Politik

Bauernprotest auf dem Höhepunkt "Das Fass ist nicht übergelaufen, es ist explodiert"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Schon vor einer Woche kamen einige Hundert Traktoren zum Brandenburger Tor. An diesem Montag dürfte es dort noch etwas voller werden.

Schon vor einer Woche kamen einige Hundert Traktoren zum Brandenburger Tor. An diesem Montag dürfte es dort noch etwas voller werden.

(Foto: IMAGO/A. Friedrichs)

Die Bauern hätten in den vergangenen Jahren so viele Kompromisse geschluckt, dass die Zeit für Kompromisse vorbei ist, sagt der Landwirt Christoph Plass aus Brandenburg. Er hat Sorge, dass mit den Protesten der Bauern gerade im ländlichen Raum mittlerweile zu viele Erwartungen verbunden werden. Aber er sagt auch: Wenn die Forderungen der Bauern nicht erfüllt werden, geht der Protest weiter.

Christoph Plass baut auf seinem Hof in Neuholland nördlich von Berlin hauptsächlich Kartoffeln an. Mit 2000 Hektar ist der Hof vergleichsweise groß, es ist dennoch ein "Familienbetrieb mit Angestellten", wie Plass sagt. Nebenbei ist der Landwirt Vizevorsitzender des Bauernverbands im Landkreis Oberhavel.

Christoph Plass baut auf seinem Hof in Neuholland nördlich von Berlin hauptsächlich Kartoffeln an. Mit 2000 Hektar ist der Hof vergleichsweise groß, es ist dennoch ein "Familienbetrieb mit Angestellten", wie Plass sagt. Nebenbei ist der Landwirt Vizevorsitzender des Bauernverbands im Landkreis Oberhavel.

(Foto: privat)

ntv.de: Hallo Herr Plass, wo haben Sie heute blockiert?

Christoph Plass: Heute war ich ausnahmsweise mal im Innendienst tätig - unter anderem, um den 15. Januar vorzubereiten, den Tag der Großkundgebung in Berlin. Die anderen Oberhaveler Bauern waren heute am Berliner Autobahnring bei Kremmen unterwegs, um Flagge zu zeigen. Aber größere Blockaden haben wir heute nicht gemacht.

Sie sind nicht zum ersten Mal an Protesten beteiligt. Wann haben Sie angefangen?

Ich war im Oktober 2019 bei den ersten Bauerndemos, da bin ich zu einer Kundgebung nach Berlin gefahren. Und wie das so ist, ich habe dort Leute angesprochen, ob ich helfen kann. So bin ich in diese Demonstrationsgeschichte reingerutscht.

Aktuell geht es vor allem um die von der Bundesregierung geplante schrittweise Abschaffung der Agrardiesel-Subvention. Der Agrarökonom Alfons Balmann sagt, die Kürzungspläne seien "schmerzhaft, aber auf Dauer verkraftbar", die Betriebe seien nicht in ihrer Existenz bedroht. Würden Sie dem zustimmen?

Die Frage stellt sich für jeden Betrieb anders. Aber selbst, wenn die Kürzung für alle Betriebe verkraftbar wäre, so ist sie trotzdem nicht zu verstehen. Denn für uns gibt es keine Alternative zum Diesel.

Weil Ihre Fahrzeuge nicht mit Elektromotor laufen.

Für landwirtschaftliche Maschinen gibt es weder E-Mobilität noch Wasserstoff-Antrieb. Forschungsprojekte dazu gibt es, aber die sind von einer praktischen Anwendbarkeit noch weit entfernt. Aus meiner Sicht ist der Diesel für mindestens zehn Jahre völlig alternativlos.

Kann man sagen, wie wichtig die Rückvergütung der Energiesteuer auf Agrardiesel für einen durchschnittlichen Hof ist?

In meiner Größenordnung ist das schon relevant. Wir sind ein intensiver Betrieb, der auch sehr viel fossile Energie verbraucht, auch bei den Bewässerungssystemen für unsere Kartoffeln. Aber für jeden Hof ist es, als würde man einem normalen Arbeitnehmer von einem Tag auf den anderen ein Monatsgehalt streichen.

Balmann sagt auch, durch die Auflagen bei Themen wie Klimaschutz, Tierschutz oder Biodiversitätsschutz seien Anpassungen nötig, die viele Betriebe nicht werden leisten können. Protestieren Sie vielleicht gegen die falsche Maßnahme?

Man hört das jetzt häufig von vielen Bauern, dass sie sagen, der Diesel-Beschluss war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Aber eigentlich ist das Fass nicht übergelaufen, es ist explodiert - so viel Druck ist bei den Landwirten auf dem Kessel. Der Landwirtschaftsminister von Brandenburg hat in einem Interview gesagt, eine Position, die Kompromisse ausschließt, sei immer maßlos in einem demokratischen System. Darüber habe ich lange nachgedacht. Ich finde, er hat Unrecht: Wir haben in den vergangenen Jahren so viele Kompromisse geschluckt und Dinge hingenommen, von denen wir wussten, dass sie falsch sind. Jetzt ist die Zeit für Kompromisse vielleicht auch einfach mal vorbei.

Was müsste aus Ihrer Sicht zuallererst passieren, um Landwirte zu entlasten?

Erst einmal wäre es ein gutes Signal, wenn klar gesagt würde, dass beide Maßnahmen zu 100 Prozent zurückgenommen werden.

Also nicht nur der Wegfall der Kfz-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge, die schon zurückgenommen wurde, auch die Abschaffung der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel.

Ansonsten gab es in den letzten Jahren so viele falsche politische Entscheidungen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Zum Beispiel beim Tierwohl. Alle wollen mehr Tierwohl, und wir Bauern sollen das umsetzen. Das heißt: Umbau der Ställe, Investitionen. Die Verbraucher sind nicht bereit, das freiwillig zu bezahlen: Wir sehen ja, dass der Schwur an der Kasse eben nicht gemacht wird, dass man im Zweifel doch lieber zum günstigeren Fleisch greift. Der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium ging 2015 davon aus, dass der Umbau der Tiefhaltung bis zu 5 Milliarden Euro pro Jahr kostet. Vom Staat soll es 250 Millionen Euro jährlich an Unterstützung geben. Ich finde wenig Staat grundsätzlich gut, ich finde es auch schwer zu verstehen, dass immer gleich nach dem Staat gefragt wird. Aber leider funktioniert Agrarpolitik nur mit staatlichen Eingriffen und auch Förderungen.

Liegt es nur am Geld oder haben die Bauern genug von den Veränderungen?

Wir Landwirte sind immer bereit, uns auf neue Herausforderungen einzustellen. Das machen wir seit Jahrhunderten. Meine Familie macht Landwirtschaft seit dem 19. Jahrhundert und wir haben im Laufe der Zeit mehrere Höfe an verschiedenen Standorten aufgebaut - unter anderem bedingt durch Brandschäden und Aussiedlung. Ich selbst bin vor 25 Jahren aus Niedersachsen nach Brandenburg gekommen. Aber 250 Millionen bei Kosten von 5 Milliarden? Wer soll die Diskrepanz bezahlen? Das schafft keiner! Und dann wundert man sich, dass die Landwirte wütend werden oder resignieren und ihre Höfe aufgeben.

Spielt auch das Gefühl fehlender Anerkennung eine Rolle bei den Protesten?

Ich glaube, die Reaktion der Bevölkerung auf die aktuellen Proteste zeigt, dass mittlerweile eine grundsätzliche Anerkennung für die Landwirtschaft da ist. Seit 2019 sehe ich, wenn wir mit dem Traktor auf Demos fahren, dann werden uns hochgereckte Daumen gezeigt. Die Leute wissen schon, dass wir Lebensmittel erzeugen, dass wir dafür sorgen, dass sie jeden Tag morgens ein Brötchen haben. Und es geht natürlich auch um Wertschätzung, aber vorrangig darum, dass die gesellschaftlichen Leistungen, die wir erbringen, honoriert werden.

Sie haben einen relativ großen Betrieb. Haben Sie überhaupt dieselben Interessen wie ein Kleinbauer in Baden-Württemberg?

Da ich aus Niedersachsen komme, kenne ich auch die westdeutschen Agrarstrukturen. Aus meiner Sicht erbringt ein Großbetrieb genauso viel gesellschaftliche Leistung wie ein Betrieb auf der Schwäbischen Alb. Sicherlich haben wir alle unterschiedliche Betriebsstrukturen, aber gerade das finde ich gut. Wir haben gerade ein Banner gemacht, bei dem ging es in erster Linie gegen diese Unterwanderung. Da steht drauf: Landwirtschaft ist bunt. Das kann man auch auf die Größe der Betriebe beziehen. Jeder macht, was er gut kann. Als ich nach Brandenburg gekommen bin, wollte ich meine Produkte auf den Markt nach Berlin bringen. Das hat nicht so wirklich geklappt, vor 20 Jahren war mit Regionalität noch nichts umzusetzen. Wir haben also eine andere Entwicklung genommen und sind größer geworden. Ich bin damit nicht unzufrieden. Wir sind ein moderner Betrieb, wir sind in der Digitalisierung sehr weit, in einigen Punkten sogar Vorreiter. Das macht mich auch ein bisschen stolz. Und auch wenn wir ein Großbetrieb sind, haben wir die gleichen Interessen wie kleinere Betriebe oder wie einer, der Tiere hält.

Aktuell ist wieder vom Höfesterben die Rede. Ist der Grund dafür häufiger, dass Betriebe Pleite gehen, oder ist es eher die Entscheidung der nächsten Generation gegen die Arbeit in der Landwirtschaft?

Ich denke, es ist eine Mischung aus beidem. Gerade die Schweinehalter waren in den letzten Jahren wirtschaftlich sehr gebeutelt. Bei mir ist jetzt das erste Kind kurz vor dem Abitur, da fragt man sich schon, ob man wirklich empfehlen kann, Landwirtschaft zu studieren. Es ist beschwerlich, es ist viel Arbeit, dazu noch die politische Gängelei. Bei der Behandlung eines kranken Tieres sind 30 Prozent die Arbeit am Tier und 70 Prozent Bürokratie. Das hat mit der eigentlichen Arbeit eines Landwirts nicht mehr viel zu tun. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir zu Papiertigern verkommen.

Bauernpräsident Rukwied bekam im Haushaltsjahr 2022 EU-Subventionen in Höhe von fast 110.000 Euro, und damit ist er kein Ausnahmefall.

Das ist völlig legitim.

Aber ist es nicht seltsam, gegen ein System zu protestieren, von dem man so stark profitiert?

Das ist nicht seltsam. Landwirtschaftspolitik ist immer gezeichnet von Subventionen. Jeder Landwirt würde sofort auf das System der Subventionen verzichten, wenn die Leute bereit wären, den Preis zu bezahlen, den das Produkt dann kostet. Aber landwirtschaftliche Märkte funktionieren leider nicht wie andere Märkte. Wir sehen das im Ukrainekrieg, wie Russland versucht, über Getreide-Blockaden Druck auszuüben. Der Staat nutzt Subventionen auch, um eine Lenkungswirkung zu erreichen. Das System ist sicherlich reformbedürftig. Aber wie? Da bin ich überfragt.

Sie engagieren sich nicht nur im Bauernverband, sondern in der FDP. Warum ausgerechnet in einer Partei, deren Vorsitzender Subventionierung als Teil linker Politik versteht?

Ich glaube auch, dass Subventionen nicht immer der richtige Weg sind. Aber oft funktioniert es leider nicht ohne. Warum ich mich in der FDP engagiere, ist leicht erklärt. Ich bin liberal und glaube an die Freiheit und dass man Menschen nicht zu sehr gängeln soll.

Sie haben den Versuch der Unterwanderung von rechts schon angesprochen. Bei den Bauernprotesten tauchen auch Rechtsextreme auf, teilweise sieht man Mützen in den Farben der Reichsflagge beziehungsweise der "Landvolkbewegung". Gibt es aus Ihrer Sicht ein Problem mit rechter Unterwanderung?

Nein. Es ist kein Geheimnis, dass die AfD versucht, bei uns Fuß zu fassen. Aber das Schöne an Bauern ist, dass das alles selbstständige Menschen sind, die denken können. Ich bin jetzt seit Tagen unterwegs, ich spreche mit vielen Menschen und telefoniere mit Leuten in ganz Deutschland. Diese Unterwanderung sehe ich überhaupt nicht.

Sie sind vermutlich am Montag auch bei der Großdemonstration in Berlin dabei?

Ich habe erst vor ein paar Tagen meinen Urlaub abgesagt. Eigentlich wollte ich Samstag mit ein paar Freunden Richtung Ungarn aufbrechen. Stattdessen werde ich in Berlin sein. Die Sache ist mir einfach zu wichtig.

Ist das dann der Höhe- und Endpunkt der Aktionswoche?

Tja. Das hängt davon ab, ob unsere Forderungen erfüllt werden. Mittlerweile ist durch unseren Protest eine sehr große Erwartungshaltung im ländlichen Raum entstanden. Die Leute hoffen, dass sich mehr verändert. Spediteure unterstützen uns, in unseren Whatsapp-Gruppen sind jetzt auch Fuhrunternehmer, wir haben jeden Tag LKW mit im Tross. Handwerker sind dabei, alle berichten von ähnlichen Problemen - wirtschaftliche Schwierigkeiten, zu viel Bürokratie. Das macht mir ein bisschen Sorge, dass mit unseren Demonstrationen eine so große Erwartungshaltung verbunden ist. Aber deshalb glaube ich, dass es am 15. Januar wahrscheinlich nicht vorbei sein wird.

Mit Christoph Plass sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen