Kredite für das Königreich Geht Saudi-Arabien das Geld für die Vision 2030 aus?
03.03.2024, 11:25 Uhr Artikel anhören
Kronprinz Mohammed bin Salman ist die treibende Kraft hinter Saudi-Arabiens Vision 2030.
(Foto: picture alliance/AP Images)
Selbst in Saudi-Arabien sitzt das Geld derzeit nicht mehr so locker. Trotz aller Großinvestitionen in riesige Bauprojekte, eine neue Fluggesellschaft und den Fußball spricht Experte Sebastian Sons von einer "herausfordernden Situation". Saudi-Arabien musste inzwischen sogar etwas tun, was es seit Jahren vermieden hat: Kredite aufnehmen, damit die Vision 2030 erfolgreich wird.
Saudi-Arabien ist der Inbegriff des Gigantismus. Das streng islamische Königreich baut eine riesige Zukunftsstadt mitten in der Wüste, investiert in großem Stil in die Mikrochip- und Elektronikbranche, gründet eine neue staatliche Fluggesellschaft und wirft Unsummen an Geld in E-Sport, Gold, Boxen und den Fußball.
Das Land finanziert die großen Projekte mit Geld aus seinem Staatsfonds, einem der größten der Welt, über 600 Milliarden US-Dollar schwer. Kein Staatsfonds hat im vergangenen Jahr mehr Geld investiert als der saudische. Gut ein Viertel des Geldes, das alle Staatsfonds weltweit 2023 ausgegeben haben, entfallen auf den Public Investment Fund (PIF).
Bis 2030 soll er auf zwei Billionen US-Dollar anwachsen und zum größten Fonds der Welt werden. Dabei sind die Zeiten auch für den prall gefüllten PIF so kompliziert wie nie. Um den Geldhahn offenzuhalten, hat Saudi-Arabien zuletzt sogar Kredite aufgenommen. Ein Mittel, dass das Königreich "in den letzten Jahrzehnten gemieden hat", schreibt das Wall Street Journal.
Demnach will der Staat außerdem Aktien des Ölriesen Saudi Aramco verkaufen. Irgendwie müssen die Mammutprojekte finanziert werden. "Saudi-Arabien investiert sehr viel Geld in unterschiedlichste Projekte im In- und Ausland. Gerade der saudische Staatsfonds ist hier die treibende Kraft. Und dieses Geld stammt zu großen Teilen aus den Öleinnahmen", berichtet Nahost-Experte Sebastian Sons vom Forschungsinstitut Carpo im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".
Öleinnahmen gehen zurück
Zwar habe Saudi-Arabien während der Pandemie enorm hohe Öleinnahmen generiert, in Zukunft sehe die Lage jedoch anders aus, betont Sons. "Man muss damit rechnen, dass die Einnahmen zurückgehen werden. Dementsprechend ist die Situation, die wir jetzt sehen, schon auch eine delikate. Ich würde nicht sagen, die Lage ist problematisch, aber zumindest ist es für den saudischen Staat eine Herausforderung, die ambitionierten Ziele der Vision 2030 zu erfüllen."
Saudi-Arabien plant seit Jahren damit, dass eines Tages kein Ölgeld mehr in den Staatshaushalt fließt, weil das schwarze Gold versiegt. Deshalb werden die eingenommenen Ölmilliarden in die verschiedensten Projekte investiert. Kronprinz Mohammed bin Salman hat vor acht Jahren die Vision 2030 ins Leben gerufen - entworfen von den Unternehmensberatungen McKinsey und Boston Consulting Group.
Vision 2030? "Entscheidend sind die kleinen Dinge"
Für das Königreich geht es zudem darum, das eigene Image aufzupolieren. Das ist auch der Grund, weshalb Superstar Cristiano Ronaldo und viele andere prominente Fußballer mittlerweile in der saudischen Liga spielen und der Wüstenstaat 2034 die Fußball-Weltmeisterschaft ausrichtet.
Solche Projekte sind aber nur die medienwirksamen Leuchttürme. Entscheidend für das Gelingen der Zukunftsvision seien andere Dinge, sagt Experte Sons im Podcast. "Die Vision 2030 ist in erster Linie der Versuch, die gesamte saudische Wirtschaft und auch die Gesellschaft umzugestalten. Wir sehen riesige Projekte wie Neom, aber die Menschen in Saudi-Arabien interessieren sich eher für die kleineren Dinge, die nicht so sexy sind: bezahlbarer Wohnraum, öffentlicher Nahverkehr, Kindergarten- und Schulplätze sowie bezahlbare Kulturveranstaltungen."
Menschenrechtslage bleibt katastrophal
Gleichgeblieben ist allerdings die katastrophale Menschenrechtslage. Für regierungskritische Äußerungen können Menschen in Saudi-Arabien bis zu 45 Jahre ins Gefängnis kommen, Homosexualität ist verboten, für Kleinigkeiten wird teils die Todesstrafe verhängt.
Unvergessen ist auch der Fall Jamal Khashoggi. Der Regierungskritiker betrat 2018 das saudische Konsulat in Istanbul, kam aber nie mehr heraus, weil er noch vor Ort zerstückelt wurde. US-Geheimdienste sind überzeugt, dass Kronprinz Mohammed bin Salman höchstpersönlich den Mord beauftragt hat.
Der Kern der Vision 2030 sei die "neue Aushandlung des traditionellen Gesellschaftsvertrags", sagt Sons. Saudi-Arabien ist immer noch ein konservatives islamisches Land, der Kronprinz hat aber erkannt, dass es in den starren alten Denkmustern alleine nicht klappen kann.
"Es ging in Saudi-Arabien häufig darum, alte Eliten ruhigzustellen und gemeinsam einen Deal auszuhandeln. Händler, Familien mit Einfluss, Religionsgelehrte, die sind immer noch wichtig, aber mittlerweile werden eher die jungen Menschen von dieser Vision adressiert." Sons macht deutlich, dass Religionspolitik im konservativen Saudi-Arabien immer noch eine bedeutende Rolle einnehme, jedoch unter neuen Vorzeichen. "Und die sagen: wir müssen uns öffnen."
Nächstes Defizit erwartet
Entscheidend für die Öffnung des Landes ist die Vision 2030. Und die steht derzeit unter stärkerem finanziellen Druck als bisher. Sons beschäftigt sich seit Jahren mit dem erzkonservativen islamischen Königreich und weiß: "Wenn der Ölpreis hoch ist, dann geht es Saudi-Arabien gut."
Die Ölpreise werden gemäß aktueller Schätzungen 2024 aber leicht sinken, im Vergleich zum Vorjahr. Das wird direkte Auswirkungen auf die Staatsfinanzen haben: In diesem Jahr erwartet Saudi-Arabien ein Haushaltsdefizit von 21 Milliarden Dollar, das sind etwa zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung.
Für saudi-arabische Verhältnisse ist das eine Menge. Viele Menschen im Land sind reich, die Königsfamilie ist die viertreichste der Welt, das BIP liegt mittlerweile über dem von der Schweiz, den Niederlanden, Norwegen und Schweden. In der Vergangenheit waren teils sogar Überschüsse im zweistelligen Prozentbereich keine Seltenheit. Deshalb ist die aktuelle Situation eine große Herausforderung auf dem Weg zur Vision 2030.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
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Quelle: ntv.de