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Ein schwieriges Jahr Lindner führt FDP am Abgrund entlang

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In der Wählergunst hat die FDP seit der Wahl vor zwei Jahren stark verloren - genau wie die gesamte Ampel. Für Lindner geht ein herausforderndes Jahr zuende.

In der Wählergunst hat die FDP seit der Wahl vor zwei Jahren stark verloren - genau wie die gesamte Ampel. Für Lindner geht ein herausforderndes Jahr zuende.

(Foto: IMAGO/ABACAPRESS)

Das Jahr 2023 war für die FDP nicht leicht: Wieder setzt es Niederlagen bei Landtagswahlen und in der Ampelkoalition fällt sie als streitlustige Bremserin auf. Dann verhagelt das Verfassungsgericht Parteichef und Finanzminister Lindner das Jahresende.

Christian Lindner ist keiner, der vor schwierigen Aufgaben zurückschreckt. Das bewies er spätestens, als er vor zehn Jahren den Parteivorsitz der FDP übernahm. Die war gerade aus dem Bundestag geflogen, nachdem sie in der schwarz-gelben Koalition das Vertrauen ihrer Wähler verloren hatte. Die Umfragewerte damals: miserabel. Teilweise waren sie so schlecht, dass die FDP nur noch unter den "Sonstigen" gelistet wurde. Doch Lindner führte die Partei zurück in den Bundestag. Und wie: 2017 erreichten die Freien Demokraten 10,7 Prozent, ein Plus von fast 6 Prozent. Die Sondierungen mit Union und Grünen sagte er schließlich ab mit den Worten: "Lieber nicht regieren, als schlecht regieren."

Jetzt, im Dezember 2023, hat diese Aussage eine für die FDP ungute Aktualität. Denn die Zustimmung zur Ampelkoalition ist so gering, dass man unterstellen darf, dass ein großer Teil der Wähler dem Finanzminister diesen Satz unter die Nase reiben möchte. Dabei ist die Bilanz aus FDP-Sicht besser als man meinen könnte: Die Atomkraftwerke liefen länger, es gibt ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz und beim Bürgergeld war es die FDP, die den Leistungsgedanken stärkte. Eine Steuerreform soll ab dem kommenden Jahr 15 Milliarden Euro Entlastungen bringen. FDP-Politiker behaupten auch, dass sie das Heizungsgesetz zu etwas richtig Gutem gemacht hätten. Dann sind da noch Dinge wie die Abschaffung des Paragraphen 219a, der Ärzten strengste Vorgaben über die Information zu Abtreibungen machte. Auch das 49-Euro-Ticket war eine FDP-Idee, ersonnen von Verkehrsminister Volker Wissing.

Doch die Menschen im Land sehen es anders. In Umfragen wandelt die FDP seit Monaten am Abgrund der Fünf-Prozent-Hürde. Damit ist der Vertrauensverlust der Ampelparteien für die Liberalen am folgenschwersten. Wären sie eine Fußballmannschaft, sie spielten gegen den Abstieg. Insgesamt kommt die Ampel beispielsweise im Trendbarometer von RTL und ntv nur noch auf gut 30 Prozent und liegt damit auf Augenhöhe mit der Union. Die schlechte Stimmung zeigte sich auch in den Landtagswahlen. In Berlin flog die FDP aus dem Abgeordnetenhaus, in Bayern schaffte sie ebenfalls nicht den Wiedereinzug ins Maximilianeum. In Hessen gelang der Verbleib im Landtag mit Ach und Krach. Ein kleiner Lichtblick war die SPD-Hochburg Bremen, wo der Wiedereinzug gelang.

Unzufriedenheit an der Basis

Auch in der eigenen Partei gibt es Unmut. Derzeit stimmen die 77.000 Mitglieder darüber ab, ob die FDP in der Ampelkoalition bleiben soll. Bindend ist diese Erhebung nicht, doch für Lindner wäre es ein Problem, wenn die Basis für den Austritt stimmte. Er selbst ist erwartungsgemäß für einen Verbleib in der Regierung. Im Interview mit ntv.de sagte er kürzlich, es sei keine gute Idee, "ohne einen triftigen Grund zu verlassen". Er kann zwar darauf hoffen, dass sich die Lesart "Ein Austritt aus der Ampel wäre Selbstmord aus Angst vor dem Tod" durchsetzt. So oder so bricht sich die Unzufriedenheit Bahn. Die gibt es aus vielen Gründen. Einer war die Migrationspolitik der Ampel, wie der FDP-Bundestagsabgeordnete Christoph Hoffmann bei ntv.de erklärte.

Denkt man an die vergangenen Monate zurück, erinnert man sich vor allem an Streit. In einem Land, in dem ein Großteil der Menschen sagt, die Opposition sei dazu da, der Regierung beim Regieren zu helfen, kommt das nicht gut an. Mag sein, dass die FDP beim Heizungsgesetz von einem heiligen Zorn getrieben war, die vermeintlich teuflischen Pläne Habecks und seines Staatssekretärs Patrick Graichen zu verhindern. Das hinter verschlossenen Türen zu tun und anschließend gemeinsam eine Lösung zu präsentieren, schien keine Option gewesen zu sein. Zoff gab es auch bei der Kindergrundsicherung - die FDP: dagegen.

Im ntv.de-Interview wies Lindner den Eindruck zurück, dass vor allem die FDP Streit suche. Grüne bremsten bei der Asylpolitik, die SPD stelle immer wieder die Schuldenbremse infrage - trotz grundsätzlicher Einigung, dass diese unangetastet bleiben solle.

Die Stimmung in der Ampel war schon im Herbst im Keller - und da hatte das Bundesverfassungsgericht noch gar nicht geurteilt. Als die Karlsruher Richter am 15. November zum zweiten Nachtragshaushalt von 2021 urteilten, blickten die Ampelpolitiker in einen Abgrund. Mittendrin: Finanzminister Lindner. Er war schon im Amt, als die junge Ampelkoalition 60 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen aus der Coronakrise in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) verschob. Durch das Urteil musste diese Summe gestrichen werden. Und astronomische Summen, die Rede ist von um die 30 Milliarden Euro im Haushalt und KTF, mussten plötzlich eingespart werden. Einen Plan B gab es offenbar nicht - konnte es bei solchen Summen vielleicht auch gar nicht geben.

Erst Kerosin-Steuer, dann doch nicht

Eilig wurde ein Nachtragshaushalt für 2023 zusammengeschnürt. Fortan machten sich Lindner, Robert Habeck und Olaf Scholz daran, das Budget für das kommende Jahr auf Einsparmöglichkeiten abzuklopfen. Vier Wochen dauerte das. Dachte man zumindest. Denn als die drei Spitzenpolitiker am vergangenen Mittwoch eine Einigung verkündeten, war das etwas übertrieben. Denn noch immer ist nicht klar, wie genau jetzt gespart wird. Mal sollte Kerosin besteuert werden, dann wieder nicht. Der Umweltbonus für E-Autos soll fallen, doch auch dagegen gibt es koalitionsintern Widerspruch - allerdings diesmal nicht seitens der FDP, sondern aus der SPD. Ebenso herrscht Uneinigkeit bei der Besteuerung von Agrardiesel. Landwirtschaftsminister Özdemir will das Ende der Steuervergünstigung nicht mittragen. Das ist, vorsichtig formuliert, verwirrend. Man könnte auch sagen, ein riesengroßes Durcheinander.

Immerhin droht Lindner keine Palastrevolution. Seit zehn Jahren führt der 44-Jährige die Partei, ist nicht nur ihr Aushängeschild, sondern auch einer ihrer Vordenker und Wahlkampf-Allzweckwaffe. Beim Parteitag im April wurde er mit sehr guten 88 Prozent wiedergewählt. Damit robbt er an Hans-Dietrich Genscher heran, der die Partei ein Jahr länger führte, von 1974 bis 1985. Nach zwei Jahren in der Ampelkoalition findet sich der aktuelle Vorsitzende mit seiner Partei in einer verzwickten Lage wieder. Wie damals bei Schwarz-Gelb ist sie Teil einer Regierung, in der sie es schwer hat, sich zu behaupten. In seinem Buch "Schattenjahre" von 2017 schreibt Lindner, dass die FDP damals nur noch als "Dagegen-Partei" wahrgenommen worden sei. Es ist nicht die einzige Passage, die Parallelen zu heute erkennen lässt - auch wenn Lindner die FDP lieber als Dafür-Partei beschreibt.

Damals habe es die FDP zugelassen, dass Kanzlerin Angela Merkel eine eigentlich vereinbarte Steuerreform abblies. "Der Vorhang für die Koalition war damit im Grunde genommen gefallen - nur dass die Darsteller noch drei Jahre auf der Bühne weiterspielten, während das Publikum längst enttäuscht die Ausgänge suchte." Die FDP habe sich nicht ausreichend gegen die Absage der Steuerreform gewehrt. "Ich habe mir geschworen: Das passiert mir nie wieder. Die Wähler erinnern sich noch jahrelang daran, dass die eigene Agenda verändert wurde, aber nicht daran, warum das geschah und ob es dafür gute Gründe gegeben hat."

Die nächste Bundestagswahl ist im Herbst 2025. Dass Lindner künftig Streit aus dem Weg geht, ist nicht zu erwarten. Denn eines will er sicher nicht: in Harmonie mit der Ampel untergehen.

Quelle: ntv.de

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