Verdi und Fridays for Future Die Busfahrer streiken - Klimaaktivisten gefällt das


Wer Freitagfrüh den Bus nehmen wollte, wartete meist vergeblich.
(Foto: picture alliance / Robert B. Fishman)
In mehr als 80 Städten fahren am Freitag keine Busse, Straßen- und U-Bahnen. Die Gewerkschaft Verdi setzt bei ihrem Kampf für bessere Arbeitsbedingungen im Nahverkehr auf ein nicht selbstverständliches Bündnis mit Fridays for Future. Die Klimabewegung sucht ihrerseits eine neue Nähe zu Arbeitnehmern.
Deutschland, Streikland: Am Freitagmorgen bekommen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Auswirkungen des nächsten Protests nach dem Streik der Lokführer und Bauern zu spüren. Die Mitarbeitenden des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) legen ihre Arbeit nieder. Bundesweit bleiben Busse, U-Bahnen und Tram-Bahnen in den Depots. Und wie so oft in letzter Zeit geht es bei den Streiks längst nicht mehr allein ums Geld, sondern um die grundsätzlichen Arbeitsbedingungen in einem immer älter werdenden Land, dem in immer mehr überlebenswichtigen Branchen die Arbeitskräfte ausgehen. Während die Beschäftigten vieler Branchen aber weitgehend für sich allein kämpfen, hat sich die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi im Kampf für die ÖPNV-Angestellten mit Deutschlands wichtigster Klimabewegung Fridays for Future verbündet. So logisch es scheint, dass Fridays for Future das alternative Verkehrsmittel zum privaten Pkw unterstützt, so ungewöhnlich ist der Pakt auf den zweiten Blick.
Das Bündnis namens "Wir fahren zusammen" ist inzwischen in mehreren Dutzend Städten mit mehr als 60 Ortsgruppen vertreten. Dort wollen Bus- und Bahnfahrer sowie weitere Mitarbeiter von Verkehrsunternehmen zusammen mit jungen Klimaaktivisten für bessere Arbeitsbedingungen streiken. "Natürlich gibt es zwischen den Gruppen große Unterschiede", berichtet die Sprecherin der Grünen Jugend, Svenja Appuhn. Die Jugendorganisation von Bündnis90/Die Grünen unterstützt die Kampagne von Verdi und Fridays for Future. "Bei Fridays for Future sind die meisten zwischen 15 und 25 Jahre alt, viele gehen zur Schule oder studieren und die meisten haben viel aktivistische Erfahrung", sagt Appuhn. "Die Busfahrer bringen eine ganz andere Lebenserfahrung mit und haben natürlich auch einen ganz anderen Alltag."
"Busfahrer sind Klimaretter"
Bei vielen Gewerkschaftern habe es zunächst "gegenüber der Klimabewegung eine Menge Vorbehalte gegeben. Aber weil die Aktivistinnen immer wieder aufgetaucht sind und gezeigt haben, dass sie es ernst meinen, ist Vertrauen entstanden", sagt Appuhn. Was 2020 in einer in der Gewerkschaft Verdi anfangs nicht unumstrittenen Allianz für bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV und für den Klimaschutz begann, gipfelt nun in einem bundesweiten Ausstand, den die Schüler, Azubis und Studenten aus der Klimabewegung aktiv unterstützen. Sie wollen unter anderem die Streikposten in den Verkehrsbetrieben mit Kaffee und Kuchen versorgen und teilen den Aufruf zur Demonstration für bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV auf der Theodor-Heuss-Brücke, die Mainz und Wiesbaden verbindet.
Die laufende Tarifrunde betrifft nach Verdi-Angaben mehr als 100 kommunale Unternehmen in Städten und Landkreisen. In 15 Bundesländern sowie mit den beiden Verkehrsunternehmen in Hamburg werden die Arbeitsbedingungen neu verhandelt. In Brandenburg, dem Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen fordern die Beschäftigten mehr Lohn. Die Argumente für bessere Arbeitsbedingungen liefern aus Sicht der Arbeitnehmer die Arbeitgeber selbst: Bis 2030 gehen nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) 80.000 Beschäftigte in den Ruhestand. Hinzukommt ein hoher Krankenstand aufgrund von Überlastung und hohem Altersschnitt. 110.000 neue Mitarbeiter im Fahrdienst, in der Technik und Verwaltung braucht es nach VDV-Schätzung bis 2030, um die Klimaziele zu erreichen.
"Busfahrer sind Klimaretter", fasst Appuhn zusammen, worum es der Klimabewegung beim ÖPNV-Streik geht. Bei Stundenlöhnen von im Schnitt 17 Euro für fordernde Schichtdienste, die mancherorts in jeweils eine halbe Früh- und Spätschicht unterteilt sind, falle es anderen Branchen leicht, die ÖPNV-Beschäftigten abzuwerben. Doch die Verkehrsunternehmen sehen Bund, Länder und Kommunen in der Pflicht. Während die Energiepreise und damit die Betriebskosten deutlich gestiegen sind, mussten auch die Löhne im Zuge der Inflation angepasst werden. Zugleich beklagt der (VDV) massive Einnahmeverluste durch die Einführung des 49-Euro-Tickets, die staatlich kompensiert werden müssten. Hinzu kommen die Kosten der Flottenmodernisierung, etwa bei der Umstellung auf elektrisch oder mit Wasserstoff betriebene Busse.
Wer soll das bezahlen?
Bei dieser Ausgangslage ist der Streik am Freitag womöglich nur der erste von mehreren: Die Arbeitgeberseite sieht sich schlicht nicht in der Lage, Forderungen nach einer deutlichen Reduzierung der Arbeitsbelastung oder, wie im Fall von Brandenburg, Tarifsteigerungen von 20 Prozent nachzukommen. Ähnlich wie die Deutsche Bahn beim GDL-Streik argumentieren die Arbeitgeber, dass längere Ruhezeiten, eine geringere Wochenarbeitszeit, mehr Freizeitausgleich für Nachtschichten oder mehr Urlaubstage ein noch größeres Loch in die Personaldecke reißen würden. Dann würden erst recht ganze Verbindungen dauerhaft ausfallen. Die Arbeitnehmer wollen dagegen gerade durch bessere Arbeitsbedingungen neue Kolleginnen und Kollegen für ihren Beruf begeistern.
Damit kommen Bund, Länder und Kommunen ins Spiel. Die Kommunen beauftragen die Verkehrsunternehmen, bekommen aber zusätzlich zu den eigenen Mitteln von ihren Bundesländern Geld für den Nahverkehr zur Verfügung gestellt. Der Bund unterstützt seinerseits den ÖPNV durch sogenannte Regionalisierungsmittel, die er den Ländern überweist. 1,5 Milliarden Euro stellt der Bund im laufenden Jahr zusätzlich zur Verfügung, damit das Deutschlandticket weiter für 49 Euro angeboten werden kann. Die eigentlichen Regionalisierungsmittel sinken aber im Zuge der nach dem Schuldenbremsen-Urteil ausgehandelten Sparmaßnahmen um 350 Millionen Euro. Aussicht auf deutlich mehr Spielräume in den kommenden Haushalten besteht nicht, im Gegenteil. Bundesverkehrsminister Volker Wissing hat zudem wiederholt betont, dass Nahverkehr Ländersache ist - nicht nur seiner persönlichen Auffassung nach, sondern auch qua Gesetzgebung.
Klimabewegung sucht Anschluss
"Der Bund hat ganz andere Möglichkeiten, zusätzliche Einnahmen zu generieren", sagt dagegen Appuhn. Sie denkt an eine Abschaffung der Schuldenbremse, eine Reform Erbschaftssteuer oder eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer, deren Einnahmen direkt an die Länder gingen. Letzteres hat auch die SPD auf ihrem jüngsten Bundesparteitag beschlossen, während die FDP jedwede Steuererhöhung ablehnt. Für Grüne Jugend und Fridays for Future geht es aber nur zum Teil darum, von der Bundesregierung - und damit auch von der grünen Bundespartei -, mehr Geld für den Nahverkehr zu fordern. Das Bündnis könnte Vorbild für weitere Allianzen mit Gewerkschaften sein. Klimaaktivistinnen sollten "das ganze Klimathema grundsätzlich gemeinsam mit den Beschäftigten denken", sagt Appuhn.
Nachdem der Klimaschutz aus diversen Gründen zuletzt deutlich an Unterstützung durch breitere Wählerschichten verloren hat, sucht die Bewegung nach ihrem zwischenzeitlichen Hoch vor den Corona-Jahren neuen Anschluss. Über den Austausch mit Gewerkschaften könnte sie ihre Themen auch wieder bei Arbeitnehmern ohne Universitätsabschluss verankern, aus denen sich der größte Teil der Grünen-Wähler rekrutiert. Andersherum ist es den Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten immer schwerer gefallen, junge Beschäftigte für den klassischen Kampf für Arbeitnehmerrechte und damit auch für eine Mitgliedschaft zu begeistern. Das Bündnis ist damit potenziell zu beiderseitigem Vorteil - vorausgesetzt, "Wir fahren zusammen" kann tatsächlich den von den Beteiligten erhofften Druck auf Politik und Verkehrsunternehmen erzeugen.
Quelle: ntv.de