
Sie ist das Programm: SPD-Ministerpräsidentin Manuela Schwesig.
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Ihr Vorsprung ist komfortabel: Eine aktuelle Umfrage sieht die SPD von Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern mit 40 Prozent klar vorn. Die Ministerpräsidentin profitiert nicht nur von der Schwäche ihrer Gegner. Sie überlässt nichts dem Zufall.
Manuela Schwesig geht lächelnd durch ein Getreidefeld. Manuela Schwesig streift durch einen Wald. Manuela Schwesig tätschelt einen Baum. Manuela Schwesig blickt auf das Meer. Manuela Schwesig baut einen Turm aus Steinen. Manuela Schwesig ist die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern - und sie will es auch bleiben.
Im beschriebenen Werbespot der SPD für die Landtagswahl am 26. September, ist nur Schwesig zu sehen. Und auch an den Straßen im Nordosten, an den Laternenpfählen, ist es vor allem ihr Gesicht und ihr Name, mit denen sich die Sozialdemokraten schmücken. In ihrem Magazin "MANU", das an Haushalte im Land verschickt wird, sagt Schlagersänger Roland Kaiser: "Manuela, du schaffst es, Menschen zu begeistern."
Die Regierungschefin als Fixstern im Wahlkampf. Diese Strategie kommt nicht von ungefähr. Mit fast atemberaubenden 40 Prozent liegt die SPD in einer aktuellen Umfrage für den "Nordkurier" vorn. Die zweitplatzierte AfD verbucht 18, die CDU mickrige 12 Prozent. Könnten die Bürgerinnen und Bürger ihre Regierungschefin direkt wählen, gäben einer anderen Umfrage zufolge 65 Prozent Schwesig ihre Stimme. Ein herausragender Wert.
"Schwesig konnte sich als Krisenmanagerin profilieren"
Es gibt viele Themen, die die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern umtreiben. Der Mangel an Lehrkräften und Erzieherinnen und Erziehern, der in den nächsten Jahren dramatisch zu werden droht. Die schlechte Internetversorgung, Funklöcher, fehlende Zug- und Busverbindungen. Hohe Strompreise, obwohl das Land etliche Windräder zieren. Und nicht zuletzt die Corona-Krise, die die Tourismusbranche hart traf und der Schwesigs Regierung mit vergleichsweise rigorosen Maßnahmen begegnete.
Doch all die Entbehrungen und Unzulänglichkeiten, die auch eine SPD, die nunmehr seit 1994 ununterbrochen in der Regierung sitzt, zu verantworten hat, können Schwesig nicht schaden. Im Gegenteil: Sie ist so beliebt wie nie zuvor. Woran liegt das?
Anruf bei Wolfgang Muno, Politikwissenschaftler an der Universität Rostock. "In der Pandemie konnte sich Frau Schwesig als Krisenmanagerin profilieren", sagt er. In einer Zeit, in der Personalisierung im Politbetrieb zunehme, habe sie sich als Landesfürstin präsentiert. Sie habe vielleicht auch dadurch gepunktet, dass sie ihre Krebserkrankung 2019 offenlegte und die Öffentlichkeit an ihrer Genesung teilhaben ließ.
CDU legt sich selbst Steine in den Weg
Im Gegensatz zur SPD ist die CDU, die in den 90er Jahren noch den Ministerpräsidenten stellte, im Nordosten dabei, den Status einer Volkspartei zu verlieren, sagt Muno. Spitzenkandidat Michael Sack, seines Zeichens Landrat in Vorpommern-Greifswald, erlebte in den vergangenen Wochen einen eher unglücklichen Wahlkampf. Er konnte die Christdemokraten nicht aus dem Umfragetief hieven, verpasste eine Stippvisite von Parteichef Armin Laschet und war nicht bei der Enthüllung der CDU-Wahlplakate dabei. Ihn würden laut Infratest dimap lediglich elf Prozent direkt zum Ministerpräsidenten wählen.
"Michael Sack muss das ausbaden, was die CDU seit längerem an Problemen mit sich trägt", analysiert Professor Muno. Tatsächlich ist die Partei in einem desolaten Zustand: Seitdem der damalige Landesvorsitzende und Hoffnungsträger Vincent Kokert im Frühjahr 2020 völlig überraschend hingeschmissen hat, habe die CDU ein Führungsproblem, so Muno. Der eigentliche Wunschkandidat, der Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor, diskreditierte sich durch eine Lobbyismus-Affäre selbst. Dass die Partei schon seit einigen Monaten keinen Landesgeschäftsführer hat, der den Wahlkampf koordinierte, ist in dieser Phase zudem fatal. Hinzu kommt eine dünne Personaldecke. Nur einige Tausend Menschen sind in MV überhaupt Mitglied einer Partei.
Doch unabhängig davon spielte Schwesig noch ein anderer, genereller Umstand in die Hände: In den vergangenen Jahren wurde die dauerhafte Bindung der Wählerschaft an eine Partei schwächer. Wechselwähler tendierten dagegen stark zur jeweiligen Amtsinhaberin, fasst Muno den Forschungsstand zusammen. Für Schwesig, die mitten in der Legislaturperiode das Amt von Erwin Sellering übernahm und sich nun erstmals zur Wahl stellt, ist das natürlich ein Vorteil.
Die 47-Jährige verkörpere nun das, was lange Zeit Angela Merkel auf Bundesebene repräsentierte, meint Muno: Kontinuität und das Versprechen auf positive Weiterentwicklungen. "Auf den Wahlplakaten der SPD stehen so gut wie keine Themen, mit denen die Partei punkten will. Im Grunde genommen ist das einzige thematische Wahlversprechen: Wir wollen eine verlässliche Regierung bilden."
Ein Schreckgespenst ohne Wirkung
Für die CDU muss angesichts der desaströsen Ausgangslage schon mal die neue alte Geheimwaffe Friedrich Merz herhalten. Am 2. September hält Merz eine engagierte Rede vor einigen Dutzend Anhängern in Greifswald. Auf der Bühne stehen neben ihm unter anderem Philipp Amthor und auch Michael Sack. Sie lächeln, feixen zeitweise sogar. Merz erweckt alte (westliche) Feindbilder zum Leben. Das Schreckgespenst von Rot-Rot-Grün geht um. Das Team um den SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz - allen voran Saskia Esken und Kevin Kühnert - sowie Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock werden zur Zielscheibe des Spotts.

Michael Sack (rechts) bekam im Wahlkampf Unterstützung von Philipp Amthor und Friedrich Merz.
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Genüsslich pausiert Merz nach der nächsten Spitze und fühlt sich permanent bemüßigt, Protestierende, die am Zaun um die Bühne stehen und dazwischenrufen, zurechtzustutzen. Die Kamera, die die Szenerie für eine Liveübertragung auf Facebook einfängt, zeigt sie nicht. Doch für die Zuschauer entsteht so der Eindruck von realen Störenfrieden, die die konservative Idylle trüben. Die Wahlkampfveranstaltung, auf der auch Landespolitikerinnen und -politiker zu Wort kommen und die Themen vom Gendern, über innere Sicherheit und den Abschuss des Wolfes reichen, wird übrigens von Waldemar Hartmann moderiert.
Schreckgespenst Rot-Rot-Grün? Im Nordosten dürfte das nur Wenigen schlaflose Nächte bescheren. Während die Grünen als außerparlamentarische Opposition und "akademisch-urbane Milieupartei" noch um den Einzug in den Landtag bangen müssen, "ist die Linke in Mecklenburg-Vorpommern eine der Pragmatischsten überhaupt", so Politikwissenschaftler Muno. Die Partei regierte bereits von 1998 bis 2006 mit - und das Land brach nicht zusammen. "Das schreckt wirklich niemanden hier", sagt Muno über die Aussicht auf eine Koalition von SPD und Linken.
Ein reales Schreckgespenst könnte dagegen am 26. September erneut zweitstärkste Kraft werden - wenn auch mit leichten Stimmenverlusten. Interne Streitigkeiten und ins Leere laufende Parlamentsarbeit konnten der AfD nicht maßgeblich etwas anhaben. Die Partei habe ein stabiles Wählerpotential, sagt Muno. "Der typische AfD-Wähler ist mittleren Alters und männlich. Er hat einen durchschnittlichen Schul- und Berufsabschluss, ist auch berufstätig und gehört zur unteren Mittelschicht." Er habe Angst vor sozialem Abstieg und vor Veränderungen der Gesellschaft, etwa durch Ausländer - die es im Nordosten kaum gibt. "Die AfD steht für Vorvorgestern", eine Zeit, in der die Gesellschaft noch homogen war, es keine Ausländer gab, Frauen nicht viel zu melden hatten und große Autos kein Problem waren, resümiert Muno.
Doch egal, wie viel Prozent der Wählerinnen und Wähler am Ende für die AfD stimmen: In der Regierung wird sie nicht vertreten sein. Vielmehr wird es in Mecklenburg-Vorpommern wahrscheinlich eine eher stabiles und erprobtes Regierungsbündnis geben. Schwesigs SPD wird sich nach jetzigem Stand einen Koalitionspartner aussuchen können - im Gegensatz zu den Dreier-Experimenten in allen anderen Ost-Ländern.
"Sie wissen, Sie können sich auf mich verlassen"
Kann jetzt noch etwas schiefgehen für Manuela Schwesig? Die 47-Jährige weiß, dass Umfragen nicht mit Wahlergebnissen gleichzusetzen sind. Beim TV-Duell am Dienstagabend mit ihrem Herausforderer Sack wirkt sie nervös. Sie ruft die Wählerinnen und Wähler fast schon penetrant dazu auf, der SPD ihre Stimme zu geben. In berüchtigt steifer Manier spult sie streckenweise scheinbar auswendig gelernte Antworten ab. Verdaddelt sich bei einer Frage nach dem Anteil der autofahrenden Berufstätigen. Lächelt kühl ihren Konkurrenten an.
Doch CDU-Mann Sack gelingen nur kleine Nadelstiche. Er kann Schwesig nicht aus der Reserve locken. "Im Grunde hat sich die Regierungskoalition unterhalten, sodass es keine richtig kontroverse Diskussion gab", sagt Wolfgang Muno. Der Auftritt von Sack habe ihm zwar besser gefallen. Er habe authentisch und sympathisch gewirkt. Doch inhaltlich habe er nur wenige Punkte machen können. Eine Trendwende gebe es so nicht.
Manuela Schwesig wurde lange Zeit unterschätzt. Sie musste sich diffamierende Titel wie "Küstenbarbie" gefallen lassen. Jetzt könnte sie als Landesmutter einen der größten Wahlerfolge der SPD seit langem einfahren. Sollte es so kommen, mutiere sie zur "Fürstin der SPD", ist Muno überzeugt. Wer weiß, vielleicht findet die frühere Familienministerin dann auch wieder den Weg zurück auf die Bundesebene.
In ihrem Schlussstatement beim TV-Duell sagt die Ministerpräsidentin: "Sie wissen, Sie können sich auf mich verlassen." Der als zu nett und zu unbekannt abgestempelte Sack sagt: "Jetzt kennen Sie mich." Anderthalb Wochen vor der Wahl ist das ein Satz, der zu spät kommt. Manuela Schwesig wird es freuen.
Quelle: ntv.de