Politik

Luczak über Impfpflicht-Streit "Das ist eklatantes Führungsversagen von Scholz"

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Einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zu einer Corona-Impfpflicht wird es nicht geben.

(Foto: picture alliance/dpa)

Über die allgemeine Impfpflicht soll der Bundestag als Gewissensfrage entscheiden. Der CDU-Rechtspolitiker Jan-Marco Luczak nennt das ein "politisch durchschaubares Manöver" der Regierung. Im Gespräch mit ntv.de erklärt er, warum sich die Union keinem der Ampel-Vorschläge anschließen wird. Aktuell sei der Impfmechanismus, den die Union vorschlägt, besser als eine Impfpflicht, sagt Luczak. Dafür müsse die FDP allerdings ihre "Register-Phobie" ablegen.

ntv.de: Lange hat sich die Union für eine allgemeine Impfpflicht eingesetzt, jetzt nicht mehr. Wie kommt dieser Wandel?

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Jan-Marco Luczak ist Bundestagsabgeordneter, Rechtsanwalt und Landesschatzmeister der Berliner CDU.

(Foto: picture alliance / Flashpic)

Jan-Marco Luczak: Wir sind für eine Impfpflicht, aber erst dann, wenn wir sie brauchen. Die Omikron-Welle können wir mit einer Impfpflicht nicht mehr brechen und wir wissen noch nicht, wie die Situation im Spätsommer und Frühherbst aussehen wird: Wie gefährlich ist die dann möglicherweise vorherrschende Variante? Wie wirksam sind die Impfstoffe dagegen? Wer wird besonders betroffen sein? Gleichzeitig müssen wir natürlich Vorsorge schaffen, für das, was möglicherweise kommt.

Vorsorge schaffen wollen auch die Ampelfraktionen. Dafür haben sie bereits drei Vorschläge gemacht. Warum konnte sich die Union nicht auf einen dieser Vorschläge einigen?

Die Bundesregierung ist in der Verantwortung, einen eigenen Gesetzesentwurf vorzulegen. Olaf Scholz will eine allgemeine Impfpflicht und Karl Lauterbach auch. Offensichtlich gibt es dafür aber keine Mehrheit in der Koalition. Das Ganze nun zu einer Gewissensfrage zu erklären, ist ein politisch durchsichtiges Manöver. Weder bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht noch der Masern-Impfpflicht kam überhaupt die Frage auf, ob das eine Gewissensfrage sei. Dass die Ampel in dieser zentralen Frage für die Pandemiebekämpfung keine eigene Mehrheit und keinen klaren Kurs hat, ist ein eklatantes Führungsversagen von Bundeskanzler Olaf Scholz, das muss deutlich werden. Deswegen schließen wir uns als Union keinem der Gruppenanträge an.

Geht es nach zwei Jahren voller Beschränkungen nicht darum, die Pandemie möglichst schnell gemeinsam in den Griff zu kriegen?

Ja, wir sind als Opposition konstruktiv. Deswegen sind wir als Fraktion immer gesprächsbereit und haben auch selbst einen Antrag vorgelegt. Trotzdem lassen wir die Bundesregierung nicht aus ihrer Verantwortung, sie ist es, die etwas vorlegen muss.

Die SPD hat der Union nun ein Gesprächsangebot gemacht, um einen gemeinsamen Impfpflichtvorschlag zu auszuarbeiten. Werden Sie das annehmen?

Dass Rolf Mützenich ein Gesprächsangebot an die Unionsfraktion unterbreitet, liegt womöglich daran, dass möglicherweise gar keine Mehrheit für die einzelnen Anträge zustande kommt. Die Regierung würde am Ende mit leeren Händen dastehen. Allerdings wäre das auch schlecht für das Land. Wenn die Ampel also bereit ist, Teile unseres Antrags aufzunehmen, könnte man darüber sprechen, eine neue Initiative zu formen.

Im Antrag der Union ist nicht von Impfpflicht die Rede, sondern von einem "Impfmechanismus". Wo liegt der Unterschied?

Es ist eine gestaffelte und modifizierte Impfpflicht. Wir führen die allgemeine Impfpflicht jetzt nicht ein, schaffen aber die Infrastruktur dafür, wie zum Beispiel ein Impfregister. Das ist der Mechanismus. Wenn wir die Impfpflicht dann brauchen und mittels Bundestagsbeschluss aktivieren, muss es innerhalb von vier bis sechs Wochen möglich sein, die dann konkret vom Virus gefährdeten Bevölkerungsgruppen zu impfen.

Wann würde dieser Fall eintreten? In Ihrem Antrag heißt es, der Bundestag entscheide erst über die Impfpflicht, wenn sich die Lage verschärft.

Das muss der Deutsche Bundestag entscheiden. Es geht darum, dass wir uns anschauen, wie die Pandemie weltweit verläuft. Die Erfahrung der letzten zwei Jahre zeigt, die Virus-Mutationen entstehen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht bei uns, sondern in anderen Teilen der Welt. Wenn es sich abzeichnet, dass eine neue, gefährlichere Mutante entsteht, müssen wir die Impfpflicht aktivieren, sodass wir noch genügend Zeit haben, um alle Mechanismen in Kraft zu setzen.

Bis die ersten verlässlichen Daten darüber vorliegen, wie ansteckend und gefährlich eine Mutante ist, ist der Anfang der Welle oft schon erreicht. Wie gelingt es mit Ihrem Vorschlag, vor die Welle zu kommen?

Indem wir jetzt die rechtlichen Fragen jetzt klären und die notwendige Infrastruktur bereithalten. Dann können wir schnell handeln. Wir haben im Juni des letzten Jahres Tage gehabt, an denen wir bis zu 1,6 Millionen Menschen am Tag geimpft haben. Wenn man das hochrechnet, kriegt man innerhalb von 20 Werktagen im Monat 35 Millionen Menschen geimpft. Wenn die Impfpflicht nicht die gesamte Bevölkerung adressiert, sondern möglicherweise nur den Teil, der in besonderer Weise bedroht ist, kann man innerhalb von vier bis sechs Wochen all diese Menschen impfen.

Warum kann der Bundestag nicht jetzt schon beschließen, welche Gruppen zuerst geimpft werden? Dann bliebe in der Notsituation nur die Ja-Nein-Frage, was Zeit sparen würde.

Es geht darum, zu schauen, durch welche Gruppen das Gesundheitssystem überlastet wird. Wenn die Älteren schwerer erkranken und auf den Intensivstationen landen, könnte die Impfpflicht auf diese Gruppe beschränkt werden. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass es eine Variante ist, die vor allem Jüngere trifft. Darauf müssen wir reagieren, deswegen ist unser Antrag ein flexibles System.

Diesen Sprint auf den letzten Metern könnte man verhindern, wenn man schon jetzt losläuft.

Der Hintergrund, weswegen wir im Antrag aktuell nicht sagen, wir brauchen eine allgemeine Impfpflicht, ist ein verfassungsrechtlicher. Auch ohne Impfpflicht führt Omikron unsere Gesundheitssysteme nicht an die Belastungsgrenze. Damit fällt die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Impfpflicht schwer. Wir brauchen zwar einerseits Vorsorge, müssen aber andererseits auch die Verhältnismäßigkeit des Grundrechtseingriffes durch die Impfpflicht beachten.

Die Intensivstationen sind momentan nicht am Limit, andere Bereiche wie Schulen oder der Einzelhandel schon. Wäre es keine Rechtfertigung für die allgemeine Impfpflicht, wenn diesen Bereichen geholfen wird?

Mit einer allgemeinen Impfpflicht können wir auch in diesen Bereichen nichts mehr ausrichten, da die Zahlen gerade runtergehen. Deswegen ist es egal, was wir jetzt beschließen - auf die Schulen hat es keinen Einfluss mehr. Es geht daher immer um die Perspektive Spätsommer und Frühherbst. Dann ist es das primäre Ziel, die Gesundheitssysteme nicht zu überlasten. Ich sehe die erheblichen Beeinträchtigungen für die Schulen und die Wirtschaft durch die Kontaktbeschränkungen und andere Schutzmaßnahmen, auch das sind Grundrechtseingriffe, die für die Frage der Rechtfertigung einer Impfpflicht eine zentrale Rolle spielen.

Warum ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht aktuell verfassungsmäßig? Dass diese eingeführt wird, hat die Union mitgetragen.

Sie ist richtig, weil es dabei um den Schutz von vulnerablen Gruppen geht. Sie sind darauf angewiesen, dass sie nicht durch ihre Pflegerinnen und Pfleger gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt werden. Als Gesetzgeber haben wir eine Schutzpflicht diesen Menschen gegenüber. Deswegen ist es nun ein Gesetz, das auch umgesetzt werden muss.

Das scheint Herr Söder etwas anders zu sehen …

Ich glaube, da ist ein bisschen was aufgebauscht worden. Markus Söder wollte auf die Probleme hinweisen: Wie geht eine Einrichtung damit um, wenn plötzlich Pfleger fehlen? Wie sind die zahlreichen arbeitsrechtlichen Fragen zu beantworten? All dies zu regeln, wäre Aufgabe der Bundesregierung gewesen. Das hat sie in den letzten Wochen versäumt.

Hätte es nicht gereicht, auf die Probleme hinzuweisen? Wozu brauchte es die Ankündigung, den Vollzug der Impfpflicht "de facto" außer Vollzug zu setzen?

Markus Söder hat sehr deutlich gemacht, dass es natürlich nicht darum geht, ein geltendes Gesetz außer Vollzug zu setzen, als er gemerkt hat, in welche Richtung die Diskussion geht. Das würde ansonsten die Axt an die Wurzel des Rechtsstaates legen. Darum kann und darf es nicht gehen. Söder wollte auf die Defizite hinweisen und das hat er insofern geschafft, als dass wir sie jetzt auf der Tagesordnung haben.

Um die Infrastruktur für eine mögliche Impfpflicht aufzubauen, soll es laut Ihrem Antrag ein Impfregister geben. Wie lösen Sie die Datenschutz-Probleme, die die Ampel dabei sieht?

Die Datenschutz-Probleme halte ich für vorgeschoben. Die Kollegen der FDP haben offensichtlich eine richtige Register-Phobie, denn selbst der Datenschutzbeauftragte des Bundestages hält ein solches Register für möglich. Von der FDP hieß es im Wahlkampf: Digitalisierung first, Bedenken second. Sie sagen, es würde zwei Jahre dauern, ein solches Register aufzubauen. Das denke ich nicht. Alle bereits Geimpften haben einen QR-Code zum Nachweis ihrer Impfung. Wenn wir es ermöglichen, diesen Code über die Corona-Warnapp hochzuladen und an einer zentralen Stelle zu speichern, haben wir alle Daten, die notwendig sind.

Falls die Impfpflicht aktiviert würde - wie hoch wäre ein Bußgeld für diejenigen, die sich trotzdem nicht impfen lassen?

Wahrscheinlich in dreistelliger Höhe. Man bekommt beispielsweise einen Bußgeldbescheid über 300 Euro, hat aber noch sechs Wochen Zeit, um die Impfung nachzuholen. In dem Fall würde das Bußgeld entfallen.

Wer soll das durchsetzen?

Wo die Datensätze am Ende angesiedelt sind, ist sekundär. Wichtiger ist, dass der Gesetzgeber mit der Impfpflicht ein Signal sendet. Wir haben schon andere Maßnahmen in der Pandemie gehabt, die ohne strenge Kontrolle geklappt haben. Es stand auch kein Polizist vor der Tür und hat kontrolliert, wie viele Gäste man hat. Wir haben in Deutschland das Glück und die Tradition, dass Menschen sich im Großen und Ganzen rechtstreu verhalten.

Mit Jan-Marco Luczak sprach Sarah Platz

Quelle: ntv.de

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