
Das traditionelle Parteitreffen fand das erste Mal nach zwei Jahren wieder in Präsenz statt.
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Beim Dreikönigstreffen ist die FDP ganz bei sich. Im gediegenen Opernhaus Stuttgart lassen sich die Mitglieder auch nicht von Klimaprotestlern aus der Ruhe bringen. Sie lauschen lieber Parteichef Lindner, der an diesem Mittag einen schwierigen Job hat. So wie seine Partei.
Ein paar Minuten lang musste man sich Sorgen um die Stimme Christian Lindners machen. Beim Dreikönigstreffen der FDP in der Oper Stuttgart drehte der Parteichef sein Organ derartig auf, dass er die Worte fast nur noch herauspresste. Eine gewisse Erregung ging auf die Klimaprotestler zurück, die Lindner gleich zu Beginn unterbrochen hatten. Wobei er eigentlich entspannt und durchaus schlagfertig reagiert hatte, indem er ihnen sinngemäß riet: Kleben Sie sich doch fest, dann stören Sie woanders nicht.
Aber Lindner hatte auch andere Gründe, laut zu werden. Denn Lautstärke zeigt Entschlossenheit. Und die ist beim Durchqueren des aktuellen Krisengebirges wohl erforderlich. So hatte der Finanzminister mehrere Botschaften: Dass es richtig war, in die Ampel zu gehen. Dass es richtig war, Schulden für Bundeswehr und Gaspreisbremse zu machen. Dass man gerade jetzt an der Seite der Ukraine bleiben müsse. "Freiheit mit weniger Wohlstand, das würden wir aushalten und uns neuen Wohlstand erarbeiten", rief Lindner den Abgeordneten zu. "Aber einen Wohlstand nur von Putins Gnaden, ohne Freiheit, ein solcher Wohlstand wäre wertlos." Die Mitglieder applaudierten.
Das taten sie fast noch kräftiger als Lindner das liberale Lieblingslied anstimmte: Steuern senken, um die Wirtschaft nach vorne zu bringen. SPD und Grüne sollten der FDP dankbar sein, dass die Liberalen das Denken in Steuerfragen noch nicht eingestellt hätten, meinte der Parteichef. Denn nur mit einer erfolgreichen Wirtschaft gebe es eine Chance auf eine Wiederwahl.
Was richtig weh tat
Es war ein besonderes Dreikönigstreffen nach einem besonderen Jahr - und nicht nur, weil es das erste Mal nach zwei Jahren wieder in Präsenz stattfand. Die Pandemie ist zwar vorbei, wie Lindner betonte, aber dafür gibt es gleich mehrere neue und alte Baustellen: Ukraine-Krieg, Energiepreise, Bundeswehr, Klimawandel. Als Finanzminister musste Lindner das machen, was der FDP so richtig weh tut: Schulden. Und das noch und nöcher. Auch wenn angesichts der Lage kaum jemand den Sinn der Hilfen bezweifelt, ist es das Gegenteil von dem, wofür die Partei eigentlich steht. Im Trendbarometer von RTL und ntv fiel die FDP von zweistelligen Werten Ende 2021 auf derzeit sieben Prozent.
Dann gab es noch drei Landtagswahlen, die nicht gut liefen. In Niedersachsen flog die FDP aus dem Parlament, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen aus der Regierung. Und dieses Jahr stehen vier weitere an - im Februar schon die Wiederholungswahl in Berlin, dessen FDP-Chef Sebastian Czaja dafür in Stuttgart sprechen durfte. Im Mai folgt Bremen, im Herbst dann Bayern und Hessen. Deren Landeschefs machten gerade mit einem Papier von sich reden, in dem sie forderten, die Partei müsse ihr Profil schärfen und sich in der Ampel mehr durchsetzen. Darin machen sie Druck für weitere Laufzeitverlängerung bei der Atomkraft, Steuersenkungen und giften gegen eine angeblich "kapitalismusfeindliche Klima-Ideologie". Es gab also durchaus Redebedarf.
Lindner und vor ihm auch Generalsekretär Bijan Djir-Sarai verteidigten die Ampelkoalition. Niemand solle sich der Illusion hingeben, dass es einfacher wäre mit der Union zu regieren, warnte Lindner. "Das wäre nur anders." Opposition sei nicht das Ziel der Partei und wenn man mitgestalten könne, sollte man es tun, sagte Lindner. "Wenn man gut regieren kann, darf man es nicht anderen überlassen."
Auf das Bundeswehr-Sondervermögen über 100 Milliarden Euro sei er stolz. Der Abwehrschirm über 200 Milliarden Euro sei richtig und er stehe voll hinter der Entscheidung, sagte Lindner. "Die Größenordnung dieser Schuldenaufnahme war mir nicht geheuer. Das macht man nicht leichtfüßig." Aber so habe man Existenzen erhalten. "In vielen Familien konnten unsere Maßnahmen die Sorgen lindern."
Ampel? Ja bitte
"Die Koalition ist nicht einfach", räumte Lindner ein. Kompromisse seien nötig und Entscheidungen dürften kritisiert werden. Aber man werde weiterhin keine Vorschläge machen, die den Grünen passten, sondern solche, die zur Realität passten. "Daran werden wir weiter in fröhlicher Penetranz festhalten." Einer dieser Vorschläge wird der Abbau von Schiefergas, auch Fracking genannt, sein. Lindner und die FDP sind dafür, weil es billiger sei als anderes Frackinggas aus den USA einzuführen. Für Grüne und SPD ist das aber eine kaum schluckbare Kröte. Für die FDP dagegen wohl das, was man unter "Profil schärfen" versteht. Konsensfähiger ist da schon Lindners Ankündigung, künftig eine Milliarde Euro extra für Bildung auszugeben.
Auch wenn Lindner hier und da ein bisschen gegen die Grünen stichelte - die Rede war keine Kampfansage an die Ampelpartner. Das hätte man nach den vergangenen Tagen erwarten können. Zum Jahreswechsel machte ein als "Non-Paper" bekannt gewordene Strategiepapier aus dem Finanzministerium Schlagzeilen. Darin fordern angeblich Ministeriums-Fachleute eine ökonomische Zeitenwende mit niedrigeren Steuern - doch das klang so nach Liberalen-Wunschzettel, dass es wie aus dem FDP-Wahlprogramm abgeschrieben wirkte. Darin wird eine ökonomische Zeitenwende gefordert. Der Grundgedanke: Jetzt, wo die Energie so teuer ist, kann sich Deutschland hohe Steuern und langsame Bürokratie nicht mehr leisten. Daher müsse die Regierung da ran. Streit wäre programmiert, denn SPD und Grüne hören hier wohl eher: Weniger Steuern für Konzerne, womöglich weniger Umweltauflagen, womöglich weniger Kündigungsschutz.
Genauso argumentierte Lindner zwar auch in der Stuttgarter Oper, doch war der Ton an dieser Stelle nicht mehr laut-entschlossen, sondern staatstragend-leise: "Ich bin mir sicher, dass ich Sozialdemokraten und Grüne für ambitionierte zusätzliche Abschreibungen, Forschungsförderung, oder Mitarbeiterkapitalbeteiligung gewinnen kann", sagte er. Es bleibe aber ein Dissens: Man müsse auch über die effektive Gesamtbelastung reden. Irgendwer müsse ja die Debatte eröffnen. Ein Land, das als Standort attraktiver werden wolle, senke jedenfalls seine Steuerlast. Zu dieser Zurückhaltung passte es auch, dass Lindner selbst nicht die erneute Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken forderte. Das überließ er Generalsekretär Djir-Sarai und Hans-Ulrich Rülke, der im Stuttgarter Landtag die Fraktion führt. Was nicht heißt, dass es darüber keinen neuen Streit geben wird. Aber nicht heute.
Quelle: ntv.de