudia Pechstein auf dem CDU-Parteitag? "Brillant!" Wenn morgen jemand im Konrad-Adenauer-Haus "Geh doch Zuhause, du alte Scheiße" als Slogan für die Bundestagswahl 2025 vorschlägt, würde Merz womöglich ergriffen "genial!" ausrufen.

Merz schleimte und schwitzte im Bierzelt so sehr, dass Söder danach am Pult feixte, es sei ja "hier vorne alles nass". Warum schrumpft sich der CDU-Chef so sehr? Im Podcast "Machtwechsel" der "Welt" probierte Robin Alexander dazu die Theorie, der Sauerländer wolle sich später nicht sagen lassen müssen, er habe die CSU nicht ordentlich im Wahlkampf unterstützt. Eine Männerbundlogik, also. Kann sein.

Indem Merz Söder im Bierzelt charmiert, segnet er jedenfalls ab, dass eine Grundsäule deutscher Staatsräson nicht mehr gilt: Bei Nazis hört der Spaß auf. Konrad Adenauer, Angela Merkel und Norbert Lammert etwa waren in dieser Sache felsenfest und das war beruhigend. Es war das transatlantische Gesamtpaket der CDU: klare Haltung zu Israel, klare Haltung zu Antisemitismus und Erinnerungskultur, mein innerer Konservativer fühlte sich damit immer wohl.

"We remember"

Aber da irrte der innere Konservative womöglich. Antisemitismus ist so verbreitet wie Mundgeruch. War nicht auch Helmut Kohls Politik durchsetzt von antisemitischen Klischees und Vorurteilen? Das jedenfalls meinte der Historiker Jacob Eder in seiner Studie über "sekundären Antisemitismus" vor ein paar Jahren herausgefunden zu haben. Kohl habe etwa verbreitet, "führende Juden" in Amerika wollten das Gedenken an den Judenmord als "moralischen Hebel" verwenden, um der amerikanischen Öffentlichkeit die Unterstützung Israels abzutrotzen.

Das riecht leider schon sehr nach "In meinen Augen wird hier die Shoa zu parteipolitischen Zwecken missbraucht". Diesen Satz sagte Aiwanger, nicht etwa im Eifer des Gefechts, nein, er buxierte die Formulierung sogar im Nachhinein schriftlich in ein Interview, wie der "Welt"-Journalist Tim Röhn bekannt machte. Weil ihm der "Dreh" so gut gefiel? Weil er spürt, dass man damit heute wieder Punkte machen kann, ohne Sorge vor der vermeintlich linksgrünen Moralpolizei?

"We remember"-Schildchen hochzuhalten, gehört zu den üblichen Erinnerungsritualen deutscher Politik - in allen Geschmacksrichtungen. Auch Friedrich Merz hat zum 75. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung vor drei Jahren brav "we remember" geschrieben. Er nutzte damals allerdings zugleich und etwas schamlos die Gelegenheit, um gegen Einwanderer zu wettern und den von ihnen importierten Antisemitismus.

Nicht Kreuzberg ist Deutschland. Gillamoos ist Deutschland, meine Damen und Herren!

Quelle: ntv.de

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