Gerrymandering und Unterdrückung Die schmutzigen Tricks, um die Wahl zu gewinnen
08.11.2022, 15:00 Uhr
Wer gewählt hat, kann dies per Aufkleber kundtun. Doch die Stimmabgabe wird für manche Gruppen immer mehr erschwert.
(Foto: REUTERS)
Die politischen Gräben in den USA werden tiefer. Das wirkt sich auch auf das Wahlrecht aus, das zunehmend ausgehebelt wird. Vor allem Trump-Anhänger greifen zu schmutzigen Tricks, um Wähler von der Stimmabgabe abzuhalten.
Die Demokratie selbst stehe zur Wahl, sagte US-Präsident Joe Biden wenige Tage vor den Zwischenwahlen. Dabei geht es nicht nur um die Zukunft seiner Präsidentschaft, weil dem Staatschef der Demokraten eine republikanische Mehrheit in beiden Kongresskammern droht und damit die politische Blockade. Er meinte vor allem den Einzug einer ganzen Reihe populistischer und radikaler Trump-Anhänger ins Parlament. Und die immer schärfer werdendem Eingriffe in das Wahlrecht, die in einigen Bundesstaaten von den Republikanern vorangetrieben werden.
Eine viel diskutierte und kritisierte Art der Wahlmanipulation ist das sogenannte Gerrymandering, die Wahlkreisschiebung. Sie macht sich zunutze, dass aufgrund demographischer Entwicklungen alle zehn Jahre die Wahlkreise für das Repräsentantenhaus neu zugeschnitten werden müssen. In einigen US-Bundesstaaten kann dabei die gerade regierende Partei auf Grundlage umfangreicher Datenauswertung die Grenzen so ziehen, dass ihr der Sieg in einzelnen Wahlkreisen garantiert wird, auch wenn er nicht die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse widerspiegelt.
Das amerikanische Parteiensystem, das von zwei Parteien bestimmt wird, erleichtert das Gerrymandering - auf beiden Seiten. Es waren aber vor allem die Republikaner, die in den vergangenen Jahren unter dem Schlagwort "Redmap" in einigen Bundesstaaten die Manipulation aggressiv vorantrieben. So konnte die "Grand Old Party" (GOP) zum Beispiel bei den Zwischenwahlen 2018 in Wisconsin nahezu eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament erlangen, obwohl insgesamt nur 45 Prozent der Wähler für sie stimmten.
Nach der Präsidentschaftswahl von 2020, die große Teile der Republikaner bis heute nicht anerkennen, wurde diese Taktik noch verstärkt. So wurden und werden Wahlkommissionen, die auch für die Bestätigung der Ergebnisse zuständig sind, zunehmend mit Anhängern von Ex-Präsident Donald Trump besetzt.
Radikale werden gestärkt
Ohnehin sorgt Gerrymandering nicht nur für zersplitterte Wahlkreise, sondern stärkt auch radikale Kandidatinnen und Kandidaten. Denn wenn eine Partei einen Wahlkreis sicher hat, fällt die eigentliche Entscheidung bereits bei den innerparteilichen Vorwahlen. Seit Jahren schon ist in den USA zu beobachten, dass Anhänger einer Partei eher einem radikalen Vertreter ihre Stimme geben als einem, der zu Kompromissen mit dem politischen Gegner bereit ist. Entsprechend ist die Mehrheit der republikanischen Kandidaten bei der diesjährigen Zwischenwahl Trump-loyal.
Doch Gerrymandering ist nur ein Mittel, um genehme Wahlergebnisse zu erlangen. Ein anderes ist, bestimmte soziale Gruppen oder Minderheiten vom Wählen abzuhalten. Dies gilt zum Beispiel für Inhaftierte, die in den USA kein Stimmrecht haben. In den Gefängnissen sitzen jedoch im Vergleich zur Gesamtbevölkerung überproportional viele Schwarze - eine Folge von rassistischen Ungerechtigkeiten im Justizsystem.
Auch die Tatsache, dass Wahlen in den USA stets an einem Dienstag - also einem Arbeitstag - stattfinden, benachteiligt jene Menschen, die in prekären Verhältnissen leben und auf ihren Lohn angewiesen sind. Längst nicht alle Bundesstaaten haben Regelungen, nach denen Arbeitgeber ihren Angestellten die Wahl ermöglichen müssen. Doch selbst wenn dies der Fall ist, reicht die zugebilligte Zeit mitunter nicht aus, um die Stimme abzugeben - gerade in Gebieten mit einem großen Anteil an Minderheiten sind die Warteschlangen lang und oft mehrere Stunden für die Stimmabgabe nötig, weil nicht genug Wahllokale eingerichtet werden.
Eine in US-Medien zitierte Studie des Politikwissenschaftlers Jonathan Rodden von der Stanford-Universität ergab, dass in Wahllokalen in Georgia, in denen mehr als 90 Prozent der Wähler zu Minderheiten gehörten, die durchschnittliche Mindestwartezeit nach 19 Uhr - also wenn sich keine weiteren Wähler mehr anstellen dürfen - 51 Minuten betrug. In Wahllokalen, in denen mehr als 90 Prozent der registrierten Wähler Weiße waren, fiel der entsprechende Wert auf 6 Minuten.
Gesetze sollen Stimmabgabe erschweren
Georgia gehört ohnehin zu den Bundesstaaten, in denen in den vergangenen Jahren besonders viele Gesetze erlassen wurden, die die Stimmabgabe erschweren sollen, vor allem für jene Gruppen, die zu den Demokraten tendieren: Die Zahl der Wahllokale wurde dezimiert, die Briefwahl - die eher von Anhängern der Demokraten genutzt wird - erschwert, registrierte Wählerinnen und Wähler wurden von Listen gestrichen, weil sie vermeintlich inaktiv waren. Schließlich wurde es Wahlhelfern verboten, Wähler in Schlangen vor den Wahllokalen mit Wasser oder Snacks zu versorgen.
Der Bundesstaat war beileibe nicht der einzige. Das Brennan Center for Justice, ein progressives Institut an der New Yorker Universität, listete im Januar alle Gesetze der Bundesstaaten auf, die 2021 die Stimmabgabe erschwerten: Sie kamen auf 34 Gesetze in 19 Staaten. Dazu gehörten die Verabschiedung höherer Hürden bei Wählerregistrierung oder Briefwahl, oder die Abschaffung der Registrierung noch am Wahltag.
Doch zum erschwerten Zugang zu den Wahlurnen kommt noch ein anderes Problem: Einschüchterung und Gewalt. Beobachter fürchten bereits, dass es bei der Zwischenwahl zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen könnte. Einen Vorgeschmack lieferte Arizona, wo in einem County vermummte und bewaffnete Mitglieder einer Gruppe namens "Clean Elections USA" vor Kästen für die Briefwahl standen und Wähler einschüchterten, indem sie sie filmten oder ihre Autokennzeichen notierten. Ein Richter setzte dem Treiben erst im zweiten Anlauf ein Ende.
Dass die Bundesstaaten immer mehr scharfe Wahlgesetze auf den Weg bringen können, liegt am Supreme Court, der 2013 die Mitsprache der Bundesregierung in Washington bei Wahlrechtsänderungen einschränkte. Mit einer weiteren anstehenden Entscheidung könnte der inzwischen von konservativen Richtern beherrschte Oberste Gerichtshof das Wahlrecht komplett ins Chaos stützen: Wird im Verfahren Moore gegen Harper zugunsten der Bundesstaaten entschieden, könnten deren Parlamente uneingeschränkt selbst über den Zugang zur Briefwahl, die Zertifizierung der Ergebnisse oder den Zuschnitt von Wahlkreisen bestimmen. Gerichtshöfe der Bundesstaaten könnten dann nicht mehr über Beschwerden entscheiden. Den USA droht ein Flickenteppich aus Gesetzen.
Schon bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2024 könnte es zum Wahlchaos samt juristischem Nachspiel kommen. Denn etliche der Trump-Anhänger, die nun in den Kongress drängen, haben bereits damit gedroht, der Wahl die Zertifizierung zu verweigern. Natürlich nur, wenn ein demokratischer Kandidat das Rennen macht.
Quelle: ntv.de