Christian Lindner im Interview "Wir haben sicher nicht alles richtig gemacht"
26.12.2023, 11:41 Uhr Artikel anhören
"Ich möchte die Zahl von Showdown-Nachtsitzungen reduzieren", sagt Christian Lindner.
(Foto: picture alliance / photothek)
Für die Ampel-Regierung geht ein turbulentes Jahr zu Ende. "Unter dem Strich aber haben wir mehr richtig als falsch gemacht", sagt Christian Lindner. ntv.de sprach mit dem Finanzminister über Streit in der Koalition, sein Verhältnis zu Robert Habeck und den Wunsch einiger FDP-Mitglieder, die FDP zu verlassen.
ntv.de: Herr Lindner, wir steigen zum Jahresende hochaktuell ein: Ihr Freund und Kollege Friedrich Merz hat gesagt, der Weihnachtsbaum gehöre zur deutschen Leitkultur. Olaf Scholz hat dagegen keinen Weihnachtsbaum. Wie halten Sie es? Sind Sie Team Merz oder Team Scholz?
Christian Lindner: Der Weihnachtsbaum ist für mich keine politische, sondern eine persönliche Frage. Wir hatten nicht in jedem einen Weihnachtsbaum, in diesem Jahr aber schon. Den haben wir gemeinsam vor dem Heiligen Abend geschmückt und das war ein schöner Familienanlass.
Wir wollen heute auch auf das Jahr zurückblicken. Es war ein schwieriges Jahr. Krieg in Europa, das Massaker der Hamas und der Gaza-Krieg und am Ende das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Haushalt. Was hat Ihnen dennoch Hoffnung gemacht?
Unsere Gesellschaft stellt sich ihren Herausforderungen gemeinsam. Diese Stabilität ist ein hohes Gut, das wir bewahren müssen. Die politische Feindschaft, die etwa die USA prägen und teilweise lähmen, haben wir hier nicht. Deshalb rate ich von der Wahl von Protestparteien und Populisten ab. Ich bin davon überzeugt, dass wir ohne Radikalität alle Chancen haben, den Turnaround für Deutschland zu erarbeiten. Das ist die Aufgabe für das Jahr 2024.
In Umfragen hat die Ampel schon lange keine eigene Mehrheit mehr. Als freiem Demokraten ist Ihnen die Eigenverantwortung besonders wichtig. Was haben Sie falsch gemacht?
Die Stimmung ist gedrückt von den Mehrfachkrisen. Die internationale Lage haben Sie angesprochen. Wirtschaftlich haben wir es mit Rezession und Inflation zu tun, wir sehen die Probleme der starken Migration. All das wird natürlich mit der jeweiligen Regierung verbunden. Wir haben sicher nicht alles richtig gemacht in diesem Jahr. Unter dem Strich aber haben wir mehr richtig als falsch gemacht.
Können Sie einen Punkt nennen, wo Sie sagen: Das hätten wir besser machen können?
Da würde ich zum Jahreswechsel 2021/2022 zurückgehen, weil wir mit den Entscheidungen von damals in diesem Jahr viel zu tun hatten. Mit dem Wissen um die Auslegung der Schuldenbremse des Grundgesetzes durch das Verfassungsgericht hätten wir sicher nicht die ungenutzten Kreditermächtigungen in den Klimafonds umgebucht. Das Urteil aus Karlsruhe hat aber eine Rechtsklarheit geschaffen, die ich nun genutzt habe, um reinen Tisch zu machen.
Sie haben sich nun auf einen Haushalt für 2024 geeinigt. Die große Mehrheit der Deutschen ist unzufrieden mit dem Ergebnis. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Das Paket kann sich sehen lassen. Wir entlasten zum Jahresbeginn die Bürgerinnen und Bürger um 15 Milliarden Euro. Für manche Familien sind das mehrere hundert Euro mehr Netto. Für das produzierende Gewerbe sinkt die Stromsteuer um über 3 Milliarden Euro. Da ist ein wichtiger Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit. Wir nutzen weiter die Schuldenbremse als Inflationsbremse, die Geldentwertung geht zurück. Wir investieren auf Rekordniveau in Infrastruktur, Technologie und Bildung. Natürlich streicht niemand gerne irgendetwas. Aber die Belastung ist mit dem Abbau von 3 Milliarden Euro an Subventionen im Vergleich zu den positiven Schwerpunkten wirklich tragbar.
Trotzdem ist die Zustimmung verhalten. Wenig hilfreich ist auch in der Außendarstellung, dass Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nun die Beschlüsse der eigenen Regierung stark kritisiert.
Die Reaktion der Öffentlichkeit ist von einer Streichliste geprägt. Ich bin mir sicher, dass viele Menschen nicht wissen, dass sie kommendes Jahr nicht belastet, sondern unter dem Strich entlastet werden. Deshalb liegt mir daran, das Paket im Zusammenhang dazustellen.
Sind Sie denn jetzt für den Abbau der Subvention des Agrardiesels oder nicht?
Ich verstehe den Anlass der Frage nicht.
Sie haben mit Olaf Scholz und Robert Habeck vereinbart, die Subvention des Agrardiesels abzuschaffen, doch dann protestierten die Bauern, Cem Özdemir legte Widerspruch ein und Sie sagten: Wir können über alles reden. Das hat bei uns zumindest für Verwirrung gesorgt.
Weil Sie mich nicht richtig zitiert haben.
Dann haben Sie jetzt die Möglichkeit, das richtig zu stellen.
Ich habe gesagt: Ich nehme es ernst, wenn Herr Özdemir und die FDP-Fraktion Bedenken äußern. Wir sind schließlich eine Demokratie, wo nicht drei Regierungsmitglieder für alle entscheiden. Aber wer eine Maßnahme nicht will, muss eine konkrete Alternative vorschlagen.
Dass der Haushaltsstreit und die Einigung für Verwirrung und Unmut sorgen, ist nicht neu. Im Sommer haben wir den Streit um das Heizungsgesetz erlebt, dann die Auseinandersetzung zur Kindergrundsicherung. Warum können Sie sich nicht gemeinsam hinter den Kulissen einigen und dann gemeinsam das Ergebnis vertreten?
Das würde ich vorziehen. Beim Heizungsgesetz war es der Wunsch unserer Koalitionspartner, die Debatte im Parlament zu führen. Ich habe schon mehrfach gesagt, dass ich ein solches Verfahren kein zweites Mal unterstützen würde. Bei der Kindergrundsicherung müssen Sie andere fragen. Beim Konsolidierungspaket auch.
Die Diskussionen gab es aber schon vorher, im Kabinett, innerhalb der Regierung.
Ich kann nicht für andere sprechen.
Viele sehen die FDP als die Partei, die am meisten Streit vom Zaun bricht. Ist der Streit für die FDP vielleicht auch wichtig? Damit Sie für Ihre Wähler sichtbar bleiben und in dem Bündnis mit Grünen und SPD noch wahrgenommen werden?
Ich würde die These nicht unterschreiben, es sei überwiegend die FDP, die Diskussionen vom Zaun bräche. Der Eindruck mag bei manchen so aufkommen, weil zumeist einer unserer beiden linken Koalitionspartner mit der FDP diskutiert. Das ist unserer Rolle geschuldet, weil wir eben die Partei der Mitte in der Koalition sind. Sie haben Herrn Özdemir erwähnt. Man könnte noch Herrn Mützenich ergänzen, der gerade wieder die Aussetzung der Schuldenbremse für das kommende Jahr gefordert hat. Oder die Grünen, die das Paket zur Neuordnung der Migration neulich aufschnüren wollten. Dabei muss es ja in unserem gemeinsamen Interesse sein, mit einer neuen Realpolitik die Überforderung mit illegaler Migration zu beenden.
Nach zwei Jahren Koalition: Sind die Grünen für Sie eher Gegner oder eher Partner?
Die Grünen sind gegenwärtig Koalitionspartner und zugleich parteipolitischer Wettbewerber – im Unterschied zur Union, die momentan nur parteipolitischer Wettbewerber ist.
Gibt es etwas, das Sie an Robert Habeck besonders schätzen?
Warum fragen Sie gerade nach Robert Habeck?
Weil der Wirtschaftsminister mit Ihnen und Kanzler Olaf Scholz das Gesicht der Ampel ist – und außerdem wäre Habeck wohl gerne Finanzminister geworden.
Robert Habeck ist ein Kollege mit starken Überzeugungen und zugleich Kompromissbereitschaft.
In spätestens zwei Jahren gibt es Bundestagswahlen. Wären es Ihnen lieber, Finanzminister im Kabinett Friedrich Merz zu sein als Finanzminister im Kabinett Olaf Scholz?
Diese Frage schaut zu weit in die Zukunft. Wenn Sie die Finanzpolitik ansprechen, da wirbt die SPD für Steuererhöhungen und mehr Schulden. Genau das verhindern wir in der Regierung Scholz gerade. Auf der anderen Seite liebäugelt auch die CDU mit Steuererhöhungen und manche Ministerpräsidenten würden die Schuldenbremse gerne loswerden, weil sie unbequeme Entscheidungen fordert. Ich kann angesichts dieser Auswahl nur sagen, dass die FDP als eigenständige Partei in die nächste Wahl gehen wird.
In Ihrem Buch "Schattenjahre" haben Sie geschrieben, dass die FDP 2009 bis 2013 in der schwarz -gelben Koalition nur noch als Dagegen-Partei wahrgenommen worden sei – mit dem Ergebnis einer traumatischen Wahlniederlage. Droht dieses Schicksal wieder?
Nein, die FDP ist eine Dafür-Partei, wie unser Regierungshandeln zeigt. Wir sind für die Schuldenbremse, wir sind für Steuerentlastungen. Wir sind für eine neue Realpolitik im Bereich Asyl und Migration. Wir sind für Bürokratieabbau, Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung. Wir sind für das Startchancen-Programm in der Bildungspolitik, mit dem in den kommenden zehn Jahren 20 Milliarden Euro an Bundes- und Landesmitteln für Schulen mobilisiert werden. Wir sind für ein neues Klimaschutzgesetz, das marktwirtschaftlicher sein wird als der teure und planwirtschaftliche Ansatz der Groko…
Sie sind für eine Reform der Schuldenbremse. Ist das ökonomische Überzeugung oder ein Zugeständnis an Grüne und Sozialdemokraten?
Nein, ich bin nicht für eine Reform der Schuldenbremse. Wir haben 2021 im Koalitionsvertrag lediglich verabredet, dass wir uns die Modernisierung eines technischen Details ansehen werden.
Das ist immerhin die Konjunkturkomponente.
Hier gibt es eine Prüfung, deren Ergebnis offen ist. Mit unabhängigem Sachverstand wird man diskutieren, ob und wie die Prognosen besser werden können. Ein höherer Verschuldungsspielraum ergibt sich daraus jedenfalls nicht. Was im Abschwung mehr erlaubt würde, müsste im Aufschwung eingesammelt werden.
In der FDP läuft die Mitgliederbefragung zum Verbleib in der Ampel-Koalition. Wie wird die denn ausgehen?
Das Ergebnis haben wir Anfang Januar. Ich habe Respekt vor denen, die sich Gedanken darüber machen, wie die FDP gestärkt werden kann. Wir teilen dieselben Ziele: Wir wollen, dass Deutschland freier, moderner und digitaler wird und weltoffen bleibt. Aber es ist keine gute Idee, die Regierung ohne triftigen Grund zu verlassen. Die FDP setzt viel an liberaler Politik in dieser Koalition um. Da sollte man die Republik nicht einer rot-grünen Minderheitsregierung oder dem Chaos überlassen. Denn es gäbe ja nicht plötzlich Neuwahlen und eine bürgerliche Mehrheit.
Bindend ist das Ergebnis nicht. Aber nehmen wir mal an, ein Großteil der Mitglieder wird für einen Bruch sein. Können Sie das ignorieren?
Auf das Ergebnis reagieren kann ich erst dann, wenn es vorliegt.
Ein Thema, dass ganz Deutschland beschäftigt, ist der Krieg in der Ukraine. Die Nachrichten sind derzeit für die Ukraine unerfreulich - die Gegenoffensive ist ins Stocken geraten, Russland erzielt Geländegewinne, der US-Kongress verzögert dringend benötigte Milliardenhilfe. Muss Deutschland nicht mehr tun?
Deutschland steht an der Seite der Ukraine. Dort wird schließlich die europäische Friedens- und Freiheitsordnung verteidigt. Wir liefern Waffensysteme, wir stellen finanzielle Hilfe zur Verfügung, wir gewähren vielen Menschen Schutz in Deutschland. Wir sind bereits der zweitgrößte Unterstützer weltweit. Gut die Hälfte der gesamten Hilfe aus Europa finanziert Deutschland. Gegenwärtig ist nicht absehbar, dass mehr getan werden muss. Aber in jedem Fall müssen wir auf eine bessere Lastenteilung drängen. Es kann nicht sein, dass andere weniger tun, weil Deutschland mehr leistet.
Für weite Teile der SPD scheint klar zu sein: Wenn mehr für die Ukraine getan werden muss, dann wird die Schuldenbremse ausgesetzt…
Die Aussetzung der Schuldenbremse scheint für manche inzwischen Selbstzweck geworden zu sein. Wir haben seit 2021 die Schuldenquote von 69 Prozent auf gut 64 Prozent im kommenden Jahr gedrückt. Trotz der ganzen Krisenhilfen und der Unterstützung der Ukraine. Diese fiskalische Trendwende muss fortgesetzt werden. Wir sind immer noch entfernt von den 60 Prozent Schuldenquote, die uns die europäischen Fiskalregeln vorgeben. Wir brauchen diesen Puffer, damit wir im Falle von Krisen wie der Pandemie, die volle Reaktionsfähigkeit haben.
Was haben Sie sich politisch für das neue Jahr vorgenommen?
Die Bundesregierung hat ein Konsolidierungspaket für den Haushalt beschlossen. Jetzt brauchen wir ein Dynamisierungspaket für unsere Wirtschaft. Wir können und dürfen uns nicht mit den aktuellen Wachstumszahlen zufriedengeben. Deshalb muss es weitere entschlossene Schritte beim Bürokratieabbau geben, die im Alltag der Betriebe ankommen. Wir müssen am Arbeitsmarkt alle Fach- und Arbeitskräfte aktivieren. Und hilfreich wäre, wenn die Union die Verzögerung des Wachstumschancengesetzes Anfang des Jahres beendet. Mittelstand und Industrie können jetzt die steuerlichen Anreize für Investitionen, Bautätigkeit und Forschungsvorhaben gut gebrauchen. Die CDU sollte das nicht verhindern.
Und was ist Ihr persönlicher Vorsatz?
Ich möchte die Zahl von Showdown-Nachtsitzungen wieder reduzieren. Politik ist ein Langstreckenlauf.
Mit Christian Lindner sprachen Volker Petersen und Jan Gänger
Quelle: ntv.de