Politik

Viele boykottieren Abstimmung Der Iran wählt einen "politisch impotenten" Präsidenten

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Sechs Kandidaten wurden vom Wächterrat zugelassen. Vier treten am Freitag zur Wahl an.

Sechs Kandidaten wurden vom Wächterrat zugelassen. Vier treten am Freitag zur Wahl an.

(Foto: dpa)

Nach dem Tod von Präsident Raisi wählt der Iran seinen Nachfolger. Die Kandidaten sind handverlesen und in der Mehrzahl Hardliner. Doch viele Wählerinnen und Wähler gehen gar nicht wählen. Weil der Präsident kaum Macht hat. Und die Erfahrungen der Massenproteste nachwirken.

Die Wahl im Iran ist eine Farce. Sie ist weder frei noch demokratisch. Denn die fundamentalistische Elite klammert sich mit aller Gewalt an die Macht. Erst recht, nachdem der amtierende Präsident Ebrahim Raisi im Mai bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben kam. Der Jurist war ultrakonservativ und ging für die Verteidigung der Islamischen Republik über Leichen. Er war ein Mitverantwortlicher für die Massenhinrichtungen von politischen Gefangenen Ende der 80er Jahre. Er ließ als Präsident die Massenproteste von 2022 und 2023 niederknüppeln. Und er war einer der Favoriten auf die Nachfolge von Ajatollah Ali Chamenei, dem Obersten Führer des Landes.

Religionsführer Chamenei ist der starke Mann im Iran.

Religionsführer Chamenei ist der starke Mann im Iran.

(Foto: AP)

Gerade Chamenei macht die Wahl zur Farce. "Der Machtkern im Iran besteht aus dem Obersten Führer, seinem sogenannten Büro, das eine Art Parallelregierung darstellt, und den Islamischen Revolutionsgarden", sagt Ali Fathollah-Nejad, Gründer und Direktor des Center for Middle East and Global Order (CMEG). Da spiele der Präsident keine primäre Rolle, der Machtkern bleibe durch die Wahl unverändert.

Vier Kandidaten, fast nur Hardliner

Egal, wer also die Wahl gewinnt, egal, ob im ersten oder zweiten Wahlgang: Die Entscheidung in wichtigen Fragen liegt nicht beim Präsidenten. Den Menschen im Iran ist das sehr wohl bewusst. "Innerhalb der Bevölkerung gibt es keinen Enthusiasmus für diese Wahlen, weil sie weder frei noch fair sind", sagt Fathollah-Nejad. Die Kandidaten seien vom Obersten Führer handverlesen, sie stünden Chamenei entweder sehr nah oder hätten zumindest ihre Loyalität signalisiert. "Der Präsident ist im Endeffekt politisch impotent und gleichzeitig sehr loyal gegenüber dem Machtzentrum."

Über die Kandidaten bestimmt der sogenannte Wächterrat, der aus sechs Geistlichen und sechs islamischen Juristen besteht. Dieser hat sechs Bewerbungen zugelassen, aber 74 abgelehnt, darunter vier von Frauen. Letztlich treten jedoch nur vier Kandidaten an. Zwei gaben kurz vor dem Urnengang zugunsten der verbliebenen Hardliner auf - sie wollen damit deren Kräfte bündeln. Dies sind die Kandidaten:

  • Said Dschalili ist ein Hardliner und früherer Chefunterhändler bei den Atomverhandlungen. Der 58-Jährige ist ein aussichtsreicher Kandidat des ultrakonservativen Lagers. Aktuell gehört er dem Schlichtungsrat an, einem von Chamenei berufenen Gremium.
  • Mohammed Bagher Ghalibaf ist amtierender Parlamentspräsident, davor war der Konservative unter anderem General der Revolutionsgarden.
  • Mostafa Purmohammadi ist ein islamischer Gelehrter und war früher Innen- und Justizminister. Wie Raisi soll er eine Rolle bei den Massenhinrichtungen in den 80er Jahren gespielt haben. Seine Kandidatur gilt als aussichtslos.
  • Massud Peseschkian geht als einziger "moderater" Kandidat ins Rennen. Er war Gesundheitsminister unter Präsident Chatami, wird nun von diesem und dem Ex-Präsidenten Hassan Ruhani unterstützt. Der 69-Jährige ist bekannt für seine offenen Worte. So hatte er im Fall der von Sittenwächtern getöteten Mahsa Amini mangelnde Transparenz der Behörden angeprangert.

Wobei der Begriff "moderat" irreführend ist. "Peseschkian gehört zum reformistischen Flügel des politischen Establishments der Islamischen Republik", sagt Fathollah-Nejad. Er sei damit Teil des islamistischen politischen Spektrums. "Zudem hat er sich im Wahlkampf durch eine sehr hohe Loyalität zum Obersten Führer ausgezeichnet und angekündigt, dessen generellen Vorgaben zu folgen." Fathollah-Nejad hält es aber für möglich, dass die Teilnahme eines sogenannten Moderaten eine etwas höhere Wahlbeteiligung zur Folge haben könnte. Denn eigentlich herrsche eine große Apathie bei den Wählerinnen und Wählern.

Hohe Inflation, verfallende Währung

Die wirtschaftliche Lage im Iran ist schlecht: Das Wachstum lässt nach, die Währung verfällt. Die durch das Atomabkommen aufgekommene Aufbruchsstimmung ist verflogen. Vielmehr hemmen die wieder eingeführten US-Sanktionen die Konjunktur. Die Inflation ist hoch: 2023 lag sie bei durchschnittlich 41,5 Prozent, in diesem Jahr soll sie laut Prognosen nur knapp darunter liegen. Angesichts des starren politischen Systems verweigern viele Menschen deshalb die Stimmabgabe. Bei der Parlamentswahl am 1. März wurde eine Wahlbeteiligung von etwa 40 Prozent verkündet - ein neuer Tiefstwert.

Fathollah-Nejad hält aber auch diese Angaben nicht für verlässlich: "Ob es nun um die Wahlbeteiligung geht, die Arbeitslosenquote oder teilweise auch die Inflationsrate: Das sind manipulierte Zahlen", sagt er - und nennt ein Beispiel: Medien, die den Revolutionsgarden nahestehen, hätten vor der Parlamentswahl eine Beteiligung von 40 Prozent vorausgesagt. So sei es dann auch gekommen. Der Experte verweist zudem auf die äußerst geringe Wahlbeteiligung in Teheran, die sogar nach offiziellen Angaben weit unter zehn Prozent lag.

Zu den wirtschaftlichen Problemen, die viele Menschen belasten, kommt eine gesellschaftliche Spaltung. Der Experte Ali Vaez von der International Crisis Group spricht von einer sich vertiefenden "Kluft zwischen Staat und Gesellschaft". Keiner der Kandidaten habe "einen konkreten Plan" vorgelegt, wie er mit diesem Problem umgehen wolle. Viele Iraner und vor allem Iranerinnen haben noch gut in Erinnerung, wie die Massenproteste von 2022 und 2023 nach dem Tod der kurdischstämmigen Iranerin Jina Mahsa Amini niedergeschlagen wurden. Mehr als 500 Menschen wurden dabei laut Menschenrechtlern getötet, mehr als 15.000 festgenommen. Einige der Teilnehmer wurden hingerichtet, viele zu langen Haftstrafen verurteilt, etliche gefoltert und misshandelt. Verantwortlich waren die Hardliner um Präsident Raisi. Nicht wenige Menschen im Iran feierten deshalb den Tod des Präsidenten.

Auch bei einem der zentralen Anliegen der Proteste, dem Kopftuchzwang, ist die alte Härte zurückgekehrt. Ein Abweichen von dieser Linie ist nicht in Sicht, auch wenn Peseschkian im Wahlkampf vorsichtige Kritik übte. "Kandidaten versuchen, vor den Wahlen jene Forderungen aufzugreifen, die die gesellschaftliche Debatte dominieren", erklärt dazu Fathollah-Nejad. Das könnten die Hijab-Vorschriften und ihre Durchsetzung sein, die Internetzensur oder aber der Wunsch nach freundschaftlicheren Außenbeziehungen. Doch die Kandidaten seien weder in der Lage noch willens, diese Forderungen durchzusetzen. "Dem Wahlvolk wird etwas vorgegaukelt. Das ist ein lang bewährtes Spiel, das die Iraner durchschauen."

Das Center for Middle East and Global Order bringt auch den wöchentlichen Newsletter "Fokus Iran" heraus.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen