Politik

Umkämpfte Region Cherson Militärexperte hält ukrainische Offensive für Finte

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Bisher sind kaum Details zur vermeintlichen Großoffensive der Ukraine im Süden des Landes bekannt. Das zuständige Südkommando spricht von "Positionskämpfen", Kiew von Gefechten im gesamten Gebiet. Ein deutscher Militärexperte hat jedoch Zweifel.

Nach dem Beginn einer ukrainischen Großoffensive im Süden des Landes hält sich das ukrainische Militär mit Meldungen zur Lage zurück. Die Pressesprecherin des Südkommandos der ukrainischen Armee, Natalija Humenjuk, sprach von "Positionskämpfen" in den Gebieten Mykolajiw und Cherson. Es sei dabei noch zu früh, von möglichen zurückeroberten Orten zu reden. "Es finden gerade Kämpfe statt und diese erfordern eine Informationsruhe." Tags zuvor hatte Humenjuk den Start einer lange angekündigten Offensive auf dem rechten Ufer des Fluss Dnipro verkündet.

Der Militärexperte und Oberst a.D. Ralph Thiele bezeichnete im Gespräch mit ntv die vermeintliche Großoffensive allerdings als Finte. "Wenn man eine Offensive macht, dann spricht man nicht darüber, sondern versucht, den Gegner zu überraschen", so Thiele. Er bewertet das Ganze daher als "informationstaktisches Manöver".

Ein Grund dafür könnte sein, die Motivation der eigenen Kräfte hochzuhalten. Ein weiterer Aspekt sei, dass die Ukraine gezielt westliche Medien zu füttern suche, damit die Unterstützung aus dem Westen aufrechterhalten bleibe. Und zuletzt wolle die Ukraine russische Kräfte in den Süden umlenken, um Druck aus dem Donbass zu nehmen, glaubt Thiele. Generell rechnet er ohnehin nicht mit größeren Offensiven der Ukrainer.

Kiew: Schwere Kämpfe im gesamten Gebiet

Das Büro von Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte zuvor erklärt, in "fast dem gesamten Gebiet" der südukrainischen Region seien "schwere Kämpfe" mit "starken Explosionen" ausgebrochen. Die ukrainischen Streitkräfte griffen die russischen Truppen "in unterschiedliche Richtungen" an. Dem Präsidentenbüro zufolge sind in der Region inzwischen "fast alle großen Brücken" zerstört worden, lediglich "Fußgängerübergänge" seien verblieben.

Das Südkommando der ukrainischen Armee schrieb in einer Mitteilung von einer "angespannten" Situation in seinem Einsatzgebiet. Russland habe die ukrainischen Stellungen fünfmal attackiert, sei aber erfolglos geblieben. Bei "massiven" russischen Angriffen mit Luftabwehrraketen vom Typ S-300 auf die rund 60 Kilometer Luftlinie nordwestlich von Cherson gelegene Stadt Mykolajiw seien zwei Zivilisten getötet und 24 weitere verletzt worden.

Russlands Verteidigungsministerium hatte am Montag mitgeteilt, es habe der ukrainischen Armee in der Region um Cherson und Mykolajiw "schwerwiegende Verluste" zugefügt. Demnach hätten die ukrainischen Streitkräfte "in drei Richtungen" angegriffen, aber mehr als 560 Soldaten und 26 Panzer verloren.

London: Verstärktes Artillerie-Feuer der Ukraine

Das britische Verteidigungsministerium erklärte in einer Sicherheitsmitteilung, der "Umfang des ukrainischen Vorstoßes" könne zwar nicht bestätigt werden. Die ukrainische Armee habe aber das "Artillerie-Feuer an Frontabschnitten in der ganzen Südukraine erhöht", um russische Versorgungslinien mit "Präzisionsschlagen mit hoher Reichweite" zu unterbrechen.

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Die meisten der russischen Einheiten rund um Cherson seien "wahrscheinlich unterbesetzt" und auf "störungsanfällige Versorgungslinien" über Fähren und Pontonbrücken über den Fluss Dnipro angewiesen, hieß es weiter. Einem hochrangigen Bediensteten des US-Verteidigungsministeriums zufolge hat Moskau Schwierigkeiten dabei, neue Soldaten für den Kampf in der Ukraine zu rekrutieren. Viele der neuen Rekruten seien in fortgeschrittenem Alter, in schlechter Form und nur unzureichend ausgebildet.

Der Militärexperte Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr wies auf die strategische Bedeutung Chersons nahe der von Russland annektierten Krim hin. "Wenn sie (die Ukrainer) über Cherson die Kontrolle haben, haben sie auch die Kontrolle über die Frischwasserzufuhr zur Krim. Das heißt also ein Druckinstrument, um die Russen auch auf der Krim noch weiter unter Druck zu setzen." Russland hätte auch Probleme, eine solche Niederlage zu verschweigen, sagte Masala im Interview mit Bayern 2.

Quelle: ntv.de, kst/dpa/AFP

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