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Showdown am Freitag im Bundestag Der Disput um die Verfassungsrichter eskaliert

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Hohes Haus in Karlsruhe: der Sitz des Bundesverfassungsgerichts.

Hohes Haus in Karlsruhe: der Sitz des Bundesverfassungsgerichts.

(Foto: picture alliance / DeFodi Images)

Die Wahl der Bundesverfassungsrichter war lange Zeit eher eine Formalie und Ausdruck der auf breite Repräsentation angelegten Demokratie in Deutschland. Der Aufstieg der AfD verändert alles. Bei der Abstimmung über drei neue Richter für Karlsruhe droht ein Eklat.

Wenn der Bundestag neue Richter für das Bundesverfassungsgericht wählt, war das bisher selten ein Aufregerthema, im Gegenteil. Bei der Abstimmung am Freitag aber ist alles anders. Die Bestätigung von zwei neuen Richterinnen und einem Richter könnte sowohl das hochangesehene Gericht als auch die Bundesregierung beschädigen. Schlimmstenfalls sogar beide. Der Reihe nach:

Worum geht's?

Das Bundesverfassungsgericht besteht aus sechzehn Richtern in zwei Senaten. Die werden abwechselnd und je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt. Nun müssen drei Richterstellen nachbesetzt werden. Dafür ist jetzt der Bundestag zuständig. Der hat vor knapp zwei Monaten einen Richterwahlausschuss gebildet, der aus zwölf Abgeordneten besteht. Er ist ausschließlich für die Wahl der Bundesverfassungsrichter verantwortlich. Andere Bundesrichter wählen Bundestag und Bundesrat gemeinsam mit 16 Abgeordneten des Parlaments und 16 Bundesratsmitgliedern.

Die 16 Bundesverfassungsrichter teilen sich in zwei Senate zu je acht Richtern auf. Sie werden nach einem vor Jahren festgelegten Verteilungsschlüssel ausgewählt. Der lautet pro Senat: 3-3-1-1. Das bedeutet: Je drei Richter werden von Union und SPD vorgeschlagen, je einer von Grünen und FDP. Sie müssen jedoch nicht den jeweiligen Parteien angehören. Dieser Schlüssel wird jedoch überarbeitet werden müssen: Die FDP ist im aktuellen Bundestag nicht vertreten, Linke und AfD werden nicht berücksichtigt. Bei den Verfassungsrichtern, die am Freitag gewählt werden sollen, wurden zwei Kandidatinnen von der SPD vorgeschlagen, einer kommt von der CDU.

Jeder Richter wird für zwölf Jahre oder bis zur Vollendung seines 68. Lebensjahres gewählt. Ein Verfassungsrichter darf frühestens drei Monate vor Ablauf der Amtszeit seines Vorgängers gewählt werden. Sollte bis zu zwei Monate nach dem Ende der Amtszeit eines Richters keine Wahl zustande kommen, muss der Wahlausschuss des Bundestages das Bundesverfassungsgericht auffordern, drei Wahlvorschläge zu machen. Das war bei einer der drei aktuellen Richterstellen der Fall, und zwar bei dem Unionskandidaten Günter Spinner. Die Stelle von dessen Vorgänger ist seit November vergangenen Jahres unbesetzt. In der vergangenen Woche haben die Unionsparteien Spinner als ihren Kandidaten benannt, der im Mai von den Bundesverfassungsrichtern einstimmig vorgeschlagen worden war. Die beiden SPD-Kandidatinnen standen schon länger fest.

Am vergangenen Montag hat der Richterwahlausschuss die drei Kandidatinnen und Kandidaten bestätigt. Am Freitag soll sie der Bundestag wählen. Am Morgen um kurz nach zehn findet die Wahl des CDU-Kandidaten, danach jene der beiden SPD-Kandidatinnen statt.

Wer sind die Kandidaten?

Unionskandidat Günter Spinner ist Richter am Bundesarbeitsgericht. Seit 14 Jahren ist der 52-Jährige dort auch Richter. Das ist ein Grund für seine Nominierung, denn Spinner soll im Bundesverfassungsgericht eine "Richter-Richter-Stelle" besetzen. Das heißt, er muss langjährige Erfahrung im Richteramt vorweisen können. Spinner genießt großes Vertrauen bei seinen künftigen Kollegen in Karlsruhe, dem Sitz des Bundesverfassungsgerichts. Die Union hatte für diese Stelle ursprünglich einen anderen Richter nominiert, Robert Seegmüller vom Bundesverwaltungsgericht. Den hatten aber die Grünen abgelehnt. Er war ihnen zu konservativ.

Wenig umstritten ist die SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold. Die 49-Jährige ist Professorin in München und beschäftigt sich vor allem mit Wirtschaftsrecht.

Die Nominierung von Frauke Brosius-Gersdorf hat jedoch für heftige Kontroversen gesorgt. Die 54-Jährige stammt aus Hamburg, ist Professorin an der Uni Potsdam und gilt Kritikern als zu links. Während der Corona-Pandemie sprach sie sich für eine Impfpflicht aus. Sie ist offen für die Prüfung eines AfD-Verbotsverfahrens. Das macht sie für die Fraktion der rechtsextremen Partei unwählbar. Zudem setzt sie sich für ein liberaleres Abtreibungsrecht ein. Damit hat sie heftige Kritik bei einigen CDU-Abgeordneten hervorgerufen. Mindestens eine Abgeordnete hat zum Ausdruck gebracht, sie werde die Professorin trotz einer Empfehlung von Fraktionschef Jens Spahn nicht wählen. Beobachter rechnen mit weiteren Abweichlerinnen und Abweichlern, besonders in den Reihen der CSU.

Das Besondere an der Wahl

Die Wahlen für die Bundesverfassungsrichterinnen und -richter sind geheim. Gewählt ist der Kandidat oder die Kandidatin mit einer Zweidrittelmehrheit aller Abgeordneten. Die bekamen SPD, Union, Grüne und FDP bisher locker hin. Doch in diesem Jahr fehlen die Liberalen. Union, SPD und Grüne haben nicht genug Abgeordnete für die notwendige Mehrheit.

Trotzdem werden die drei Kandidaten mit Sicherheit gewählt. Das regelt ein "Ersatzwahlmechanismus", der im vergangenen Jahr in Kraft getreten ist. Dort ist festgelegt: Wenn in einem Wahlgremium ein Kandidat nicht die nötige Mehrheit erreicht, kann das andere Wahlgremium einspringen. In diesem Fall: Fällt ein Kandidat im Bundestag durch, kann ihn immer noch der Bundesrat wählen. Die in 12 von 16 Bundesländern mitregierende SPD würde ihre Kandidatinnen durchbekommen. Union, SPD und Grüne kommen im Bundesrat auf mehr als ausreichend Stimmen für den Unions-Kandidaten Spinner.

Es geht also weniger darum, ob ein Kandidat oder eine Kandidatin gewählt wird, sondern von wem. Einen Verfassungsrichter mit den Stimmen der rechtsextremen AfD wählen zu lassen, will Schwarz-Rot verhindern. Die AfD-Fraktion hat aber schon angekündigt, Spinner unterstützen zu wollen. Die beiden SPD-Kandidatinnen lehnt sie ab.

Bleibt das Wahlverhalten der Linken. Deren Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek hat eine Zustimmung ihrer Fraktion bei den SPD-Kandidatinnen signalisiert, nachdem es Gespräche zwischen den beiden Fraktionen gegeben hatte. Was Spinner angeht, habe sie Gesprächsbedarf. Die Linken sind sauer auf die Union, nachdem diese Reichinnek nicht bei der Wahl in den die Geheimdienste kontrollierenden Bundestagsausschuss unterstützt hatte. Zudem drängt die Linke auf ein eigenes Richtervorschlagsrecht, so wie es bis zu ihrer Abwahl die FDP hatte.

Sollte herauskommen, dass ein Bundesverfassungsrichter nur durch zusätzliche Stimmen der AfD gewählt worden ist, wäre die Aufregung immens. Das hochangesehene Gericht wäre beschädigt, die rechtsradikale Partei wäre aufgewertet. Es geht um nicht weniger als die Frage, ob die demokratischen Parteien überhaupt noch in der Lage sind, das Gericht aus eigener Kraft zu besetzen - oder die Rechtsradikalen inzwischen mitbestimmen. Das wissen die Bundestagsfraktionen von Union und Linkspartei. Darum ist nicht ausgeschlossen, dass es Gespräche zwischen beiden Fraktionen gibt. Nicht offen und vor laufenden Kameras. Aber der Reichstag hat auch diskrete Ecken.

Quelle: ntv.de

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