Politik

Schneider zur Gaspreisbremse "Das wäre deutlich sinnvoller als die Gießkanne"

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Ulrich Schneider ist Hauptgeschäftsführer des Paritätischen. Er setzt sich seit langem für höhere Hartz-IV-Regelsätze ein und die Bekämpfung der Armut in Deutschland.

(Foto: picture alliance/dpa)

Der Bundestag hat die Gas- und Strompreisbremse beschlossen. Alle Verbraucher werden entlastet, unabhängig von ihrem Einkommen. Im Interview mit ntv.de kritisiert Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverbandes das. Ihm zufolge hätte es bessere Alternativen gegeben.

ntv.de: Sie spielen ja privat in einer Rockband. Was wäre ihr Song für die Gas- und Strompreis-Bremse? "Stairway to Heaven" oder "Highway to Hell"?

Ulrich Schneider: Zu dieser Strom- und Gaspreisbremse fällt mir kein Rocksong ein. Rock ist geschmeidig, Rock rockt, ich glaube da rockt nicht so richtig viel, das eiert eher. Die Bremsen sollen die Menschen entlasten, aber die Menschen, die Hilfe am dringendsten brauchen, erfahren am wenigsten Entlastung. Es werden 80 Prozent des Verbrauchs des letzten Jahres preislich gedeckelt. Das heißt im Klartext: Die, die im letzten Jahr sehr viel für Strom ausgegeben haben und Sparpotenziale haben, kommen ganz günstig raus. Der Villenbesitzer, der weniger in seine Heimsauna geht, hat die 20 Prozent eingespart. Dagegen hat ein Mensch in einer schlecht isolierten Sozialwohnung keine Möglichkeit, Energie einzusparen. Wie denn? Es liegt ja nicht in seiner Hand, ob Fenster erneuert werden oder wie das Gebäude gedämmt sind.

Das sind zwei plakative Beispiele. Aber ein anderes Beispiel wäre die Witwe, die in einem großen Haus lebt und schnell friert.

Dann ist die Frage, was ist das für eine Witwe? Ist sie reich oder arm? Ist das ihr eigenes Haus oder wohnt sie zur Miete? Hat sie die Möglichkeit sich eine Wärmepumpe zu installieren und die Fenster auszutauschen oder nicht? Es kommt darauf an, wie vermögend jemand ist. Energie sparen verlangt erstmal eine Investition. Und die kann nicht jeder aufbringen.

Aber leiden nicht alle unter den hohen Preisen und müssen daher entlastet werden?

Nein. Es leiden ja nicht alle unter den Preisen. Wir haben eine Sparquote im letzten Jahr von etwa 14 Prozent gehabt. Das war eine der höchsten Sparquoten, die in der Bundesrepublik je gemessen wurde. Es sind aber sehr wenige Haushalte, die sehr viel sparen. Wir haben Bevölkerungsschichten, denen tut es nicht weh, wenn sich ein Gas- oder Strompreis verdreifacht. Die werden auch weiter ihre spritfressenden SUVs fahren, auch wenn der Liter drei Euro kostet.

Sind das wirklich so viele?

Na ja, zu den Wohlhabenden, die auch gut sparen können, gehört immerhin ein Drittel der Bevölkerung. Das ist schon eine Menge. Da ist die Frage: Wenn man so viele Milliarden in die Hand nimmt, ist es dann sinnvoll, auch dieses eine Drittel zu bedienen? Bei knappen Ressourcen hätte es wesentlich mehr Sinn gemacht, sich auf jene Einkommensschichten zu konzentrieren, die wirklich am unteren Ende sind und nicht wissen, wie sie ans Monatsende kommen sollen. Es sind ja nicht nur die Preise für Strom- und Gas gestiegen, sondern auch die für Lebensmittel. Auf der Strecke bleiben Bezieher von Hartz IV, die bekommen nur einen mickrigen Inflationsausgleich. Bei denen reicht der Regelsatz ganz objektiv nicht, die gestiegenen Stromkosten zu bezahlen.

Aber die bekommen ja die Stromkosten bezahlt.

Nein, sie bekommen die Heizkosten bezahlt, aber nicht den Haushaltsstrom. Im Moment liegt der Satz für einen Single derzeit bei 39 Euro. Aber wir wissen durch Vergleichsportale, dass der Verbrauch eines Singles bei den aktuellen Preisen deutlich über 70 Euro liegt. Hier muss dringend nachgebessert werden. Der Regelsatz darf nicht nur auf 502 Euro angehoben werden. Nach unseren Berechnungen müssten es 725 Euro sein.

Was ist mit den Haushalten, die kein Hartz IV bekommen?

Die müssen ja auch noch die Gaspreise stemmen. Und die wohnen dann oft in schlecht isolierten Wohnungen und haben es gar nicht in der Hand, Sparmaßnahmen einzuleiten oder sich energiesparende Kühlschränke oder Waschmaschinen zu kaufen. Da hätte deutlich besser gefördert werden können.

Aber wie?

Ein großer Schritt ist das Wohngeld und da hat die Bundesregierung ja auch schon angefangen. Mit dem Wohngeld Plus hat sie vor, die geringe Anzahl der Wohngeldbezieher von 617.000 auf 2 Millionen hochzuziehen. Das kann aber nur ein erster Schritt sein. Denn es bleiben immer noch 2 Millionen, die unter der Armutsgrenze leben und leer ausgehen. Wichtig ist jetzt, dass die Wohngeldreform schnell umgesetzt wird. Es gibt einen neuen Passus, dass Wohngeldämter ohne tiefe Prüfung monatliche Pauschalen herausgeben dürfen, wenn sie überlastet sein sollten. Da appellieren wir an die Kommunalverwaltungen, das Geld auch wirklich schnell herauszureichen. Damit die Leute es auch vor dem nächsten Herbst bekommen. Das ist wesentlich sinnvoller als das Geld mit der Gießkanne zu verteilen, so wie es bei der Gas- und Strompreisbremse der Fall ist.

Wie weit würden Sie mit Förderungen in die Mittelschicht hineingehen?

Wenn wir alle bedienen würden, die unter der Armutsgrenze sind, hätten wir ja schon 13,8 Millionen Menschen in über sieben Millionen Haushalten erreicht. Was Direktzahlungen angeht, wäre ich noch deutlich höher gegangen. Das Arbeitsministerium hat mal vorgeschlagen, bis zum durchschnittlichen Bruttoeinkommen bei Vollerwerbstätigkeit zu entlasten. Das sind etwas über 4000 Euro. Dem hatten wir uns angeschlossen. Darüber braucht es keine Unterstützung mehr. Die Einmalzahlungen müsste man natürlich danach ausrichten, wie lange die Preise so hoch bleiben.

Schafft man so nicht immer auch neue Ungerechtigkeiten? Dass also jemand am Ende mehr hat, als jemand, der keine Hilfen bekommen hat?

Man wird im Einzelfall immer Ungerechtigkeiten haben. Wenn ich Regeln finden muss in einer hochkomplexen Gesellschaft mit 80 Millionen Menschen, werde ich immer Fälle haben, die ungerecht behandelt werden. Aber lieber Regelungen schaffen, bei denen man im Einzelfall Ungerechtigkeiten hat, als wie jetzt solche, die systematisch und strukturell eine soziale Schieflage haben.

Mit Ulrich Schneider sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

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