Fonds für globalen Einfluss Saudi-Arabien kauft sich Macht, Allianzen und ein modernes Image
04.02.2024, 09:56 Uhr Artikel anhören
Dass Mohammed bin Salman für die Ermordung des Dissidenten Jamal Khashoggi verantwortlich ist, spielt in der internationalen Diplomatie keine Rolle mehr.
(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)
Nicht nur im Fußball weitet Saudi-Arabien über seinen Staatsfonds seinen internationalen Einfluss aus. Auf die Frage nach dem Umgang mit dem Land hat die deutsche Außenpolitik bislang keine zufriedenstellende Antwort gefunden, kritisiert ein Experte.
Es ist nur ein weiteres kleines Puzzleteil eines großen Plans, besetzt mit prominenten Gästen: Ende Oktober kündigte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman an, dass sein Land ab 2024 den "E-Sports World Cup" austragen werde. Auch Fußballstar Cristiano Ronaldo und FIFA-Chef Gianni Infantino waren auf der "New Global Sports Conference", auf der Salman bekannt gab, dass bei dem Turnier das höchste Preisgeld in der Geschichte des E-Sports angeboten werde. Wie hoch die Preisgelder sein werden, ist noch nicht bekannt, aber es dürften hohe Summen sein. Schon 2022 fanden in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad die "Riyadh Masters" statt, bei denen es rund fünfzehn Millionen US-Dollar zu gewinnen gab. Die saudi-arabische Savvy Games Group, die dem staatlichen Public Investment Fund (PIF) gehört, erklärte, sie werde rund 38 Milliarden US-Dollar investieren, um Saudi-Arabien bis 2030 zu einem Zentrum für "Global Gaming" zu machen.
Es gibt in Saudi-Arabien kaum einen wichtigen Bereich, in dem der PIF nicht vertreten ist. Beim Ölkonzern Aramco, der zu neunzig Prozent dem Staat gehört, verdoppelte der Fonds im April vergangenen Jahres seinen Aktienanteil auf acht Prozent. Bei der Saudi Telecom verfügt der PIF über eine Mehrheitsbeteiligung von 64 Prozent. Mit dem PIF-Tochterunternehmen Saudi Arabian Military Industries wird der Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie vorangetrieben. Zugleich will Saudi-Arabien den Bergbau-, Logistik- und Energiesektor ausbauen, etwa durch Milliardeninvestitionen in Erdgas.
In seinem Jahresbericht wies der Fonds im vergangenen Juli ein verwaltetes Vermögen von 776 Milliarden US-Dollar aus. Bis 2030 soll der PIF mit Finanzeinlagen von insgesamt zwei Billionen US-Dollar zum größten Fonds der Welt werden. Kein anderer Staatsfonds investierte 2023 mehr als der PIF.
Machtkonsolidierung des Kronprinzen und Diversifizierung
Die Investitionen des Staatsfonds reichen von E-Fahrzeugen bis zu Gamingportalen und Konzertveranstaltern - weltweit. So hält der PIF große Anteile an Facebook, Disney, dem Flugzeughersteller Boeing oder der Bank of America. Im September wurde bekannt, dass Saudi Telecom (STC) für 2,1 Milliarden Euro 9,9 Prozent der Aktien der spanischen Telefonica erworben hat. Der milliardenschwere Einstieg der Saudis rief die spanische Regierung auf den Plan: Spanien müsse sicherstellen, dass die Entscheidungen eines Unternehmens, das mit sensiblen Daten umgehe, weiterhin im Land getroffen würden, schrieb die Arbeitsministerin Yolanda Díaz auf dem Kurznachrichtendienst X. In Deutschland war der PIF 2023 einer der einflussreichsten Finanziers beim Verkauf des Düsseldorfer Sendemasten-Betreibers Vantage Towers, der aus dem MDax verschwand.
Mit diesen Investitionen will Saudi-Arabien zu einem wichtigen Player in neuen Wirtschaftsfeldern werden und so neue Allianzen schaffen. "Saudi-Arabien versucht, über das PIF verstärkt globalen Einfluss zu nehmen", sagt der Nahostexperte Sebastian Sons, der ein Buch über "Die neuen Herrscher am Golf und ihr Streben nach globalem Einfluss" geschrieben hat. Dabei gehe es um eine politische Machtkonsolidierung des Kronprinzen und eine wirtschaftliche Diversifizierung, um die Wirtschaft unabhängiger vom Erdöl zu machen. Das Königreich werde wirtschaftlich immer wichtiger, sodass auch die Gefahr steige, sich für saudische Interessen instrumentalisieren zu lassen, mahnt Sons. "Dem sollte man mit der notwendigen Vorsicht begegnen, ohne aber im Vorfeld Kooperationen auszuschließen. In Deutschland muss diskutiert werden, wie eine interessen- und werteorientierte Außenpolitik im Umgang mit Saudi-Arabien aussehen soll. Bislang gibt es darauf keine zufriedenstellende Antwort", so Sons.
Sport dient der politischen Legitimation
Beim Streben nach Einfluss ist Saudi-Arabien nicht nur unmittelbarer Einfluss wichtig. Das Land versucht auch, sein Image aufzupolieren. Zu diesem Zweck verfolgt das Land besonders im Sportbereich eine aggressive Strategie. Vier Fußballvereine, die zu 75 Prozent dem Staatsfonds gehören, kaufen Weltstars wie Cristiano Ronaldo, Karim Benzema, Sadio Mané und Neymar, die in der Liga des Wüstenstaats spielen. "Du kannst über den Fußball ganz, ganz viele politische Dinge versuchen zu legitimieren", kommentierte Christian Streich, Trainer des Bundesligisten SC Freiburg, diese Transfers. Über den Fußball könne man Menschen dort hinbringen, dass Dinge weniger hinterfragt werden. "Fußball ist hochpolitisch - wer was anderes behauptet, der hat nicht hingeschaut", sagte Streich.
Anfang Oktober kündigte Saudi-Arabien zudem an, sich für die Fußball-WM 2034 zu bewerben - es gibt keine Konkurrenten, die Zusage gilt als sicher. Das Land hatte sich schon die Austragung der FIFA-Klub-WM 2023 und die Asienmeisterschaft 2027 gesichert. Es gibt neben einem Formel-1-Rennen eine eigene Golfserie, und 2029 sollen sogar die Asienwinterspiele in Saudi-Arabien stattfinden. Darüber hinaus entwickelte sich das Land zum Zentrum der Boxwelt. Mit all diesen Anlässen soll auch endlich Katar abgehängt werden, das in den vergangenen Jahren große Erfolge im internationalen Sportgeschäft erzielen konnte.
"Eine machtpolitische Dimension, die nicht ignoriert werden darf"
Der 1971 gegründete Staatsfonds PIF war lange eines von mehreren Investmentinstrumenten der saudischen Machthaber. Die Wende kam 2015. Damals verstarb König Abdullah, und sein Halbbruder Salman ibn Abd al-Aziz wurde zum König ernannt. Dieser ernannte seinen Sohn Muhammad bin Salman zum Verteidigungsminister. Zwar ist der König Staatschef, doch der Sohn wurde 2017 zum Kronprinzen ernannt und hat faktisch bereits die Führung des Landes übernommen. Ab da bekam Salman, kurz MBS genannt, per Dekret die Kontrolle über den Fonds, der bis zu diesem Zeitpunkt dem Finanzministerium unterstellt war. Kenner bezeichnen den Fonds deswegen als "one man investment vehicle".
"MBS ist der Architekt jeglicher Investitionen, er gibt die Richtlinien vor", sagt Nahostexperte Sebastian Sons. Der PIF diene "als Aushängeschild für eine saudische nationalistische Wirtschaftspolitik". Dabei gehe es darum, der eigenen Bevölkerung zu demonstrieren, dass Saudi-Arabien nicht nur in der Lage sei, viel Geld in die Hand zu nehmen, sondern auch, in die richtigen Sektoren zu investieren, um Projekte im Land voranzutreiben. In einer Studie der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik wird gewarnt: "Wirtschaftskooperationen mit dem Königreich unter Einbeziehung des PIF oder von ihm kontrollierter Unternehmen haben eine machtpolitische Dimension, die nicht ignoriert werden darf." Denn durch den Staatsfonds erhalte der Kronprinz direkten Zugriff auf erhebliche finanzielle Ressourcen des Staates. Dadurch könne er herrschaftsstrategisch wichtige Gruppen an sich binden.
Gleichzeitig bemüht sich Saudi-Arabien um eine attraktive Außenwirkung: Frauen und Männer dürfen heute gemeinsam ins Kino, es gibt mehr Visa für Touristinnen und Touristen, Kleidervorschriften wurden gelockert. All das gehört zur 2017 vorgestellten "Vision 2030", die vom Beratungsunternehmen McKinsey und der Boston Consulting Group entworfen wurde. Mit diesem Reformprogramm plant das Land seine Wirtschaft umzubauen und unabhängiger zu werden vom Öl, das einen Großteil der Staatseinnahmen ausmacht.
An den Menschenrechtsverletzungen hat die Welt kein Interesse
Mit der "Vision 2030" wurden auch die Ziele des Fonds neu definiert. Er tritt seither nicht mehr nur als Kreditgeber, sondern auch als aktiver Investor auf. Er präsentiert sich dafür auf einer Website mit aufwändigen Videos. Zu sehen sind Frauen im Büro, lachende Kinder, Geschäftsmänner, grüne Landschaften. Wer sich durch die Seite klickt, bekommt das Bild einer gleichberechtigten Gesellschaft vermittelt. Dass die königlichen Hoheiten ihnen unangenehme Personen inhaftieren lassen, davon ist hier nicht die Rede. Realität ist aber, dass saudische Gerichte für regierungskritische Äußerungen bis zu 45 Jahre Haft verhängen. Rechtlich muss eine Frau in Saudi-Arabien ihrem Ehemann immer noch "Gehorsam" leisten und darf Sex nur aus "legitimen Gründen" verweigern.
Die internationale Gemeinschaft hat wenig Interesse, sich um solche Themen oder noch gravierendere Menschenrechtsverletzungen zu kümmern. Besonders deutlich wurde das im Fall Jamal Khashoggi. Der saudische Dissident betrat im Oktober 2018 das Konsulat seines Landes in Istanbul - und wurde nie wieder lebend gesehen. Sein Körper wurde noch vor Ort zerstückelt und anscheinend verbrannt. US-Geheimdienste beschuldigen Muhammad bin Salman, für die Ermordung verantwortlich zu sein. Vorübergehend führte das zu einer internationalen Isolierung des Thronfolgers. Dieser wiederum sagte 2019 in einem Interview, er habe nichts von den Mordplänen gewusst - er übernehme aber dennoch die volle Verantwortung, weil das Verbrechen von Mitgliedern der saudischen Regierung verübt worden sei. Das Interview fand vier Wochen vor der "Future Investment Initiative" statt - einer internationalen Investorenkonferenz in Riad.
UNO-Berichterstatterin Agnès Callamard hat in einem Untersuchungsbericht deutlich gemacht, dass sie den Prozess, in dem in Riad fünf Saudis zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, für eine Farce hält. Sie empfahl persönliche Sanktionen gegen Salman, doch der Prinz blieb verschont. Auch die US-Justiz schützte den Prinzen, nachdem Khashoggis Freundin vor einem US-Gericht Klage gegen ihn und andere Personen eingereicht hatte, denen sie eine Beteiligung an der Tötung ihres Lebensgefährten vorwirft. Im Jahre 2022 wies ein US-Gericht die Klage ab und folgte damit einer Empfehlung der Regierung von Präsident Joe Biden, Salman in dem Verfahren Immunität zu gewähren. Im Präsidentschaftswahlkampf vor vier Jahren hatte Biden noch gefordert, die Regierung in Riad für den Mord zu belangen. Angesichts der Energiekrise aufgrund des russischen Krieges gegen die Ukraine änderte er seinen Kurs. Auch die türkische Staatsanwaltschaft stellte einen Prozess ein, die Akten wurden der Golfmonarchie überstellt. Zur selben Zeit vereinbarten Saudi-Arabien und die Türkei neue Kooperationen auf politischer, wirtschaftlicher und militärischer Ebene. Die Machtkonsolidierung des Kronprinzen, sie funktioniert bereits.
Quelle: ntv.de