Demokraten sollen schuld sein Der Kampf um die Deutungshoheit ist in vollem Gange


Das Attentat auf Trump schockt die USA und die Welt. Doch schon kurz nach dem Mordversuch melden sich seine Parteigänger und seine Gegner zu Wort. Die einen sagen, Präsident Biden sei schuld. Die anderen flüchten sich in Verschwörungstheorien.
Das Attentat auf Donald Trump ist ein großer Schock - doch wer erwartet hat, Demokraten und Republikaner hielten nun inne, reichten sich vielleicht sogar die Hände und gelobten: Lasst uns gemeinsam jede Gewalt verurteilen, der irrt sich. Natürlich, möchte man fast hinterherrufen. Denn es passiert gerade genau das, was in den USA seit Jahren immer nach einschneidenden Ereignissen geschieht. Der Kampf um die Deutungshoheit beginnt - insbesondere bei Republikanern, aber auch bei Demokraten und Trump-Gegnern an der Basis.
Das ist verdammt früh, denn noch ist wenig über den Attentäter bekannt. Ein junger Mann namens Thomas Matthew Crooks gab die Schüsse ab. Er war als Republikaner registriert, hatte aber auch schon für eine Organisation der Demokraten gespendet. Viel mehr weiß man noch nicht. Was war seine Motivation? War er vielleicht psychisch krank? Solche Fragen müssen geklärt sein, bevor man den ganzen Sachverhalt beurteilen kann. Doch die Zeit nehmen sich nicht alle. Viele Republikaner zeigen nun reflexhaft auf die Demokraten und Präsident Joe Biden.
Wortwahl der Demokraten
Zum Beispiel Marjorie Taylor Greene, eine besonders extreme Trump-Verehrerin, die Abgeordnete im Repräsentantenhaus in Washington ist. "Den Demokraten und den Medien muss jeder heute vergossene Tropfen Blut zum Vorwurf gemacht werden", schrieb sie bei X. Jahrelang hätten diese ihn und seine Anhänger dämonisiert.
Die ihr wenig nachstehende Lauren Boebert, auch sie republikanische Abgeordnete in Washington, äußerte sich ähnlich. In einem Interview sagte sie: "Biden ist verantwortlich für die Schüsse." Seine und die Rhetorik der Linken hätte dazu geführt. Kürzlich habe Biden gesagt, Trump müsse ins Bullseye. Das ist der kleine rote Punkt in der Mitte einer Dartscheibe. Jeder, der gesagt habe, Trump sei eine Gefahr für die Demokratie, solle heute Abend sehr tief in sich gehen, bevor noch so eine Tragödie stattfinde, sagte Boebert.
Senator J. D. Vance, der Trumps nächster Vizepräsident werden will, schrieb bei X: "Die zentrale Aussage Bidens im Wahlkampf ist, dass Präsident Donald Trump ein autoritärer Faschist ist, der gestoppt werden muss, koste es, was es wolle." Diese Rhetorik habe "direkt zum Mordversuch an Präsident Trump geführt".
Man könnte die Liste noch fortführen. So sagte der Abgeordnete Mike Kelly etwa: "Wir werden diesen Angriff der Linken nicht tolerieren." Wie er das meinte, ließ er offen.
Vorwürfe der Demokraten werden umgedreht
Sofort mit dem Finger auf die anderen zu zeigen, das war die erwartbare Reaktion der Republikaner. Es passt zu ihrer Strategie, den Demokraten genau das vorzuwerfen, was die ihnen vorhalten. Die sagen tatsächlich bei jeder Gelegenheit, Trump sei eine Gefahr für die Demokratie. Das hat aber auch Gründe - anders kann man sein Verhalten am 6. Januar 2021 wohl kaum deuten. Damals schickte er Demonstranten mit den Worten "Wir werden wie die Hölle kämpfen", zum Kapitol. Die es daraufhin erstürmten und verwüsteten. Das Ziel: Trump an der Macht zu halten.
Im Gegenzug werfen die Republikaner mittlerweile Biden vor, eine Gefahr für die Demokratie zu sein. Denn in der Trump-Welt glaubt man felsenfest, der Demokrat habe Trump die Wahl gestohlen. Er sei also der Böse. Die Randalierer vom Kapitol wandeln sich in dieser Erzählung zu Patrioten.
Für die Demokraten und alle, die Trumps Lüge vom Wahlbetrug nicht aufgesessen sind, ist dagegen glasklar: Trump hat die Demonstranten aufgehetzt. Seine Sprache habe zu Gewalt geführt. Genau diesen Vorwurf, den sie sich seit Jahren anhören müssen, auch schon vor dem Kapitolsturm, greifen die Republikaner nun auf und wenden ihn gegen die Demokraten. Zumindest bei den eigenen Parteigängern dürfte das verfangen, in Kommentaren bei X wird diese Deutung jedenfalls schon munter weiterverbreitet.
Das ist ein Phänomen, das es auch außerhalb der USA gibt. Es gibt ganze Abhandlungen darüber, wie Rechte und Rechtsextreme ursprünglich linke Symbole kapern und umdeuten. Selbst Trumps erhobene Faust kurz nach dem Attentat könnte man so interpretieren. Eigentlich war das immer eine klassische Geste der Linken, der kämpfenden Arbeiterklasse. Nun reckt Trump, der Milliardär und Großkapitalist, die Faust in die Höhe. Das mag kurios wirken, macht aber in der Trump-Welt Sinn. Der Ex-Präsident inszeniert sich als Kämpfer für die vermeintlich "Vergessenen Amerikas".
Tatsächlich haben die Demokraten übrigens nie direkt zu Gewalt gegen Trump aufgerufen. Allerdings haben sie tatsächlich öfter davon gesprochen, sie hätten Lust ihn zu verprügeln. Berühmt ist ein Zitat Bidens, der vor Jahren sagte, in der Schule hätte er ihn dafür hinter die Turnhalle geholt. Auch Nancy Pelosi, langjährige Sprecherin des Repräsentantenhauses, sagte mehrfach, Trump müssten Schläge versetzt werden.
Aber diesen Ton, diese Schärfe hat natürlich Trump selbst in die Debatte gebracht. Das vielleicht eklatanteste Beispiel war ein TV-Duell vor vier Jahren. Als er über die Miliz "Proud Boys" sagte, sie sollten sich zurückhalten, aber eben auch bereithalten. Beim Kapitolsturm waren sie dann in vorderster Front dabei. Aber Trumps ganze Rhetorik schreit nach Gewalt. Stets stellt er Biden und vor allem "die radikale Linke" als Gefahr für Amerika dar - mehr noch, diese wolle Amerika zerstören, behauptet er.
Verschwörungstheorien bei Trump-Gegnern
Aber auch bei den Trump-Gegnern blühen schon die Erklärungsversuche. Auch dort scheint das Vertrauen in die Berichterstattung gering zu sein. Präsident Biden, sein Vorgänger Barack Obama und viele andere verurteilen die Gewalt. Doch auf X liest man auch andere Töne. Nicht von Offiziellen, aber von normalen Usern, die Trump nicht mögen. Der Tenor dort: Das war kein Attentat, das war alles nur gestellt. Da werden schon Indizien zusammengeklaubt, die vermutlich keiner genaueren Betrachtung standhalten würden.
Auch das ist fast schon ein üblicher Reflex. Viele Amerikaner haben eine Schwäche für solche Mythen. Sei es die Mondlandung oder der Mord an Präsident John F. Kennedy, es gibt immer einige, die sich ihren eigenen Reim machen wollen und "die offizielle Version" anzweifeln. Obwohl ein Foto sogar die Kugel zeigt, wie sie an Trump vorbeifliegt. Obwohl ja alle gehört haben, wie die Schüsse fielen. Obwohl Trump geblutet hat. Allerdings - in Zeiten künstlicher Intelligenz sind auch solche Bilder und Töne eine Frage des Vertrauens. Das Vertrauen in die Medien, in die Eliten, ist in den USA aber insgesamt erodiert. Anders als früher haben solche Spinner nun ein breites Publikum - in den sozialen Medien. Und sie können eine gewisse Offenheit erwarten. Wie heißt es so schön: Etwas bleibt immer hängen.
Quelle: ntv.de