"Das wird nicht passieren" Lindner bremst Habecks Finanzwünsche aus
16.02.2023, 18:48 Uhr
Die Wünsche der Ministerien übersteigen den Haushaltsrahmen für 2024 bereits um 70 Milliarden Euro: Habeck hat Sorge, dass er zu kurz kommt, Lindner lässt ihn auflaufen.
(Foto: REUTERS)
Im Streit um den Bundeshaushalt 2024 schreibt Wirtschaftsminister Habeck interne Briefe an Lindner und lässt durchblicken, es müssten Steuern erhöht oder die Schuldenbremse gelockert werden. Doch der Finanzminister winkt ab. Er sitzt hier am längeren Hebel.
In der Ampel-Koalition herrscht offener Streit über die Aufstellung des Bundeshaushalts für 2024. Die Grünen sorgen sich, dass SPD und FDP milliardenschwere Ausgabenwünsche für eigene Projekte verabreden. So schreiben sich Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner Briefe, die sehr formell mit "Sehr geehrter Kollege" beginnen. Und SPD-Chef Lars Klingbeil mahnt die kleineren Koalitionspartner sichtlich genervt ein ums andere Mal, sie mögen ihre Differenzen doch bitte nicht in der Öffentlichkeit austragen.
Allerdings ist die Macht im Haushaltsstreit zwischen Habeck und Lindner klar verteilt. "Fürchtet Euch nicht, das wird nicht passieren", verkündigte der FDP-Chef fast schon pastoral unter Hinweis darauf, dass Habeck über Einnahmeerhöhungen rede, aber Steuererhöhungen meine. Bei der Etataufstellung ist Lindners Ministerium Herr des Verfahrens. Und von Amts wegen angehalten, die Ausgabenwünsche aller Ressorts zu zügeln. Gestärkt wird ihm der Rücken durch das Grundgesetz: Dort ist die Schuldenbremse verankert, die überbordenden Begehrlichkeiten eine Grenze setzt.
Beginn der Etatplanungen
Die Aufstellung des Haushalts ist klar geregelt. Von Beginn an gibt das Finanzministerium den Ton an. In seinem "Aufstellungsschreiben" für die Etatpläne 2024 gab Lindner am 3. Januar die Linie vor, dass "ab 2024 auch die Zeitenwende in der Finanzpolitik konsequent" umgesetzt werden müsse. Schluss mit dem "expansiven finanzpolitischen Kurs", der durch Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg dazu geführt hatte, dass von 2020 bis 2022 die Schuldenbremse ausgesetzt wurde, um Hunderte Milliarden Euro neue Schulden zu machen. 2023 greift die Bremse wieder. Das soll auch 2024 gelten. So haben es SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag vereinbart.
Eckwerte und erste Wegmarken
Ein Kernbegriff der Etatplanung sind die Eckwerte und die ersten Wegmarken. Dahinter steht ein kompliziertes Verfahren, das seit der Aufstellung des Etats 2012 die Rolle des Finanzministeriums als Kassenwart stärkt. Seither berechnet das Ministerium auf der Grundlage früherer Finanzpläne, neuer Ausgabenbeschlüsse und politischer Vorhaben Eckwerte, wie viel Geld jedes Fachressort im kommenden Jahr zur Verfügung hat - unter der Vorgabe, dass der Gesamtetat die Schuldenbremse einhält.
Es entsteht ein Eckwertevorschlag. "Top-Down-Verfahren" heißt das, weil das Finanzministerium den Rahmen vorgibt, in dem die Ministerien wirtschaften und umschichten könnten. Bis zum Etat 2011 waren die Wünsche aller Ressorts gesammelt und dann mühselig wieder gebremst worden. Nicht Ressortwünsche, sondern politische Schwerpunkte, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und verfassungsrechtliche Vorgaben sollen den Kurs abstecken.
Klausur der Staatssekretäre
Seit 2014 ist es Tradition, dass eine Klausursitzung der Staatssekretäre aller Ministerien die Eckwerte-Aufstellung einleitet. Angeführt wird die Runde von Werner Gatzer aus dem Finanzministerium. Sie fand am 13. Januar statt. Gatzer gab einen Sparkurs vor: Zwölf Milliarden Euro seien einzusparen, um die Schuldenbremse einzuhalten. Seine Präsentation zieht die Ausgabengrenze für 2024 auf Grundlage des geltenden Finanzplans bis 2026 bei 423,7 Milliarden Euro.
Zwischenzeitlich könne man für 2024 zwar von Steuermehreinnahmen von rund 16 Milliarden Euro ausgehen - aber auch von 31 Milliarden Euro an zusätzlichen Belastungen, die nicht im Finanzplan enthalten seien. Das sind etwa die Wohngeldreform, das Inflationsausgleichsgesetz und ein erheblicher Anstieg der Zinsausgaben. Da der Schuldenspielraum etwa drei Milliarden Euro höher sein könnte als angenommen, bleibe ein "Handlungsbedarf" von rund zwölf Milliarden Euro. Einen Monat später hat das Finanzministerium die seither eingegangen Ausgabenwünsche aller Ministerien addiert. Sie liegen zusammen um 70 Milliarden Euro über der von Gatzer genannten Ausgabengrenze. Ein entsprechender Bericht des "Handelsblatts" wurde in Ministeriumskreisen bestätigt.
Am Jahresende entscheidet der Bundestag
In den nächsten Wochen laufen die Chefgespräche. Was auf Fachebene zwischen den Ministerien nicht entschieden werden kann, müssen deren Chefs abräumen - im Gespräch mit Finanzminister Lindner. Vorgesehen ist, dass die Eckwerte bis Anfang März stehen und am 15. März vom Kabinett beschlossen werden. Die Detailverhandlungen laufen dann weiter, die Steuerschätzung im Mai wird zeigen, ob sich mehr oder weniger Spielraum für Ausgaben ergibt. Zuvor gibt es im April eine neue Wirtschaftsprognose der Regierung. Am 21. Juni soll das Kabinett den Haushaltsentwurf beschließen.
Erst gegen Ende des Jahres wird das Haushaltsgesetz vom Bundestag beschlossen. Bis dahin wird der Entwurf an zahllosen Stellen immer wieder verändert. Das letzte Wort haben die Haushälter in der Nacht der langen Messer, der sogenannten Bereinigungssitzung - dann werden in einer Nachtsitzung letzte Änderungen am Etat vorgenommen.
Quelle: ntv.de, mau/rts