Drei Jahre Krieg in der Ukraine Der baltische Wall steht
01.03.2025, 09:47 Uhr Artikel anhören
"Halt! Staatsgrenze" steht in drei Sprachen auf einem Schild an der lettischen Grenze zu Russland.
(Foto: picture alliance/dpa)
In den baltischen Staaten herrscht die Überzeugung vor: Russland ist auch nach drei Jahren Krieg gegen die Ukraine nicht geschwächt, sondern stärker als zu Beginn des Überfalls. Alle drei Länder sind entschlossen, ihre Unabhängigkeit zu verteidigen.
In den baltischen Staaten ist die Unterstützung der Ukraine mittlerweile zu einem Vehikel zur Stärkung der eigenen Verteidigungsfähigkeit geworden. Drei Jahre nach Beginn des vollständigen Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine geben die Staaten jeweils über 50 Prozent mehr für ihre Verteidigungshaushalte aus. Die politischen Reihen sind geschlossen, die zivilgesellschaftliche Unterstützung ist nach wie vor groß.
"Ist es unser Ziel, den Krieg zu beenden oder die Aggression zu beenden? Dieser Unterschied von einem Wort hat enorme politische und sicherheitspolitische Auswirkungen für die Ukraine und die Zukunft Europas", sagte Kęstutis Budrys, der Außenminister Litauens, Ende Januar in Vilnius. Nach nunmehr über 1000 Tagen Krieg gegen die Ukraine und den "Westen an sich", wie die russische Sprachregelung lautet, gibt es im Westen nach wie vor unterschiedliche Ansichten über das genaue - gemeinsame - Ziel in Bezug auf den russischen Angriff.
Für die drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland ist die Sache klarer. Auch, weil ihre geografische Lage zu einem aktuellen Politikum geworden ist. Dies ist in verschiedenen Bereichen sichtbar: in der Gesellschaft, im politischen Diskurs und vor allem in der Entwicklung der jeweiligen Verteidigungshaushalte. Alle drei Staaten haben Zuwächse von - teils weit - über 50 Prozent zu verzeichnen.
- Lettland gab 2021 2,2 Prozent des BIP für Verteidigung aus, was 1,73 Milliarden Euro entspricht. 2025 sind es 3,45 Prozent.
- Eine ähnliche Entwicklung ist in Estland zu beobachten, von 2,2 Prozent (2021: 1,9 Milliarden Euro) auf 3,3 Prozent.
- Litauen verwendete 2021 2,1 Prozent (1,73 Milliarden Euro) des BIP für Verteidigungsausgaben, 2025 sind es 3,5 Prozent (2,8 Milliarden Euro). Es gibt hier derzeit eine Debatte zur Erhöhung auf fünf bis sechs Prozent für die nächsten Jahre, was ungefähr 12,5 Milliarden Euro entspräche.
Diese Aufstockungen spiegeln das Engagement der baltischen Staaten wider, ihre Verteidigungskapazitäten als Reaktion auf die sich entwickelnden Sicherheitsherausforderungen in der Region zu verbessern. Hierzu zählen neben der Aufstockung der nationalen Armeen, deren bessere Ausstattung, unter anderem auch die Errichtung des sogenannten baltischen Walls an der jeweiligen Ostgrenze zu Russland und Belarus. Hierunter fallen neue Sicherungsanlagen, wozu Bunker, Stacheldrahtzäune und moderne Grenzsicherungen zählen.
Auch im Bereich der Rüstung und Industrieproduktion hat es gemeinsame Anstrengungen gegeben. So hat Lettland eine Drohnenkoalition gestartet. Diese bringt Regierungen, Verteidigungskräfte und private Unternehmen zusammen, um die Fähigkeiten von Drohnen für militärische Zwecke zu verbessern. Ziel ist es, die Verteidigung der baltischen Region durch die Förderung von Innovation, Zusammenarbeit und den Einsatz von Drohnen in verschiedenen Verteidigungskontexten zu stärken.
All diese zusätzlichen Ausgaben, die teils mit sinkendem oder nicht so stark proportional steigendem Wirtschaftswachstum einhergehen, werden von der breiten Masse der Bevölkerungen getragen. Wenngleich es auch politische Störgeräusche gibt - zum Beispiel in Litauen, wo seit der letzten Parlamentswahl im Oktober 2024 eine populistische Kraft, die "Morgenröte von Nemunas", Teil der Regierung ist. Sie äußert sich kritisch zur Erhöhung auf fünf oder sechs Prozent. Auch in Lettland und Estland gibt es solche Stimmen, jedoch entsprechen sie nicht der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung. Alle Regierungsparteien genießen in dieser Frage großen Rückhalt in der Bevölkerung.
Im Hinblick auf gemeinsame europäische Anstrengungen herrscht in der baltischen Region größtenteils Einigkeit darüber, dass weitere nationale wie vor allem europäische Ausgaben für Verteidigung über neue gemeinsame Schulden finanziert werden sollen, teils "müssen", so unter anderem der litauische Staatspräsident Gitanas Nausėda kürzlich. Dies sei jetzt schnell notwendig, da die Zeit ein sehr knappes Gut sei und es um Fragen der eigenen Existenz gehe, so der Präsident.
Insgesamt wird die Überzeugung geteilt, dass Russland - nach aktuellem Kriegsverlauf - nicht geschwächt ist und im Gegenteil "dreimal fähiger als zu Beginn" sei, so die litauische Verteidigungsministerin Dovilė Šakalienė. Eine politische Lösung des Konflikts im Sinne Putins - Aufgabe des russisch kontrollierten Gebietes der Ukraine, Waffenstillstand und Aufgabe der Absicht einer Nato-Mitgliedschaft auf absehbare Zeit -, wird die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Angriffs Russlands, diesmal auf Nato-Territorium, signifikant erhöhen. Spätestens 2029 könnte dies der Fall sein. Bereits stattfindende hybride Angriffe, beispielsweise die Kappung von Unterseekabeln in der Nordsee, Drohnenflüge über militärischen Einrichtungen in Deutschland, Entfernen von Grenzbojen zwischen Estland und Russland, liefern bereits Eindrücke über die Absicht Russlands, den Westen zu testen und womöglich die Basis für spätere militärische Aktionen zu legen. Die baltischen Staaten fordern hierauf klare und starke Antworten, die Handlungsfähigkeit demonstrieren.
Enge Bindung an die USA, Angst vor Appeasement
Die USA verfügen über eine starke militärische Präsenz in den baltischen Staaten im Rahmen der verstärkten Vorwärtspräsenz (Enhanced Forward Presence, eFP) der Nato. Ferner stellen die USA militärische Hilfe, Ausrüstung und Unterstützung zur Stärkung der Verteidigungsbereitschaft in der Region bereit.
Auch die politische Bindung der drei Staaten an die USA ist allein aufgrund der militärischen Stärke und des damit verbundenen Schutzes groß. Die Wahl von Donald Trump kann als Element gedeutet werden, warum die Verteidigungsausgaben (teils stark) gestiegen sind beziehungsweise weiter steigen sollen. Man erhofft sich dadurch mehr Unterstützung im Falle der Abschreckung und vor allem im Verteidigungsfall. Die jüngsten Initiativen und Äußerungen Trumps hinsichtlich der Ukraine sorgen im Baltikum allerdings für große Besorgnis. Man befürchtet eine neue Appeasementpolitik, die zulasten kleiner Länder ausgetragen wird.
In allen drei Staaten wappnet sich die Gesellschaft für einen solchen Fall. Es wurden die Notfallpläne überarbeitet und an die Bevölkerungen verteilt. Es finden neben den Wehrübungen auch Evakuierungsübungen statt. In Estland sind 47 Prozent der Bevölkerung vorbereitet, eine Woche ohne Strom auszukommen. Insgesamt ist die Gesellschaft wachsam und zunehmend resilient. Russische Desinformationskampagnen sind dauerpräsent und haben teils erhöhte Ausschläge. Zuletzt zu sehen bei der Abkoppelung vom russischen Stromnetz Anfang Februar 2025.
Aufgrund dieser klaren Bedrohungswahrnehmung ist die Unterstützung für die Ukraine nach wie vor sehr groß. Es werden immer wieder Spendenaktionen gestartet, die teils Millionenbeträge erreichen. Dies ist bei Einwohnerzahlen von wenigen Millionen Menschen (Lettland 1,9 Millionen, Estland 1,3 Millionen und Litauen 2,9 Millionen) durchaus bemerkenswert.
Erwartungen an Deutschland
Deutsche Führung wird vor allem als politische Führungs- und Schutzmacht erwartet, vorrangig in Form der Stationierung einer kampffähigen Brigade in Litauen, gepaart mit dem Wunsch nach Verlässlichkeit und Vertrauen. Güter, die in den Augen der baltischen Beobachter vor allem durch die kontroversen Debatten und Entscheidungen zum Thema Waffenlieferungen stark an Wert verloren haben. Der Ausgang der Bundestagswahl 2025 wurde daher genaustens beobachtet.
Eine entschlossenere Außen- und Verteidigungspolitik Deutschlands ist eine der großen Hoffnungen der drei Staaten. Einer CDU-geführten Bundesregierung werden daher große Mengen an Vorschusslorbeeren zugesprochen. Vor allem, um das gemeinsame Ziel eindeutiger zu formulieren und entsprechend danach zu handeln. Dies bezieht sich vor allem auf eine stringente und klare Russlandpolitik. Die deutsche Zuverlässigkeit wird aus Sicht der baltischen Staaten am Grad der Unterstützung der Ukraine und des Umgangs mit Russland bemessen.
Der Autor: Oliver Morwinsky leitet seit Juli 2022 das Auslandsbüro Baltische Staaten der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Riga.
Quelle: ntv.de