
Anstelle von Armin Laschet braucht die CDU einen Vorsitzenden, der mit Autorität nach innen und mit Reputation nach außen die inhaltliche und personelle Neuaufstellung anleitet und selbst verkörpert.
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Neuwahl des Bundesvorstandes und Treffen mit den Kreisvorsitzenden: Die Gremiumsbeschlüsse zwei Wochen nach der Bundestagswahl geben keine Antwort auf die Frage, wie die CDU ihre Krise lösen will. Vor allem die Anforderungen an den nächsten Vorsitzenden kann eigentlich niemand erfüllen.
Niemand kann der CDU derzeit vorwerfen, eine Partei der Hinterzimmer zu sein. Während sich die drei anderen Parteien aus der Mitte des politischen Spektrums im Rahmen ihrer Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung in maximaler Diskretion üben, verhandeln christdemokratische Spitzenvertreter die Zukunft ihrer Partei weitgehend öffentlich. Da ist kaum wem Mikrofon-Scheu zu unterstellen und manche versuchen gar, die amtierende Kanzlerin zu imitieren: Am Wochenende veröffentlichten der Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor, Junge-Union-Chef Tilman Kuban und die Norbert-Röttgen-Vertraute Ellen Demuth mit weiteren Mitstreitern einen offenen Brief, der nicht ein gutes Haar an der inhaltlichen und personellen Aufstellung der CDU lässt.
Die Parallele zum Gastbeitrag von Angela Merkel in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", mit dem die junge CDU-Generalsekretärin vor bald 22 Jahren zu ihrem Sprung an die Parteispitze ansetzte, ist offensichtlich: Damals wie heute war die Union nach 16 Jahren Kanzlerschaft an einem Totpunkt angelangt: inhaltlich unklar, personell konfus. Dass sich allerdings einer oder eine der Autorinnen des "Welt"-Beitrags zum Merkel-Erben aufschwingt, ist auszuschließen.
Jemand Neues mit Autorität gesucht
Und genau da liegt der Unterschied zum Zustand der CDU im Jahr 1999: Es ist gar nicht zu erkennen, wer sich zutraut und wem die Partei zutrauen könnte, sie nach dem historischen Wahldebakel aus einer ihrer schwersten Krisen herauszuführen. Der Partei muss nicht weniger als die Quadratur des Kreises gelingen, wenn sie rechtzeitig vor den wegweisenden Wahlen in den Flächenländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein wieder zu Geschlossenheit und klarem Kurs finden will: Sie braucht anstelle von Armin Laschet eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden, die oder der mit Autorität nach innen und mit Reputation nach außen die inhaltliche und personelle Neuaufstellung anleitet und diese auch selbst verkörpert.
Das ist eine große Aufgabe für Politiker aus der zweiten oder gar dritten Reihe und ein immenses Risiko für die Partei. Schließlich muss nach dem Debakel um die Kurzzeit-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet der dritte Versuch einer Merkel-Nachfolge an der Parteispitze zwingend gelingen. Aus dieser Erkenntnis ziehen die CDU-Granden aber unterschiedliche Schlüsse. Nachdem mit Kramp-Karrenbauer und Laschet zwei Favoriten der Funktionäre gescheitert sind, ist der Ruf nach einer stärkeren Mitgliederbeteiligung an der Laschet-Nachfolge unüberhörbar.
Aus diesem Grund vereinbarten Präsidium und Bundesvorstand am Montag, die Kreisvorsitzenden einzubeziehen, um mit ihnen die Frage der Mitgliederbeteiligung am weiteren Personalfindungsprozess zu klären. Sollten die Mitglieder tatsächlich befragt werden, wer neuer Bundesvorsitzender werden soll, würde das - wegen der notwendigen Vorstellungsrunden vor Ort - den angestrebten Parteitag um den Jahreswechsel herum gefährden. Bis dahin ist nicht nur der Vorsitzende Laschet eine "lame duck": Der gesamte Bundesvorstand soll nach nicht einmal einem Jahr neu gewählt werden. Die CDU geht in die kommenden, schwierigen Wochen mit einer Führung auf Abruf. Nicht auszudenken, wenn FDP und Grüne doch nochmal wegen der "Jamaika"-Option anklopfen sollten.
Angst vor neuer Zerreißprobe
Generalsekretär Paul Ziemiak zufolge haben in den Gremien mehrere Redner für eine Teamlösung plädiert, wie sie auch Lascht favorisiert. Alle sollen sich also auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigen. Das hatte bereits Kramp-Karrenbauer vergeblich versucht. Vielleicht klappt es jetzt, denn groß ist die Angst, dass der CDU bei mehreren Bewerbern auf den Vorsitz eine weitere Zerreißprobe winkt. Schließlich brachten schon die CDU-Vorsitzentscheide eins und zwei einen frustrierten Verlierer (Friedrich Merz) hervor sowie Sieger, die von Teilen der Partei abgelehnt wurden (AKK und Laschet). Dieses Szenario könnte sich wiederholen, schließlich sind die gehandelten Bewerber auf den Parteivorsitz die Unterlegenen der vergangenen Anläufe: Röttgen, Merz und Jens Spahn, wobei Merz schon angekündigt hat, sich nicht noch einmal einer Kampfabstimmung auf einem Parteitag auszuliefern.
Der an der Basis so populäre Wirtschaftspolitiker könnte bei einem Mitgliederentscheid - egal, ob bindend oder nicht - eher versucht sein, es noch einmal zu wagen. Doch auch Merz weiß: Ein bald 66-Jähriger widerspricht der Idee eines Generationenwechsels, den unter anderem AKK, Peter Altmaier und auch Merz' langjähriger Fürsprecher Christian von Stetten am Wochenende gefordert haben. Merz wäre auch kein "neuer unverbrauchter Kopf", wie ihn die jungen CDU-Vertreter in ihrem Gastbeitrag einfordern. Der im Merz-Lager ungeliebte Röttgen ist inzwischen ebenfalls eher Veteran als Erneuerer, der Stern von Laschet-Unterstützer Jens Spahn war zuletzt gesunken.
Welcher Junge will sich verbrennen?
Der Ruf nach Carsten Linnemann ist dagegen immer lauter zu vernehmen, doch die innerparteilichen Gegner eines zu wirtschaftsliberalen Kurses könnten eine Kandidatur von Linnemann, der Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung ist, als Vorentscheidung zur künftigen inhaltlichen Ausrichtung werten. Linnemann, der als Hoffnungsträger der Partei gilt, würde angesichts der Aufgabenfülle des kommenden Vorsitzenden wiederum enorm ins Risiko gehen.
Das gleiche gilt für die anderen aussichtsreichen Jungen, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther und Saarlands Regierungschef Tobias Hans: Die beiden müssen sich auf ihre Landtagswahlen im kommenden Jahr konzentrieren. Parallel zu einer Spitzenkandidatur eine kriselnde Bundespartei wieder aufzurichten, daran hat sich Laschet für alle sichtbar verhoben. Der nächste CDU-Vorsitzende ist Chef einer Partei, die im Bund eine denkbar traurige Perspektive hat: Die Union sitzt voraussichtlich vier lange Jahre zusammen mit AfD und Linken auf der Oppositionsbank, während die drei ihr näherstehenden Parteien ohne sie regieren. Und egal wie gut die geplante Neuaufstellung klappt: Es gibt für die Union keine Garantie, dass sie in vier Jahren zurück zur Macht findet.
Wer geht, wer kommt?
Linnemann und Merz könnten zumindest Kandidaten für das Präsidium sein. Günther und Hans gehören ihm als Ministerpräsidenten bereits an. Der Sitz von Julia Klöckner wird im Winter in jedem Fall frei. Auch die Zukunft von Paul Ziemiak als Generalsekretär dürfte zur Debatte gestellt werden, nachdem die Bundestagswahl so enttäuschend verlaufen ist. Ob die Schuld für die schwache Kampagne des Kanzlerkandidaten Laschet tatsächlich im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin oder doch eher in der Staatskanzlei in Düsseldorf zu suchen ist, ist Teil des am Montag angekündigten Aufarbeitungsprozesses.
Potenziell auf dem Sprung sind Wolfgang Schäuble und Volker Bouffier. Der älteste CDU-Ministerpräsident Bouffier und der scheidende Bundestagspräsident Schäuble hatten den Kanzlerkandidaten Laschet gegen den von der der Basis favorisierten CSU-Chef Markus Söder durchgesetzt. Der allseits angemahnte Generationenwechsel dürfte daher nicht zuletzt auf diese beiden Herren zielen.
Personen ersetzen Inhalte nicht
Die absehbar tiefgreifenden personellen Veränderungen können die inhaltliche Debatte aber nicht ersetzen: Zahlreiche Spitzenvertreter der Partei haben inzwischen eingeräumt, dass die Union zur Bundestagswahl inhaltlich blank war. Die von Ziemiak angekündigten Aufarbeitungsrunden mit Kandidaten, die ihre Wahlkreise verloren beziehungsweise gewonnen haben, sowie das Hinzuziehen externer Berater dürften zum gleichen Ergebnis führen.
Während die Grünen mit dem Klimawandel, die SPD mit der Sozialstaatsfrage und die FDP mit der Entlastung der Wirtschaft und mehr Digitalisierung jeweils eigene Schwerpunkte gesetzt haben, wollte die Union von allem ein bisschen, aber nichts so richtig. Oder wie es in dem Gastbeitrag der jungen Christdemokraten heißt: Die Union habe "in inhaltlichen Debatten zu oft einfach nur Nein gesagt, ohne eigene Alternativkonzepte vorzulegen".
Keine Antwort auf Merkel-Abgang
Die inhaltliche Neujustierung birgt aber mindestens genauso viel Sprengkraft wie die nun eilig zu lösende Vorsitzenden-Debatte: Weite Teile der Parteibasis waren mit dem Mitte-Kurs ihrer Langzeitvorsitzenden und Dauer-Kanzlerin Merkel nicht einverstanden. Sie haben mit Friedrich Merz eine Rückkehr zu konservativerer Gesellschaftspolitik und mehr Marktliberalität verknüpft. Auch andere Lieblinge der Merkel-Gegner zeichnen sich durch dieses Versprechen aus. Das Röttgen-Lager dagegen verweist auf die Wanderung der Merkel-Wähler hin zu SPD und Grünen, die eher nicht mit einer auf ihren Markenkern polierten Union zurückzuholen seien. Auch Söder hatte der Union zur Wahl einen grüneren Anstrich verpassen wollen.
In drei Wochen jährt sich die Ankündigung Merkels, nicht wieder für den Parteivorsitz zu kandidieren, zum dritten Mal. Die CDU-Chefin hatte mit diesem Schritt nicht nur auf schwache Landtagswahlergebnisse in Bayern und Hessen reagiert, sondern auch auf anhaltende innerparteiliche Kritik an ihrem Kurs in flüchtlings- und europapolitischen Fragen. Seither hat die CDU keine Antwort auf die Frage gefunden, wie sie es denn anders machen will als Merkel. Viele derer, die sich darauf vorbereitet hatten, die Ära nach Merkel zu gestalten, verlassen nun zusammen mit der Kanzlerin die politische Bühne: Der Bundesparteitag könnte grob mit der Wahl von Bundeskanzler Olaf Scholz zusammenfallen. Wer sich dann in der CDU an der Merkel-Nachfolge versuchen wird, ist Stand heute völlig offen.
Quelle: ntv.de