Spitzenrunde zur Thüringen-Wahl Höcke stolpert, Ramelow in der Defensive
16.08.2024, 08:03 Uhr Artikel anhören
Die Thüringer Spitzenkandidaten von links nach rechts: Mario Voigt (CDU), Björn Höcke (AfD), Bernhard Stengele (Grüne), Georg Maier (SPD), Thomas Kemmerich (FDP), Katja Wolf (BSW), Bodo Ramelow (Linke).
(Foto: picture alliance/dpa)
Gut zwei Wochen vor den Landtagswahlen in Thüringen treffen sich am Donnerstagabend die Spitzenkandidaten im MDR-Fernsehen. Besonders deutlich werden die Unterschiede zwischen der AfD und den anderen Parteien.
Es ist die erste von zwei Wahlarenen, mit denen der MDR über die Landtags-Wahlen in Thüringen und Sachsen informiert. In beiden Bundesländern können die Bürger am 1. September über einen neuen Landtag entscheiden. Am Donnerstagabend sind die Spitzenkandidaten der im Thüringer Landtag vertretenen Parteien zu Gast - und Katja Wolf vom BSW, dem in Thüringen ein zweistelliges Ergebnis winkt. Die Wahlen werden mit großer Spannung erwartet. Drei Wochen später wählt auch Brandenburg einen neuen Landtag. In allen drei Ländern könnte die AfD erstmals stärkste Partei werden. Unklar ist, wie die neue Partei der Ex-Linken Sahra Wagenknecht die politischen Gewichte verschieben wird.
In der Wahlarena am Donnerstagabend distanziert sich deren Thüringer Spitzenkandidatin, Katja Wolf, zwar von der AfD. In einzelnen Punkten kann sie sich jedoch vorstellen, mit den Rechtsextremen zu stimmen. "Ich habe keine Angst davor, dass die AfD wahnsinnig viele vernünftige Gesetzesvorschläge einbringt. Aber wenn es so sein wird, dann wird man darüber diskutieren. Und dann ist es die Macht des Arguments im politischen Raum", sagt Katja Wolf. Die durch Scheuklappen geprägte Art und Weise, miteinander umzugehen, sei nicht mehr zeitgemäß, fügt die Politikerin hinzu. Man werde sich mit der AfD inhaltlich auseinandersetzen müssen. Alle Parteien lehnen eine Koalition mit der AfD ab.
Wolf ist die disziplinierteste der Spitzenkandidaten. Und sie gehört zu einer Minderheit in der Elefantenrunde: Sie ist in Thüringen geboren, genau wie CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt. Alle anderen Spitzenkandidaten stammen aus Westdeutschland. Doch die einzige Frau in der Kandidatenrunde scheint ein Problem zu haben: Ihre Partei hat wenig landespolitische Visionen. Mit ihren Ideen für Thüringen unterscheidet sie sich kaum von der SPD und den Linken: Förderung von Willkommenskultur, Abschiebung von straffällig gewordenen Migranten, mehr Investitionen in die Wirtschaft, Bürokratieabbau und eine bessere Bildungspolitik. Mit den anderen demokratischen Kandidaten kann sie gut, nur für Thomas Kemmerich von der FDP ist sie ein rotes Tuch. Der sieht nur einen "Fels in der Brandung": sich. Kemmerich warnt vor einer rot-rot-rot-grünen Regierung in Thüringen.
BSW und Grüne wollen mehr Bürgerbeteiligung
Bei zwei Themen wird Wolf ein wenig emotional: Als es um die Autoindustrie in ihrem Bundesland geht, die sie unterstützen will, und als der Krieg in der Ukraine angesprochen wird. Den will sie so schnell wie möglich beenden. Und sie spricht sich für mehr Teilhabe der Bürger aus. So sollen die Menschen in Thüringen bei wichtigen Projekten im Bereich der Wirtschaft hundert Tage lang widersprechen können. Wolf: "Bei Themen, die Menschen beschäftigen und mobilisieren, ist das ein Punkt, der Teilhabe ermöglicht."
Mehr Teilhabe der Bürger kann sich auch Bernhard Stengele vorstellen. Der Spitzenkandidat der Grünen ist aktuell Umweltminister von Thüringen. Er lobt natürlich die Leistungen der Minderheitsregierung aus Linken, SPD und Grünen. Aber er übt auch ein wenig Selbstkritik. In der Flüchtlingspolitik sei nicht alles richtig gelaufen, bei der Digitalisierung auch nicht. Aber die Idee mit der Mitbestimmung der Bevölkerung, die gefällt ihm. Nur müssten die Thüringer früher in die Diskussionen eingebunden werden, am besten, bevor eine Entscheidung über ein wichtiges Industrieprojekt getroffen worden sei.
Ziel: Asylverfahren beschleunigen
FDP-Mann Kemmerich ist umstritten, seit er sich im Februar 2020 mit den Stimmen von AfD und CDU zum Ministerpräsidenten in Thüringen wählen ließ. Laut den letzten Umfragen dürfte die FDP den Einzug in den Thüringer Landtag verpassen. Trotzdem könnte eine ihrer Kernforderungen umgesetzt werden: eine zentrale Ausländerbehörde unter dem Dach des Innenministeriums. Kemmerich: "Wir können so schneller feststellen, wer hier ist, auch mit biometrischen Daten, damit es keine Doppelregistrierung gibt. Wir können schneller Asylverfahren bearbeiten - in Thüringen dauert das 19 Monate, vier Monate sollte das Ziel sein."
Außerdem soll die neue Behörde dafür sorgen, dass Asylsuchende schneller in Arbeit kommen. Zudem sollte die neue Behörde auch mögliche Abschiebungen regeln. Auch CDU-Spitzenkandidat Voigt kann diesem Vorschlag etwas abgewinnen.
Wenn es nach Kemmerich geht, soll es nicht nur bei den Asylverfahren schneller gehen. Er fordert einen deutlichen Bürokratieabbau. "Wir müssen einfach streichen", sagt er. Bei der Digitalisierung von Behörden sei Thüringen sehr weit zurück. Viele Anträge müssten noch auf Papier ausgedruckt, von Hand ausgefüllt und danach weggefaxt werden. Zudem fordert er günstige Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Thüringen sei ein Mittelstandsland, sagt Kemmerich. Thüringen müsse auf neue Technologien setzen, verlangt er. Das Aus des Verbrenner-Motors lehnt er ab. Überhaupt sei er, Kemmerich, für "Technologieoffenheit".
Katja Wolf gibt dem FDP-Politiker teilweise recht. "Es fehlt Innovationskraft in der Region", sagt sie - und fordert gemeinsam mit Kemmerich eine bessere Verknüpfung von Industrie und Wissenschaft.
Ministerpräsident im Verteidigungsmodus
Bodo Ramelow ist an diesem Abend nur einer unter vielen. Der Thüringer Ministerpräsident lenkt das Land seit nunmehr zehn Jahren. Ihm droht ein herber Stimmenverlust. Das liegt nicht nur an seiner Politik, sondern auch an dem schlechten Ruf der Linken. Dass Ramelow Ministerpräsident bleibt, ist so gut wie ausgeschlossen. Mit Zukunftsvisionen geizt er denn auch. Ramelow will, dass Thüringen weltoffen bleibt. Er habe dafür gesorgt, dass neue Fachkräfte aus Vietnam ins Land gekommen seien, betont er. Neue Lehrer seien eingestellt und verbeamtet worden, aber noch nicht genug. Die Migrationspolitik sei auch nicht immer perfekt gelaufen, aber dafür sei die Wirtschaft Thüringens im Aufwind. Sie werde von den Chipfabriken in Sachsen und Sachsen-Anhalt profitieren. Eines will er in den nächsten Jahren nicht: eine Minderheitsregierung wie in den letzten Jahren.
Das wollen auch Björn Höcke von der AfD und Mario Voigt von der CDU nicht. Das ist aber auch schon das Einzige, was die beiden Politiker gemeinsam haben. Voigt attackiert den AfD-Spitzenkandidaten, wo er kann. Und Höcke wirkt gegen seinen angriffslustigen Kontrahenten oft hilflos. Es fällt ihm schwer, Fragen sachlich zu beantworten. Gegen Kritik vermag er sich kaum zu wehren. So wird er gefragt, warum in dem von der AfD regierten Landkreis Sonneberg erst acht Geflüchtete eine Arbeit hätten, im von der CDU regierten Saale-Orla-Kreis jedoch schon hundert.
Es dauert einige Minuten und mehrere Aufforderungen der Moderatoren, bis Höcke endlich antwortet. Er spricht von Symptompolitik; sagt, es käme nicht darauf an, ob zehn oder zwanzig Flüchtlinge arbeiteten. Sein Ziel: Thüringen müsse für Flüchtlinge so unattraktiv wie möglich werden: "Eine Multikulturalisierung muss beendet werden. Sie nützt uns nichts, sie schadet uns nur. Ende der Durchsage."
Höcke will auch Außenpolitik machen
"Wir halten fest: Wo die AfD viel fordert, sind andere konsequenter", antwortet Voigt. Er will geflüchtete Menschen in Arbeit bringen und die Einführung der Bezahlkarte schnellstmöglich umsetzen. Auch er verlangt mehr Investitionen in Bildung und Sicherheit. Seine eine Idee zum Bürokratieabbau: Wenn Bürger einen Antrag einreichen, der nach zwei Monaten nicht bearbeitet ist, gilt er als bewilligt. Allerdings nur dort, wo dies möglich ist, also wo kein Bundes- oder EU-Gesetz dagegenspricht. Thüringen brauche einen politischen Wechsel, sagt Voigt. Nur so könne der Stillstand, in dem sich das Land befinde, aufgehoben werden. Mit Björn Höckes AfD aber sei das unmöglich.
Der AfD-Landeschef präsentiert die weitreichendsten Vorschläge: Zunächst will er geflüchtete Menschen in ihre Heimatländer abschieben. Dazu will er eigene Gespräche, zum Beispiel mit den Staatschefs von Syrien und Afghanistan führen. Dass Außenpolitik keine Ländersache ist, interessiert ihn nicht. Ferner kündigt Höcke an, die Bundesregierung verklagen zu wollen, weil angeblich alle geflüchteten Menschen seit 2015 illegal in Deutschland lebten. Schließlich will Höcke Familien deutlich mehr fördern, damit sich die Thüringer schneller vermehren und so den Fachkräftemangel beenden. Und im Bildungsbereich sollten Lehrer sich nur noch um ihren Unterricht kümmern, aber keine Kinder mit Migrationshintergrund oder einer Behinderung unterrichten.
Die Sendung ist fast zu Ende, da äußert SPD-Spitzenkandidat Georg Maier einen Vorschlag für die Zeit nach der Landtagswahl, dem sich alle Demokraten etwas klarer hätten anschließen können: "Lasst uns das, was geht, zusammen ausloten, mit den Demokraten, nicht mit denen, die uns spalten wollen, sondern die, die hier sind und zusammen wirken wollen, für unser Land, für die Menschen. Das ist unser Auftrag."
Quelle: ntv.de