Parteitag bejubelt Parteichef FDP reißt es von den Sitzen, Lindner attackiert Grüne


Alle hinter Lindner: Auf dem Parteitag zeigte sich die FDP geschlossen, der Parteivorsitzende wurde regelrecht bejubelt.
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Parteitage vor Wahlen sollen vor allem eines schaffen: ein Signal der Geschlossenheit senden. Das gelingt der FDP in Potsdam. Welche Wirkung das für die Bundestagswahl in 14 Tagen entfaltet, ist aber eine andere Frage.
Wer in der FDP ist, braucht gerade gute Nerven. Wenn in 14 Tagen ein neuer Bundestag gewählt wird, ist alles drin für die Liberalen. Alles zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Alles zwischen dem Ausscheiden aus dem Bundestag und einer erneuten Regierungsbeteiligung. Auf ihrem außerordentlichen Parteitag in Potsdam haben Parteichef Christian Lindner, sein Vize Wolfgang Kubicki und die Delegierten sich selbst eifrig Mut gemacht. Das war das erhoffte "Signal der Geschlossenheit", das jede Partei vor Wahlen aussenden will.
Bei der FDP war das dieses Mal nicht selbstverständlich. Nach der turbulenten Woche mitsamt gemeinsamer Abstimmung mit der AfD konnte man die Geschlossenheit hinterfragen. Beim umstrittenen Votum zum "Zustrombegrenzungsgesetz" hatten immerhin 23 von 90 Abgeordneten nicht mit "Ja" gestimmt. Zwei stimmten dagegen, fünf enthielten sich und 16 nahmen nicht teil. Bei einigen hatte das nichts mit dem Thema zu tun, sie waren krank, im Mutterschutz oder anderweitig verhindert.
Aber auch prominente FDP-Politiker wie der Parlamentarische Geschäftsführer Johannes Vogel und der niedersächsische Landeschef Konstantin Kuhle hatten ihre Zustimmung verweigert. So stellte sich die gleiche Frage wie bei der CDU: Gibt es da einen Bruch? Und ist damit auch der Parteichef beschädigt?
Die Antwort, die die FDP an diesem Sonntag in Potsdam senden wollte, war eindeutig: absolut nein. FDP-Chef Christian Lindner wurde frenetisch gefeiert. Dreimal riss es die Delegierten während seiner Rede von den Sitzen, um heftig zu applaudieren. So etwas habe es noch nie gegeben, sagte der bayerische FDP-Chef Martin Hagen hinterher. Ähnlich war es auch bei der CDU am vergangenen Montag. Parteichef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz wurde ebenfalls mit langem Jubelapplaus überschüttet. Seht her, alles okay bei uns, das war das Signal nach draußen.
Gemeinsamer Gegner: Grüne
So war es nun auch bei der FDP. Vogel und Kuhle äußerten sich in einer kurzen Aussprache, sagten aber nichts Kritisches. Falls es einen Bruch in der Partei gibt, wollte ihn niemand öffentlich zeigen. Den Ton hatte Vize-Parteichef Wolfgang Kubicki gleich zu Beginn gesetzt. Mit den Worten "Hier steht die Zuversicht" begann er seine Begrüßungsrede. Er schoss gleich einen Schwarm Giftpfeile in Richtung Grüne ab. Auch Lindner nahm sie ins Visier, arbeitete sich aber auch an AfD und Union ab. Ein altes Mittel: Mit einem gemeinsamen Gegner lassen sich die Reihen schließen.
Zuversicht kann die Partei gerade gut gebrauchen. In den Umfragen klebt sie bei vier Prozent. Der Wahlkampf-Endspurt wird also überlebenswichtig. Ein erfolgreicher Parteitag soll die Basis motivieren, also die Männer und Frauen, die Plakate aufhängen, in Fußgängerzonen stehen und an Haustüren klingeln. Sie bekommen neue Munition für ihre Gespräche.
Lindner hat ihnen einiges geboten. Die klare Abgrenzung zu den Grünen könnte der Partei helfen. Und sie kostet wenig: Denn es dürfte ohnehin niemand glauben, dass Grüne und FDP nach dem Ende der Streit-Ampel noch einmal zusammengehen könnten. Er versucht nun, die Aufmerksamkeit weg von der Kanzlerfrage zu lenken - und hin zur Frage, wer mit der Union regiert. Es komme darauf an, ob Lindner oder Habeck in der Koalition seien, sagte er.
Man muss die Untergangsszenarien der FDP über eine erneute Regierungsbeteiligung der Grünen nicht teilen. Aber es stimmt: Schwarz-Grün wäre etwas anderes als Schwarz-Rot. Und ein schwarz-rot-gelbes Bündnis, die "Deutschland-Koalition", wäre noch etwas anderes. Lindner folgert natürlich daraus: Also muss man FDP wählen, wenn man weniger Regeln und Steuern für Unternehmen und weniger Zuwanderung von Asylbewerbern will.
Hausaufgaben gemacht
Das ist geschickt, denn so umschifft er ein großes Problem: CDU und CSU versprechen ebenfalls eine liberalere Wirtschaftspolitik, weniger Bürokratie, mehr innere Sicherheit und eine strengere Migrationspolitik. Warum dann FDP wählen? Lindner sagte bei ntv am Rande des Parteitags: "CDU und CSU sind vielleicht zu Kompromissen mit linken Parteien bereit, die nicht zu dem Politikwechsel führen, den Deutschland in Wahrheit braucht." Merz sagte am vergangenen Montag: Es komme darauf an, wie hoch die Union die Wahl gewinne. Je größer der Abstand zum Koalitionspartner sei, desto mehr könne man durchsetzen. Ausdrücklich riefen Merz und kürzlich auch CSU-Chef Markus Söder dazu auf, mit beiden Stimmen Union zu wählen und der FDP keine Stimmen zu "leihen".
Das ist ein Problem für die FDP. Denn so sehr sie den Politikwechsel herbeiredet und einfordert, sie selbst könnte ihm im Wege stehen. Wenn sie am Ende wirklich nur vier Prozent bekäme, fehlten diese Stimmen einer unionsgeführten Regierung. Deswegen sagt Merz: "Vier Prozent sind vier Prozent zu viel für die FDP und vier Prozent zu wenig für die Union." Lindner konterte: "31 oder 33 Prozent für die CDU machen keinen Unterschied, aber 4 oder 6 Prozent für die FDP ändern die Republik."
Allerdings dürften viele wünschen, dass CDU und CSU mit einem Koalitionspartner auskommen. Und wer sagt denn, dass die FDP nicht wieder lautstark und breitbeinig auftreten würde wie in der Ampel? Lindner selbst hat mal gesagt: "Niemand sollte sich einbilden, dass es leichter wäre, mit der Union zu regieren. Das wäre nur anders."
Trotzdem, Lindner hat seine Hausaufgaben gemacht. Das Kokettieren mit der Kettensäge des argentinischen Präsidenten Javier Milei ließ er beiseite, seine Sympathien für Elon Musk und die Disruption sind in der Schublade verschwunden. Stattdessen grenzt er die FDP klar und glaubwürdig von der AfD ab. Das ist auch ein Bekenntnis zur politischen Mitte. Seine Absage an die Grünen ist konsequent und seine Selbstprofilierung der FDP als bessere Alternative für CDU-Wähler ist wahltaktisch gewieft. Die inhaltliche Fokussierung auf eine unternehmerfreundliche und marktliberale Politik spricht die Kernklientel an.
Wenn nur dieser Ampel-Ballast nicht wäre. Als Teil der unbeliebtesten Regierung der Nachkriegsgeschichte ist sie ein Klotz am Bein. Und das nicht nur, weil die Gesetze unterm Strich zu links oder grün gewesen wären. Zum Hals heraus hing den Menschen der ständige Streit, die Provokationen. Und da mischte Lindner an vorderster Front mit.
Die FDP hat sich an diesem Sonntag stark geredet. Aber ob die Wähler überhaupt noch zuhören, ist eine andere Frage.
Quelle: ntv.de