Der Kriegstag im Überblick Fortschritt der ukrainischen Offensive unklar - AKW erneut unter Beschuss
30.08.2022, 21:04 Uhr
Explodierende Munition in der Region Cherson - nach ukrainischen Angaben ist diese derzeit Schauplatz einer Gegenoffensive.
(Foto: MAVERICK VIA REUTERS)
Nachdem Kiew den Beginn einer Großoffensive im Süden des Landes angekündigt hatte, ist die genaue Lage in der Region Cherson weiter unklar. Unterdessen gerät das Atomkraftwerk Saporischschja erneut unter Beschuss. Und Berichte über ukrainische Attrappen sorgen für Aufsehen. Der 188. Kriegstag im Überblick:
Ukrainische Offensive mit unklarem Verlauf
Nach dem Beginn einer ukrainischen Großoffensive im Süden des Landes hält sich das ukrainische Militär mit Meldungen zur Lage zurück. Die Pressesprecherin des Südkommandos der ukrainischen Armee, Natalija Humenjuk, sprach von "Positionskämpfen" in den Gebieten Mykolajiw und Cherson. Es sei dabei noch zu früh, von möglichen zurückeroberten Orten zu reden. "Es finden gerade Kämpfe statt und diese erfordern eine Informationsruhe."
Tags zuvor hatte Humenjuk den Start einer lange angekündigten Offensive nördlich des Flusses Dnipro verkündet. Die russische Armee bestätigte Vorstöße der ukrainischen Truppen, sprach aber von erfolgreicher Abwehr und hohen ukrainischen Verlusten.
Militärexperte: Offensive der Ukrainer eine Finte
Der Militärexperte und Oberst a.D. Ralph Thiele bezeichnete im Gespräch mit ntv die vermeintliche Großoffensive der Ukrainer in der Region Cherson als Finte. "Wenn man eine Offensive macht, dann spricht man nicht darüber, sondern versucht, den Gegner zu überraschen", so Thiele. Er bewertet das Ganze daher als "informationstaktisches Manöver". Ein Grund dafür könnte sein, die Motivation der eigenen Kräfte hochzuhalten.
Zwei Explosionen nahe eines AKW-Lagergebäudes
Von zwei Explosionen in der Nähe eines Lagergebäudes für abgebrannte Brennelemente des AKW Saporischschja berichtete die russische Militärverwaltung der Stadt Enerhodar. Die Verwaltung machte die Ukraine für den Angriff verantwortlich. Demnach soll es ihr Ziel sein, die Mission der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA zu stören. Die Experten sollen das russisch besetzte Kernkraftwerk im Südosten des Landes inspizieren. Die IAEA-Mission unter Führung von IAEA-Chef Rafael Grossi wird im Laufe der Woche vor Ort erwartet.
Selenskyj trifft IAEA-Expertenteam in Kiew
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist in Kiew unterdessen mit den Experten IAEA zusammengetroffen. "Wir wollen, dass die IAEA-Mission zur Atomzentrale gelangt und alles tut, um die Gefahren (einer Atomkatastrophe) zu verhindern", sagte Selenskyj laut einem von seinem Büro veröffentlichten Video. "Dies ist wahrscheinlich eine der wichtigsten Fragen bezüglich der Sicherheit der Ukraine und der Welt", sagte Selenskyj. Er forderte eine "sofortige Entmilitarisierung der Anlage", den Abzug aller russischen Soldaten, Waffen und ihres Sprengstoffs vom Kraftwerksgelände sowie eine Rückkehr des AKW unter "ukrainische Kontrolle" mit einer Einrichtung einer entmilitarisierten Zone um die Anlage herum.
Zeitung: Ukraine setzt erfolgreich Attrappen ein
Das ukrainische Militär setzt im Abwehrkampf laut "Washington Post" auch Waffenattrappen ein, um die Angreifer zu täuschen. Dabei gehe es etwa um hölzerne Nachbildungen moderner US-Raketensysteme, schrieb die Zeitung unter Berufung auf ungenannte hochrangige Beamte aus den USA und der Ukraine. Auf diese Weise seien die russischen Streitkräfte dazu gebracht worden, teure Marschflugkörper vom Typ Kalibr auf harmlose Replikate zu verschwenden. Angesichts des Erfolgs sei die Produktion der Replikate ausgebaut worden.
Ukrainischer Überläufer flieht aus Cherson nach Russland
Kirill Stremousov, der stellvertretende Vorsitzende der Militärverwaltung in Cherson, ist nach Russland geflohen, melden Nutzer auf Twitter. Seine beiden neuesten Videobotschaften sind im Marriot-Hotel in Woronesch etwa 200 Kilometer hinter der Grenze zur Ukraine aufgenommen worden. Der Ukrainer Stremousov selbst hatte in einem Statement zuletzt gesagt, dass die Ukraine bald in der Unterzahl sein würde. "Das ist eine Steppe, in der man sich nirgendwo verstecken kann", sagte er der "New York Times". "Diese Region kann zu einer echten Falle für die ukrainischen Streitkräfte werden".
US-Medien: Iran liefert erste Drohnen an Russland
Der Iran hat einem US-Medienbericht zufolge erste Drohnen an Russland für den Einsatz in der Ukraine geschickt. Wie die "Washington Post" unter Berufung auf Geheimdienstkreise berichtete, wurden bereits am 19. August mindestens zwei Typen unbemannte Flugzeuge geliefert. Diese könnten für den Beschuss von Radaranlagen, Artillerie und anderen militärischen Objekten eingesetzt werden. Allerdings hätten die russischen Streitkräfte bei ersten Tests mit zahlreichen Fehlfunktionen zu kämpfen gehabt.
Mehrheit will Verhandlungen über Kriegsende
77 Prozent der Bundesbürger sind einer Umfrage zufolge der Meinung, dass der Westen Verhandlungen über eine Beendigung des Ukraine-Kriegs anstoßen sollte. Das geht aus einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Forsa für das RTL/ntv-"Trendbarometer" hervor. 17 Prozent fanden, der Westen solle das derzeit nicht tun. 87 Prozent der Befragten halten es demnach für richtig, dass westliche Regierungschefs weiterhin mit Russlands Präsident Wladimir Putin sprechen. 11 Prozent fanden das nicht richtig.
Bundesregierung für höhere Hürden bei Visa für Russen
Die Bundesregierung hat sich für die vollständige Aussetzung des europäischen Visa-Abkommens mit Moskau ausgesprochen, das Russen die Einreise in die EU erleichtert. Ein solches Vorgehen könne im EU-internen Streit über mögliche Einreisebeschränkungen eine "ganz gute Brücke" sein, sagte Außenministerin Annalena Baerbock am Rande der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg. Der Ansatz sei ziemlich in der Mitte zwischen denjenigen, die gar keine Visa an Russen mehr vergeben wollten und denjenigen, die weitermachen wollten wie bisher. Ein solcher Schritt könnte die Kosten und den Aufwand für Antragsteller deutlich erhöhen und es EU-Staaten erlauben, die Visa-Vergabe für den Schengen-Raum einzuschränken.
EU lotet Optionen für Militär-Ausbildung für Ukrainer aus
Die EU will mit Vorbereitungen für einen Militäreinsatz zur Ausbildung ukrainischer Soldaten beginnen. Die Mitgliedstaaten hätten vereinbart, die notwendigen Arbeiten für einen solchen Unterstützungseinsatz aufzunehmen, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach Beratungen der Verteidigungsminister in Prag. Der Einsatzort und Details sind noch offen, eine Ausbildung der Streitkräfte in der Ukraine selbst schließen Deutschland und andere Mitgliedsstaaten aber aus. Konkret könnte der Unterstützungseinsatz eine Ausbildung von ukrainischen Streitkräften in Bereichen wie Logistik und dem Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen Waffen umfassen. Borrell betonte, die endgültige Entscheidung für den Start sei noch nicht gefallen.
EU spendet Millionen von Jodtabletten
EU-Staaten haben eine Spende von fünf Millionen Kaliumjodidtabletten an die Ukraine angekündigt. "Deutschland wäre dafür verantwortlich, die Tabletten an die Ukraine zu liefern", sagte ein Sprecher der Europäischen Kommission. Sie sollen als vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Menschen in der Nähe des AKW Saporischschja dienen. Die Tabletten sollen für den Fall genutzt werden, dass Radioaktivität aus dem AKW austritt. So solle verhindert werden, dass sich eingeatmetes oder verschlucktes radioaktives Jod in der Schilddrüse absetze.
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Quelle: ntv.de, kst/dpa/AFP