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Der Westen muss umdenken Die Sanktionen gegen Russland funktionieren so nicht

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Boris Bondarew schlägt vor, dass Oligarchen Sanktionen entgehen können, wenn sie "schriftlich geloben, den Krieg, Putin und sein Regime zu verurteilen", und zudem den Wiederaufbau der von Russland zerstörten Ukraine unterstützen.

Boris Bondarew schlägt vor, dass Oligarchen Sanktionen entgehen können, wenn sie "schriftlich geloben, den Krieg, Putin und sein Regime zu verurteilen", und zudem den Wiederaufbau der von Russland zerstörten Ukraine unterstützen.

(Foto: via REUTERS)

Einfache Russen dürfen keine Autos mehr in die EU mitnehmen, während glühende Anhänger Putins und aktiv Beteiligte am Krieg nicht bestraft werden. Das spielt der Kreml-Propaganda in die Hände.

Boris Bondarew quittierte aus Protest gegen den Überfall seines Heimatlandes auf die Ukraine als Diplomat den Dienst für das Moskauer Außenministerium. Kurz nach Kriegsbeginn erklärte er 2022: "Noch nie habe ich mich so für mein Land geschämt wie am 24. Februar dieses Jahres." Er lebt unter strengen Sicherheitsvorkehrungen in der Schweiz. Im Februar erscheint sein Buch "Im Ministerium der Lügen".

Boris Bondarew arbeitete zwanzig Jahre als russischer Diplomat, zuletzt in der russischen UN-Gesandtschaft in Genf.

Boris Bondarew arbeitete zwanzig Jahre als russischer Diplomat, zuletzt in der russischen UN-Gesandtschaft in Genf.

(Foto: privat)

Die EU-Sanktionsverordnung gegen Russland mit der Nummer 833/2014 hat es in sich. Mit ihr wird die Einfuhr von Autos mit russischen Kennzeichen generell untersagt. Es spielt keine Rolle, ob sie privat oder gewerblich genutzt werden. Das heißt: Betroffen ist jeder Russe. Und ob persönliche Dinge wie Smartphones, Laptops und Kosmetikkoffer mit in die EU genommen werden dürfen, liegt beim Grenzübertritt in den Händen der Kontrolleure. Estland, Litauen und Lettland, wo die EU direkt an Russland oder Belarus grenzt, setzen die EU-Vorgabe nach allem, was bekannt ist, konsequent um.

Fast zeitgleich zu dem Erlass hoben die EU-Staaten nach einem Urteil des Gerichts der Europäischen Union die Sanktionen gegen die Oligarchen Alexander Schulgin, Farchad Achmedow und Grigori Berjoskin auf. Bei ihnen war die Grundlage für die Sanktionen als zu dünn erachtet worden - obwohl sie geholfen hatten, Putins Regime zu festigen. Sie haben keine einzige Anti-Kriegserklärung veröffentlicht, die russische Aggression gegen die Ukraine und Putins Regime nicht verurteilt.

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Wie passt die Strenge gegen jeden einzelnen Bürger Russlands, egal, wie er zu Putin steht, und die Milde für schwerreiche Geschäftsleute zusammen? Mit dieser Entscheidung sendet die EU ein völlig falsches Signal an enge Unterstützer des Kremls: nicht nur an Oligarchen, sondern alle, die die EU sanktioniert, weil sie zu Putins Machtapparat gehören. Jetzt werden diese Leute denken: Was bei denen geht, funktioniert auch bei uns. Man muss also nicht mit Putin brechen, braucht seinen völkerrechtswidrigen Krieg nicht zu kritisieren - und trotzdem wird man die Strafmaßnahmen der EU wieder los.

Die Wirtschaft leidet, aber sie findet Wege

Für mich ist das ein neuer, deutlicher Hinweis, dass die Sanktionspolitik der westlichen Länder nicht genug durchdacht ist. Die EU hatte gleich nach Beginn der Invasion der russischen Armee scharfe Auflagen gegen Oligarchen und andere Unterstützer des Regimes verhängt.

Die russische Wirtschaft leidet unter den Sanktionen. Aber die Industrie findet Wege, sich Teile zu beschaffen, vor allem für die Rüstungsproduktion. Es gibt Hinweise, dass die Herstellung von Militärgut besonders stark gesteigert werden konnte und die in westlichen Staaten übertrifft. Gleichzeitig kauft Europa weiterhin russische Rohstoffe und bezahlt damit Putins Militärmaschinerie. Es gibt im Westen Stimmen, die noch weitaus schärfere Sanktionen gegen Russland fordern, von denen auch Russen im Ausland betroffen wären, die vor Putins Herrschaft geflohen sind und den Krieg entschieden ablehnen. Zugleich ist bekannt, dass im Westen nach wie vor viel Geld im Russland-Geschäft verdient wird.

Dieser Widerspruch ruft in der russischen Gesellschaft eine entsprechende Reaktion hervor, die von Putins Propaganda geschickt genutzt wird. Das klingt dann ungefähr so: "Europa ist die blanke Heuchelei. Ihr denkt, es sei der Hort der Demokratie und der Menschenrechte. Dabei kaufen sie Gas und Öl von uns, liefern uns gegen gutes Geld verbotene Waren über Drittländer, natürlich auch Güter, die in der Rüstungsindustrie verwendet werden. Ihre Politiker machen Geschäfte mit uns, aber erklären zugleich, dass Sie, die einfachen Russen, an allem schuld sind - und wenn Sie Russland verlassen wollen, müssen Sie nackt über die Grenze gehen." Viele Russen, auch Putin-skeptische, denken dann: Da ist schon was dran.

Das Kalkül war wohl, mit massiven Sanktionen der gesamten westlichen Welt die wirtschaftliche Lage in Russland derartig zu verschlechtern, dass die Bevölkerung den Krieg zu spüren bekommt und unzufrieden wird. Dadurch wäre Putin gezwungen, seine Politik zu ändern. Falls so gedacht wurde, war dies von Anfang an eine Fehlannahme. Sie offenbart mangelndes Wissen über Russland und seine Menschen. Die russische Gesellschaft und der russische Staat funktionieren nicht wie die westlichen Demokratien - also wirken die Sanktionen nicht so, wie es der Westen geglaubt hatte.

Die Sanktionen sind nicht konsequent genug

In autokratischen oder totalitären Staaten, in denen die Gesellschaft faktisch nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden ist, weil die Politik nur in den Händen einiger Weniger ist, glauben die Menschen schon aus Gewohnheit, dass sie nichts ändern können. In der Tat haben sie keinen Einfluss auf das Geschehen. Die Lage der Wirtschaft wirkt sich in keiner Weise auf die Verschlechterung der Machtposition Putins und seiner Gefolgsleute aus. Wir kennen das aus Nordkorea, dem Iran und Kuba - Länder, die seit zig Jahren scharf sanktioniert werden. Ernsthafte Unzufriedenheit, die die Machthaber bedroht, kann nur dann auftreten, wenn die Situation sehr schwierig für breite Massen wird: Hungersnot durch extreme Lebensmittelknappheit, Stromausfall in ganzen Regionen und Ähnliches.

Bislang ist das in Russland in weiter Ferne. Die Wirtschaft des Landes erweist ein recht hohes Maß an Widerstandsfähigkeit. Und die Unzufriedenheit, die es gibt, richtet sich nicht gegen das Putin-Regime, sondern gegen die westlichen Länder, die diese Strafmaßnahmen verhängt haben und immer weiter verschärfen. Es liegt auf der Hand, dass eine solch harte Sanktionspolitik mit der Peitsche ohne Zuckerbrot eher dazu beiträgt, die Gesellschaft hinter Putin und seiner abenteuerlichen Politik zu vereinen, als ihre Spaltung und Uneinigkeit zu fördern. Die Wirkung ist also anders, als es sich die Initiatoren des Sanktionskurses offensichtlich erhofft haben.

Zudem sind die Bestrafungen nicht konsequent genug. Zahlreiche der glühenden Anhänger Putins und aktiv Beteiligte am Krieg sind nicht gemaßregelt worden - weder von der EU, den USA, Großbritannien noch von anderen Ländern. Zugleich sind verhängte Sanktionen gegen Generäle der Armee und des Geheimdienstes FSB, denen es seit Langem verboten ist, ins Ausland zu reisen und dort Eigentum zu besitzen, rein symbolischer Natur. Sie führten zu keinem Bruch mit Putin. Kriterien für die Aufnahme in die Sanktionslisten sind ohnehin unklar - auch, wie man wieder gestrichen werden könnte.

Hier ist mein Vorschlag: Ein Betroffener muss schriftlich geloben, den Krieg, Putin und sein Regime zu verurteilen. Er muss sich bereit erklären, sich aktiv an multilateralen Bemühungen zu beteiligen, die Aggression zu beenden. Ein Oligarch etwa könnte sich verpflichten, der Ukraine finanziell bei der Rüstungsbeschaffung, humanitärer Hilfe und beim Wiederaufbau des Landes zu helfen, aber auch die russische Zivilgesellschaft im Ausland zu unterstützen. Man sollte die Einrichtung eines öffentlichen Fonds erwägen, in den (bisher) Sanktionierte einzahlen. Diese Handlungen wären nachprüfbar. Denn erst, wenn klare und präzise Vorgaben für die Aufhebung der Strafen vorliegen, kann darüber entschieden werden, ob sie aufgehoben werden. Darüber muss der Westen endlich nachdenken. Sonst hat Putin weiter leichtes Spiel.

Quelle: ntv.de

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