Politik

Muss oder "absurdes Schauspiel"? Das riskante Spiel der Union mit Scholz

Im März 2018 wird Olaf Scholz als Finanzminister vereidigt - von Wolfgang Schäuble, einem seiner Vorgänger im Amt.

Im März 2018 wird Olaf Scholz als Finanzminister vereidigt - von Wolfgang Schäuble, einem seiner Vorgänger im Amt.

(Foto: picture alliance / Kay Nietfeld/dpa)

Eine Woche vor der Wahl erklären CDU und CSU den Kampf gegen die Geldwäsche zur Herzenssache. Sie versuchen damit, den Kanzlerkandidaten der SPD unter Druck zu setzen. Die Union zieht gar eine Missachtung des Koalitionsvertrages in Betracht. Doch die Strategie könnte zum Eigentor werden.

Weder Olaf Scholz noch SPD oder Union können behaupten, sie hätten von den Defiziten in der Anti-Geldwäsche-Einheit FIU nicht seit Jahren gewusst. Fabio de Masi, Finanzexperte der Linkspartei im Bundestag, warnte nachweislich zu Beginn der Wahlperiode vor "Chaos" in der Behörde. Im Juni 2018 forderte seine Fraktion Maßnahmen in der FIU zur schnelleren Bearbeitung von Verdachtsmeldungen. Der Antrag ging komplett unter, das Parlament war beschlussunfähig. Es fehlten zu viele Abgeordnete - vor allem der Großen Koalition. CDU, CSU und SPD hätten die Probleme damals "geleugnet", sagt de Masi in der Rückschau noch immer zornig.

Fest steht inzwischen, dass die Unzulänglichkeiten auch zum Wirecard-Fiasko beigetragen haben. Dutzende Hinweise auf Tricksereien in dem Skandal-Konzern blieben bei der Kölner Behörde unbearbeitet liegen oder wurden nicht als relevant erkannt. Mittlerweile bekundet die Union gesteigertes Interesse an der Misere. Plötzlich kann es ihr nicht schnell genug gehen, Ursachenforschung zu betreiben. CDU und CSU beharren darauf, dass Scholz am Montag dem Finanzausschuss des Bundestages Rede und Antwort steht, bei einer Sondersitzung, die die Oppositionsparteien FDP, Grüne und Linke gemeinsam beantragt haben.

Es stünden "schwerwiegende Vorwürfe zu Versäumnissen bei der Bekämpfung der Geldwäsche im Raum", sagte der stellvertretende Fraktionschef der Unionsfraktion, Andreas Jung. Scholz solle für Aufklärung sorgen, statt wie geplant in Baden-Württemberg Wahlkampf zu machen. Hintergrund sind Durchsuchungen im Bundesfinanzministerium im Zusammenhang mit Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Osnabrück gegen Mitarbeiter der FIU. Sie will E-Mails zwischen der Behörde und dem Ministerium einsehen, um zu klären, ob die FIU Hinweise von Banken auf Terrorfinanzierung zu spät an Polizei und Justiz weitergab, weshalb geplante Taten nicht erkannt werden konnten. Die Ermittlungen richten sich nicht gegen Scholz oder Beamte seines Ressorts.

Bricht die Union den Koalitionsvertrag?

Der Leitende Staatsanwalt in Osnabrück ist CDU-Mitglied mit politischen Ambitionen. Die Sozialdemokraten wittern deshalb eine unzulässige Instrumentalisierung der eigentlich unabhängigen Justiz für Wahlkampfzwecke. Sie fragen: Geht es der Union um die Sache oder will sie Scholz auf dem Weg ins Kanzleramt ein Bein stellen? Jens Zimmermann, SPD-Mitglied im Finanzausschuss, nennt es ein "absurdes Schauspiel, das Union und Opposition da gerade aufführen". Es sei problematisch, den Spitzenkandidaten einer Partei am Wahlkampf zu hindern. "Aber ganz klar: Scholz wird wie immer alle Fragen ausführlich beantworten." Der Finanzminister werde digital zugeschaltet sein.

Doch ganz so einfach ist es nicht. Gut möglich ist, dass Scholz persönlich in den Ausschuss zitiert wird. Da es sich im konkreten Fall um Geldtransaktionen handelt, könnten sich die Gespräche schnell um Geschäftsgeheimnisse drehen, die geschützt werden müssen. Dann müsste der Ausschuss in einen abhörsicheren Raum umziehen. "In dem Fall müsste Scholz zwingend erscheinen, weil das nicht per Video geht", sagt FDP-Finanzexperte Florian Toncar. Seine Partei sei dafür. Gezwungen werden könne Scholz aber nicht. "Das geht nur mit Mehrheitsvotum."

Da die SPD nach aktuellem Stand gegen das Herbeizitieren ihres Kanzlerkandidaten ist, hängt es also von der Union ab. Stimmt sie mit der Opposition, wäre es eine Missachtung des Koalitionsvertrages. Dort heißt es: "Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab." Matthias Hauer, CDU-Mitglied im Finanzausschuss, sagt, eine "Kurz-Visite von Scholz per Videoschalte wäre ein Affront. Opposition sowie Union haben jede Menge Fragen." Heißt das, dass CDU und CSU im Ausschuss zur Not gegen die SPD stimmen werden? Das werde die Union noch beraten, so Hauer.

Risikobasierter Ansatz

De Masi tritt auf die Bremse: "Ich bin dafür, Scholz nur herbeizuzitieren, wenn er sich weigert, Dinge in nicht geheimer Sitzung zu beantworten." Wichtiger als "eine große Wahlkampfshow" seien sinnvolle Vorschläge zur Bekämpfung der Geldwäsche und Auskünfte über ein Schreiben des ebenfalls SPD-geführten Justizministeriums zum "risikobasierten Ansatz". Dieses lege nahe, dass das Finanzressort bewusst geduldet habe, dass Verdachtsfälle auf Straftaten, die nicht der Geldwäsche und Terrorfinanzierung zuzuordnen seien, nicht an andere Ermittler weitergeleitet würden.

Damit die Strafverfolgungsbehörden nicht mit belanglosen Tipps überflutet werden, wendet die FIU den risikobasierten Ansatz an. Er ist eine Art Filtersystem, mit dem die Anti-Geldwäsche-Einheit relevante Hinweise heraussiebt und etwa an Landeskriminalämter weiterreicht. Allerdings gibt es den Verdacht, dass das Raster falsch eingestellt ist. Bundesländer, darunter auch SPD-regierte, klagen seit Jahren darüber, sie bekämen als Folge des Vorgehens kaum noch Informationen von der FIU.

"Bei Wirecard sind 32 von 34 relevante Meldungen durchgerutscht", sagt FDP-Politiker Toncar und erklärt: "Durch den risikobasierten Ansatz ist offenkundig ein kolossaler rechtsfreier Raum geschaffen worden." Scholz habe keine Anstalten gemacht, ihn zu schließen. Die schlechte Personalausstattung der FIU gehe auf Entscheidungen des CDU-Politikers Wolfgang Schäuble zurück, der vor Scholz Finanzminister war. Der Siebvorgang sei jedoch "allein Sache von Scholz". Wenn es eine Anweisung aus seinem Ministerium gegeben habe, bestimmte Konstellationen in dem Raster unter den Tisch fallen zu lassen, könnte das Straftaten begünstigt haben.

Zimmermann von der SPD bezeichnet das als "weiteres Wahlkampfgetöse". Er versucht, den Eindruck der Gelassenheit zu vermitteln. "Inhaltlich ist uns nicht bange", sagt der Sozialdemokrat. Im Gegenteil: Die SPD werde die Sitzung nutzen, das Verhalten der Union zu hinterfragen. Zum Beispiel, was die Staatsanwaltschaft Niedersachsen versucht habe, um an Informationen zu kommen und den Sachverhalt aufzuklären, "bevor sie mit viel Tamtam im Bundesfinanzministerium anrückte". Zimmermann glaubt, "der Vorgang könnte eine hochnotpeinliche Geschichte für die Union werden".

Quelle: ntv.de

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