SPD-Kandidat für NRW zur Wahl "In der vorletzten Umfrage hatte Rot-Grün eine Mehrheit"
06.05.2022, 15:27 Uhr
Thomas Kutschaty will Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen werden - und Hendrik Wüst von der CDU will es bleiben. Am 15. Mai fällt die Entscheidung in NRW.
(Foto: Roberto Pfeil/dpa)
Am 15. Mai wählt Nordrhein-Westfalen einen neuen Landtag. Ministerpräsident Wüst von der CDU muss um sein Amt bangen. Sein SPD-Herausforderer Thomas Kutschaty liegt in Umfragen gleichauf. Im Interview mit ntv.de sagt er, wie er den Wahlsieg schaffen will.
ntv.de: Sie wollen Ministerpräsident Hendrik Wüst von der CDU aus dem Amt treiben. Spüren Sie denn eine Wechselstimmung im Land?
Thomas Kutschaty: Ich merke, dass die Leute sehr aufgeschlossen sind. Sie kommen zu uns und wechseln nicht die Straßenseite, wenn sie einen SPD-Stand sehen. Das war in früheren Jahren anders. Die Stimmung ist gut, das merken auch unsere Kandidatinnen und Kandidaten in den Wahlkreisen. Deswegen bin ich sehr optimistisch, dass wir auch noch an der CDU vorbeiziehen und auf Platz eins landen.
Im Wahlkampf musste CDU-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser zurücktreten, weil sie kurz nach der Flutkatastrophe im vergangenen Sommer zu einer Familienfeier nach Mallorca geflogen war. Wie sehr haben Sie sich über dieses "Mallorca-Gate" gefreut?
Überhaupt nicht, weil so etwas immer auch einen Schatten auf die gesamte Politik wirft. Wenn politisch Verantwortliche lieber auf einer Insel Geburtstag feiern, als der Bevölkerung in einer schwierigen Lage zu helfen, kann das leider dazu beitragen, dass die Diskussionen über "die da oben" wieder aufkommen. Das finde ich nicht gut.
Aber profitiert haben Sie davon.
Ach, je nach Umfrageinstitut ist man bei diesen Diskussionen darum mal der Hund und mal der Baum. Am Ende werden die Menschen sich nach den Themen entscheiden, die für fünf Jahre entscheidend sind. Und von wem sie auch in Krisen erwarten, sich nicht wegzuducken.
Der Krieg in der Ukraine bestimmt die Schlagzeilen auch in NRW. Hendrik Wüst hat Sie auch attackiert, Stellung zum Thema Waffen zu beziehen. Sind Sie eher Team Michael Roth, der für die Lieferung schwerer Waffen ist oder eher Team Rolf Mützenich, der skeptischer ist?
Wir sind alle im Team Olaf Scholz. Natürlich ist es keine leichte Entscheidung, Waffen in Krisengebiete zu liefern. Wir haben das jahrelang aus guten Gründen nicht gemacht. Als Bundesrepublik Deutschland und Europa stehen wir heute vor einer anderen Situation. Der russische Angriffskrieg muss und wird scheitern.
Ist es ausreichend, jetzt schwere Waffen wie den "Gepard" zu liefern und weitere Waffen per Ringtausch?
Das ist der Weg, den wir jetzt gehen müssen. Unser Ziel muss es sein, dass wir jetzt schnell einen Waffenstillstand hinbekommen, damit nicht mehr Menschen sterben. Dafür muss man zwei Wege gehen: Das eine sind die Sanktionen. Auf der anderen Seite muss man den Ukrainern und Ukrainerinnen die Hilfe geben, die sie beim Verteidigen brauchen. Deutschland hat schon Waffen zur Verteidigung geliefert und das muss man weiter aufrechterhalten. Putin bezahlt für diesen Krieg.
Eine konkrete Folge ist, dass Flüchtlinge nach Deutschland und auch nach NRW kommen. Worauf müssen sich die Menschen da noch einstellen?
Das richtet sich auch danach, wie der Krieg sich ausweitet. Wichtig ist, dass wir gut vorbereitet sind. Denn es ist natürlich eine große Aufgabe für unsere Kommunen, Geflüchtete aus Kriegsgebieten zu integrieren. Da ist auch das Land gefordert. Wir müssen jetzt schauen, wie kriegen wir die Kinder betreut, wie bekommen wir sie in die Schulen?
Wie sehr gehen Ihnen da Gerhard Schröder und Manuela Schwesig auf die Nerven?
Ach, zu Gerhard Schröder ist schon so viel gesagt worden. Er muss sich entscheiden, ob er Sozialdemokrat sein will oder Geschäftsmann an der Seite Putins. Er hat sich offensichtlich entschieden, Geschäftsmann zu sein. Damit hat er sich für Putin entschieden, nicht für die Sozialdemokratie.
Schadet Ihnen das im Wahlkampf?
Nein, da sprechen mich die Leute nicht drauf an. Sie kennen da meine klare Haltung.
Im Wahlkampf wird viel über die Ukraine gesprochen. Kommen die Landesthemen da unter die Räder?
Nein. Natürlich beschäftigt der Ukraine-Konflikt die Menschen, das ist im Anbetracht der Situation menschlich. Aber die Leute können sehr fein unterscheiden und wissen, dass das jetzt eine Landtagswahl ist. Und dabei geht es um Bildung, Wohnen, Arbeit und Gesundheit.
Reden wir über die Themen. Beim Thema Schule sagt die Landesregierung, sie habe 10.000 Stellen geschaffen und die Mittel für Bildung im Haushalt steigen. Ist das nicht eine gute Richtung?
Ja, aber von den Stellen sind 8000 unbesetzt. Eine Personalstelle unterrichtet Schülerinnen und Schüler nicht, nur eine Lehrerin oder ein Lehrer. NRW kommt im Bildungsbereich nicht weiter. Bei den Bildungsausgaben pro Schülerin oder Schüler liegt NRW auf dem letzten Platz und ist Schlusslicht.
Sie wollen für Grundschullehrer die gleiche Gehaltsstufe, A13, die Gymnasiallehrer bekommen. Wie bekommt man das hin? Wüst wollte das auch, hat es aber nicht geschafft.
Weil er nicht den Elan hat, dafür die nötigen Mittel in die Hand zu nehmen. Wir haben gerade an den Grundschulen einen massiven Lehrkräftemangel. Wenn man den Beruf attraktiver machen möchte, dann muss man auch das Gehalt erhöhen. Denn die Ausbildung ist bei allen Lehrkräften mittlerweile gleich lang. Deswegen gibt es überhaupt keinen Grund mehr zu sagen, die müssten weniger verdienen. Ich glaube nicht, dass es leichter ist, Sechsjährigen Lesen und Schreiben beizubringen als 17-Jährigen Politik und Geschichte.
Hätten Sie Innenminister Herbert Reul gern in Ihren Reihen? Die Kriminalität ist so niedrig wie seit 40 Jahren nicht und mit seiner Politik der Nadelstiche und Razzien verfolgt er das organisierte Verbrechen und die Clan-Kriminalität.
Sicherheitspolitik ist immer eine Frage der Kontinuität. Insofern ist es gut, dass Herbert Reul unsere Programme der rot-grünen Landesregierung zur Bekämpfung der Einbruchskriminalität, gegen Rechtsextremismus und Salafismus fortsetzt. Genauso werde ich als Ministerpräsident auch dafür sorgen, dass wir den Kampf gegen organisierte Kriminalität fortsetzen - dann aber auch gegen die Bosse und nicht nur gegen die Boten.
Bei den erneuerbaren Energien sagen Sie, NRW falle zurück, aber Ministerpräsident Wüst sagt, NRW sei wieder in der Spitzengruppe.
Ja, wenn man sich nur mit Bayern und Baden-Württemberg vergleicht, dann ist das auch kein Wunder. Aber wenn er sich rühmt, im ersten Quartal 26 Windkraftanlagen gebaut zu haben, dann ist das viel zu wenig. Wir müssen jährlich mindestens 200 Windkraftanlagen mit fünf Megawatt bauen, um unsere Klimaschutzziele erreichen zu können. Allein 2017 wurden unter Rot-Grün mehr Windräder in NRW gebaut als in den drei Jahren danach.
Aber wie sieht das Land dann aus? Heißt das, man sieht überall Windräder, sobald man eine Stadt verlässt?
Nein. Wir brauchen 200 neue Windkraftanlagen jedes Jahr, aber das heißt nicht, dass sie in Vorgärten oder auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen. Aber wir haben Schwierigkeiten, die Flächen zu finden. Die sind eingeschränkt durch die sture Abstandsregel, dass die Windräder 1000 Meter von Wohnbebauung entfernt stehen müssen. Wir müssen da flexibler werden. Es gibt bundesrechtliche Vorgaben, nach denen der Abstand dreimal so groß wie die Höhe des Windrades sein muss. Bei einem 200 Meter hohen Windrad wären das 600 Meter Abstand.
Und schafft man damit die 200 Windräder pro Jahr?
Ja. Vor allem aber auch mit lokalem Engagement. Es ist auch eine Frage der Akzeptanz, ob die Gewinne aus einer Windkraftanlage an ein Aktienunternehmen in meiner Heimatstadt Essen fließen...
... Sie meinen RWE, ...
... oder die Bürgerinnen und Bürger vor Ort davon profitieren. Deswegen ist das auch eine große Chance für kommunale Stadtwerke oder Genossenschaften, zu sagen: Wir machen unseren Strom jetzt selbst. Wenn ich sehe, das Geld bleibt bei mir und ich kann meinen Ort autark mit Strom versorgen, dann steigt die Akzeptanz.
Sie machen Druck bei den Erneuerbaren, stellen aber trotzdem Bedingungen für den Kohleausstieg 2030. Wie passt das zusammen?
Ich möchte mal den Politiker sehen, der die Braunkohlekraftwerke schließt und gleichzeitig die Medikamentenproduktion bei Bayer in Leverkusen eingestellt wird, weil keine Energie da ist. Wenn es andersherum 2029 klappt, bin ich auch dabei. Mich interessiert der genaue Weg dorthin.
Aber so hält man sich eine Hintertür offen.
Nein. Wir reden immer nur über Ausstieg. Wir müssen endlich mal über Einstieg reden. In erneuerbare Energien.
Wir sind doch längst eingestiegen.
Aber mit welchem Schneckentempo denn hier in Nordrhein-Westfalen? 2030 ist auch mein Ziel. Ich habe ja den Koalitionsvertrag in Berlin mitverhandelt. Ich glaube aber, wir müssen "idealerweise" neu definieren. Wir sind ja immer davon ausgegangen, wir machen Windkraft und Photovoltaik und wenn das nicht reicht, nehmen wir Gas als Reserve und als Brückentechnologie. Die Ausgangslage hat sich mit Putins brutalen Angriffskrieg verändert. Die Folge ist für mich aber nicht, auf den Braunkohleausstieg zu verzichten oder die Atom-Meiler länger laufen zu lassen. Wir müssen jetzt noch mehr Windkraft aufbauen, um Überschüsse zu haben, um daraus noch grünen Wasserstoff machen zu können. Wir brauchen ja nicht nur Strom, sondern auch Wärme für Heizungen und in der Industrie auch für Hochöfen.
Sie werden wahrscheinlich eine Dreierkoalition bilden müssen. Was Sie gerade ausgeführt haben, kommt sicher bei den Grünen gut an. Was macht Sie optimistisch, die FDP an Bord holen zu können?
Was macht Sie denn so pessimistisch?
Umfragen.
In der vorletzten Umfrage hatte Rot-Grün eine Mehrheit.
In der letzten hatte Schwarz-Grün die Mehrheit.
Das liegt alles eng beieinander, da können wir uns drauf verständigen. Rot-Grün oder die Ampel sind absolut möglich. Ich habe mit den Kolleginnen und Kollegen der FDP den Bundeskoalitionsvertrag in der Arbeitsgruppe "Moderner Staat / Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung" gearbeitet. Da waren wir uns mit der FDP sehr schnell einig und haben gut und vertrauensvoll miteinander gearbeitet.
Aber Rot-Grün ist Ihnen lieber? Schreckt Sie die Bundes-Ampel ab?
Nein, im Gegenteil. Die finde ich gut.
In den vergangenen Monaten wirkte es so, dass immer einer dagegen ist. Die FDP bei der Impfpflicht. Die SPD bei der Lieferung schwerer Waffen.
Die SPD ist ja nicht gegen die Waffenlieferungen. Es gibt ja unter den demokratischen Parteien einen deutlichen Bundestagsbeschluss zu den Waffenlieferungen, insofern stimmt das nicht. Bei der Impfpflicht gebe ich Ihnen Recht, da hat die FDP mehr gebremst, als es nötig war. Da rede ich auch nicht drumherum.
Als Essener SPD-Mann aus einer Eisenbahnfamilie sind Sie mit Leib und Seele Ruhrgebietler. In NRW gibt es aber noch Ostwestfalen, das Münsterland und andere ländliche Räume. Was ist, wenn die Menschen dort sagen: Der Kutschaty macht doch nur Politik fürs Ruhrgebiet?
Dann stimmt das nicht. Ich war neulich drei Tage am Stück in Ostwestfalen-Lippe unterwegs und habe mich dort sehr intensiv mit dem öffentlichen Nahverkehr im ländlichen Raum beschäftigt. Wenn wir über Krankenhausschließungen reden, ist das überwiegend ein Thema des ländlichen Raums. Ich werde dafür sorgen, dass kein Krankenhaus mehr geschlossen wird. Das sind genau die Themen für den ländlichen Raum und für die engagiere ich mich.
Wir treffen uns in Wuppertal, der Heimatstadt des einstigen Ministerpräsidenten Johannes Rau. Sein Motto war "Versöhnen statt Spalten". Geht das heute überhaupt noch?
Ja, und wir müssen heute noch mehr versöhnen als früher. Zum Beispiel im Kinder- und Jugendbereich. Früher gab es da mehr Gemeinsamkeit, da kamen Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten zusammen, das war ja auch das Versöhnen. Heute ist das wieder viel, viel mehr gespalten. Das besorgt mich und das dürfen wir nicht weiter zulassen. Ich möchte, dass wieder die Hoffnungen von mehr Menschen Wirklichkeit werden.
Mit Thomas Kutschaty sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de