Anschlag auf Donald Trump Können wir bitte einen Moment lang abwarten?


Der Anschlag auf Trump war der erste Attentatsversuch auf einen Präsidenten oder ehemaligen Präsidenten in den USA seit Ronald Reagan.
(Foto: AP)
Auf den Mordversuch gegen Donald Trump folgen Aufrufe zur politischen Mäßigung. Sie gehen von falschen Voraussetzungen aus: Mäßigung in der Debatte verhindert keine Mordanschläge. Zugleich täuschen solche Aufrufe über ein entscheidendes Problem hinweg.
Der Attentatsversuch auf Ex-Präsident Donald Trump war noch keine zwölf Stunden her, da lagen die ersten Analysen bereits vor. Die Schüsse auf der Wahlkundgebung in Butler im US-Bundesstaat Pennsylvania seien nur "der jüngste erschreckende Beweis für die Zunahme von Gewalt und Drohungen, die den aktuellen politischen Diskurs Amerikas erfasst haben", schrieb Politico.
Ähnlich äußerten sich andere Medien: "In diesem Moment müssen wir erkennen, dass wir alle von giftiger Politik berührt wurden - unabhängig von unseren Überzeugungen", schreibt die "Washington Post" in einem Kommentar. Es liege nun an den Anführern der beiden Parteien, aber auch an den Amerikanern, "ein Abgleiten in weitere Gewalt und in die extremistische Sprache, die sie befeuert, zu verhindern", rief die "New York Times" auf.
Noch unter dem Eindruck des gerade Erlebten sagte ein Augenzeuge CNN: "Ich bin nicht schockiert, dass das passiert ist. Ich bin schockiert, dass ich dort saß und es neben mir passiert ist." Der Mann erinnerte an frühere Morde und Mordversuche: die Ermordung von US-Präsident John F. Kennedy 1963, seines Bruders Robert Kennedy 1969, des Bürgerrechtlers Martin Luther King ebenfalls 1968, das Attentat auf Präsident Ronald Reagan 1981. Die USA sollten politische Diskussionen nicht auf einer Ebene führen, "wo so etwas passiert".
Diese Analysen sind zu einfach
Das ist alles nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig. Erstens: Es stimmt, dass die USA eine besondere Geschichte von Gewalt und auch politischer Gewalt haben. Aber auch in Deutschland gab es Anschläge auf Politiker: 1990 auf Oskar Lafontaine und auf Wolfgang Schäuble. 2019 wurde der hessische CDU-Politiker Walter Lübcke auf seiner Terrasse ermordet.
Und zweitens: Noch ist unklar, aus welchen Motiven der Attentäter handelte. Der Mann beispielsweise, der Reagan ermorden wollte, war psychisch krank. Es ist möglich, dass dies auch für Thomas Matthew Crooks gilt. Bislang ist von ihm nur bekannt, dass er mit 17 Jahren 15 Dollar für die Demokraten gespendet hat und sich ein paar Monate später mit 18 als Republikaner registrieren ließ.
Doch selbst wenn Crooks auf der Basis von irgendwelchen Überzeugungen gehandelt haben sollte, ist für den Mordversuch kaum der politische Diskurs verantwortlich zu machen. Denn, drittens: Das wäre zu einfach. Nicht der politische Diskurs hat sich in Pennsylvania auf ein Dach gelegt und versucht, Trump zu ermorden. Es war eine konkrete Person. Von der Forschung über die sogenannten Einsamen Wölfe ist bekannt, dass sie sich gewissermaßen selbst radikalisieren. Sie brauchen dafür zwar einen "Diskurs". Nur suchen sie sich den selbst.
Ein Ende der Debatte kann nicht die Lösung sein
Den selbstkritischen Reflexionen von Medien, die stets sehr kritisch über Trump berichten, stehen ganz andere Reaktionen aus dem Lager der Republikaner gegenüber. Auf X schreibt Senator J.D. Vance, ein Trump-Loyalist, der möglicherweise in den nächsten Tagen zum Vizepräsidentschaftskandidaten befördert wird: "Der heutige Tag ist kein Einzelfall. Die zentrale Prämisse des Biden-Wahlkampfes ist, dass Präsident Donald Trump ein autoritärer Faschist ist, der um jeden Preis gestoppt werden muss. Diese Rhetorik führte direkt zum versuchten Attentat auf Präsident Trump."
"Um jeden Preis"? Die Unterstellung ist falsch, denn einen solchen Wahlkampf führt US-Präsident Joe Biden nicht. Trotzdem sind diese Sätze die konsequente Fortsetzung der nachdenklichen Töne aus "New York Times" und "Washington Post". Ja, es kommt vor, dass aus Worten Taten werden. Aber das darf nicht dazu führen, den Diskurs einzuebnen - schon gar nicht aufseiten derer, die zu Recht mit deutlichen Worten vor den Gefahren warnen, die von Trump und den Republikanern ausgehen.
Es ist furchtbar, dass es diesen Mordanschlag gab. Es ist furchtbar, dass ein Mensch dabei ums Leben gekommen ist. Der Schrecken darüber wird nicht geschmälert, wenn man feststellt: Weder Demokraten noch Republikaner haben eine unmittelbare Verantwortung für das Attentat. Für tiefere Analysen sollten wir abwarten, bis Details über die Motive des Täters bekannt sind. Bis dahin gilt: Die Republikaner sollten ihre Rhetorik dringend mäßigen. Aber nicht, um Anschläge zu verhindern, sondern um die politische Kultur in den USA nicht zu zerstören.
Natürlich wäre es gut, wenn dieser Anschlag ein Weckruf für die politische Kultur der USA wäre. Zu erwarten ist das nicht. Denn das zentrale Problem der politischen Kultur in den USA ist nicht ein abstrakter Diskurs, für den "beide Seiten" die Verantwortung tragen. Sondern die Tatsache, dass eine der beiden großen Parteien in den politischen Radikalismus abgeglitten ist. Mit dem Anschlag hat diese Feststellung nichts zu tun: Sie rechtfertigt den Anschlag nicht, sie kann ihn auch nicht erklären. Aber umgekehrt sollte der Anschlag auch nicht benutzt werden, um über diese Tatsache hinwegzutäuschen.
Quelle: ntv.de